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Heidelberger Familienblätter — 1875

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No. 18 - No. 26 (3. März - 31. März)
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das liebliche Madbach. Mein Vater bezeichnete den Werk-

führern mit kurzen Worten die Aufgabe der nächſten

Wochen. Hier am höchſten Punkt des ganzen Bau's
ſollten ſie nach den beiden Grenzpunkten, nach B. und
Madbach zu gleichzeitig die Erdarbeiten der Bahnſtrecke
beginnen, überall, wo ſie die richