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Heidelberger Familienblätter — 1875

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No. 18 - No. 26 (3. März - 31. März)
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äller Ermüdung. Meine Gedanken hielken mich wach.
An die überſtandene Todesgefahr dachte ich nur flüchtig,
aber der Augenblick auf der Terraſſe wo Zeltners Arm
mich umſchlang und ich ſein Herz an dem meinen klopfen
fühlte, trat mir immer wieder vor die Seele und jedes
Mal empfand ich wieder das überwältigende, athemrau-
bende Entzücken, wie es mich in jenem Augenblicke über-
ſtrömte. Geliebt zu ſein, über Alles geliebt, welche
Wonne!
Aber jedes Mal wurde dies Bild durch Elſie's Er-
ſcheinen verdrängt, wie ſie mit ihrem rauſchenden Seiden-
kleide, ihren blitzenden Armbändern und Ohrringen, in
allem Glanz des Reichthums und der Eleganz die Teraſſe
heraufkam und wie ſie beluſtigt und verwundert mein

Manſardenſtübchen beſah. Vor vier Wochen war ich in

dies Haus getreten gerade wie Elſie und hatte Alles mit
denſelben Augen angeſehen, wie Elſie. Wie kam es denn,
daß es mir jetzt ſo ganz anders ſchien? Wie kam es
denn, daß mich der Gedanke, meine Freunde an den Rhein
zu begleiten, wahrhaft erſchreckte? Was feſſelte mich an
C.? Charley nicht, er hatte ſich raſch mit ſeinen Haus-
genoſſen und Spielen und Schulkameraden befreundet und
würde mich nicht ſehr vermiſſen.
Ich war in meiner Unruhe von meinem Lager auf-
geſtanden und öffnete das Fenſter, in welches der Voll-

mond wieder, wie am Abend meiner Ankunft ſeine ſil-

bernen Strahlen ſchickte und die ſchweigende Welt drau-
ßen taghell erleuchtete. Wenn ich nicht gefürchtet hätte,
die Leute im Hauſe aufzuwecken, ſo wäre ich hinabgegan-
gen in den Garten. Es war mir, als müſſe er dort auf
die Terraſſe ſtehen und mich erwarten. Wir löſten den
Kahn, wir ruderten weit hinaus auf dem blitzenden Strome
wir Beide allein, ganz allein in der ſtillen, verſchwiege-
nen Nacht. Wir zögen die Ruder ein, ſein Arm um-
ſchlänge mich, mein Kopf lehnte an ſeiner Bruſt, Hand
in Hand, Aug' in Auge, ſelig und weltvergeſſen, glitten
wir langſam den Fluß hinab. — Ein Schauer der Wonne

überrieſelte mich. Die Welt hat nichts zu bieten, was

mich höher beglücken könnte, als ſeine Naͤhe, ſeine Liebe.

Eine Wolke zog über den Mond; in der Ferne don-

nerte es dumpf und über dem Strom, ganz unten am
Horizont, ſah ich es wetterleuchten. Schwere Regentropfen
rieſelten und rauſchten auf das dichte Laubdach der Ka-
ſtanien und Linden von meinem Fenſter nieder. Ich bog
mich weit hinaus und ſog mit tiefen Zügen die laue, er-
quickende, feuchte Luft ein. Die kurze Sommernacht ging
ſchon zu Ende; die Raben ſchwebten mit ſchwerem Flüͤ⸗
gelſchlag und dumpfem Crab, Crab um die Papel auf
der Terraſſe; ſchon zwitſcherten die Vögel leiſe im Traum,
im Oſten ſchlug wie eine helle Flamme die Morgenröthe
empor, einen Regentag verkündend nach der heißen klaren
Woche. Es hielt mich nicht länger im Hauſe; ich hüllte
mich in einen Regenmantel, ging auf den Zehen die
Treppe hinunter; die Gartenthür, in welcher inwendig
der Schlüſſel ſteckte, ſchloß ich auf ohne Geräuſch und
eilte auf die Terraſſe, um den Aufgang der Sonne zu

erwarten. Wie ich ſo daſaß unter den dichten Zweigen,

die mich vor dem Regen ſchützten, der wie ein feiner, vom
Himmel bis zur Erde reichender Schleier über dem Waſſer
ſchwebte, verging allmälig die Morgenröthe, wie eine

Flamme, auf welche man Aſche geſtreut hat. Eine graue
Wolkenſchicht, die höher und höher ſtieg, hüllte ſie ein

und es wurde Tag, ohne daß die Sonne ſichtbar wurde.

Noch ſchwebten hie und da weiße, roſig angehauchte Wölk-

chen im Himmeisblau, aber ſie verſchwanden eins nach
dem andern, das einförmige Grau der Wetterwolken ver-
breitete ſich weiter und weiter, die Vögel waren ver-
ſtummt unter dem tropfenden Laub, man hörte nichts als
das leiſe Niederrieſeln des Regens. ö ö

Wie das Morgenroth war auch das freudige Gefühl
meines Herzens vergangen; es kam mir vor, als hätte
ich geträumt und war zur Wirklichkeit erwacht. Was
für thörichte Gedanken hatte ich gehegt! Was wollte ich
denn hier bleiben in C.? Die Frau eines deutſchen Gym-
naſtallehrers werden? Ich, Annie Wesley! Wie würde
Elſie lachen! — Und Zeltner ſelbſt — er belächelte ge-
wiß ſchon jetzt, was er in der Erregung des Moments
geſagt und gethan hatte. Ihm würde nicht mit einer
Frau gedient ſein, die ſo wenig zu dieſen kleinſtädtiſchen
und kleinbürgerlichen Verhältniſſen paßte! —
Ein tiefer Seufzer entrang ſich meiner Bruſt. O,
wenn ich doch ein einfaches, deuiſches Mädchen wäre, wie
die hübſche Klara, Doctor Wilburgs Nichte, die ſeit acht
Tagen hier zum Beſuch war! Wie glücklich würde es
mich machen, für ihn zu ſorgen, ihm das Mahl zu berei-
ten, ihm alle Störung fern zu halten, während er für
uns arbeitete! Oder wenn doch mein Vermögen doppelt
ſo groß wäre, daß ich ihm ſagen könnte: „Komm mit
mir, ich habe für uns Beide genug.“ Zu ſchämen hätte
ich mich gewiß meiner Wahl nicht, ſeine Perſönlichkeit,
ſein Geiſt, ſein Wiſſen, würden ihm einen der erſten

Plätze in unſerm Kreiſe ſichern, — wenn wir reich genug

wären, um es den Andern in geſelliger Hinſicht gleich zu
thun. — Ach, ich mußte dieſem ſchönſten Traume entſa-
gen; dies Glück war mir nicht beſchieden! —
Der Regen hörte nicht auf; Waſſer und Himmel
warenbleigrau, das ferne Gewitter hatte die Temperatur
bedeutend abgekühlt und vom Fluſſe her wehte ein unan-
genehmer Luftzug. Mich fröſtelte und ich eilte ins Haus,
um noch ein paar Stunden lang die verſäumte Nacht-
ruhe nachzuholen. Als ich ſpät von einem unruhigen
Schlummer erwachte, hörte ich noch immer den Regen in
das Blätterdach vor meinem Fenſter rauſchen.
Müde an Geiſt und Körper erhob ich mich lang-
ſam; wie Einer, der nach einem ſchweren Verluſte zum
erſten Male geſchlafen hat und erwachend ſich der ganzen
Schwere ſeines Unglücks bewußt wird, hätte ich gerne
meine Augen wieder vor dem Lichte des Tages geſchloſ-
ſen. Das Leben, das mir geſtern noch köſtlich und voll
Reiz erſchienen war, gähnte mich jetzt an wie die leere
unabſehbare Wüſte. ö

CFortſetzung folgt.)

Von echtswegen.
Aus den Erinnerungen eines alten Sachwalters.
„(Fortſetzung.)

Ich denke an den Tag, wie wenn's heute wäre.
Mein Vater hatte mich und meinen älteren Bruder, der,

wie Du weißt, Ingenieur iſt, eingeladen, dem erſten

Spatenſtich beizuwohnen. Beim Grauen des Tages hat-
ten wir uns auf dem höchſten Punkte des Weges von
B. nach Madbach eingefunden, die Arbeiter und Werk-
führer warteten ſchon auf uns, und begrüßten meinen
Vater mit lautem Hurrah; er war ſehr beliebt bei ſeinen
Leuten. Links von der Straße, von einer von allen Sei-
ſen frei und hochgelegenen Matte, hoben ſich die Stangen
und Fähnchen vom Horizont ab, welche die Linie der
Bahn zwiſchen B. und Madbach bezeichneten. Mein Vater
ſchritt links in die Wieſe hinein und den Hügel hinauf;
wir und die Leute folgten. In der Tiefe gegen Oſten
ragten die Thürme von B., gegen Weſten vor uns lag
 
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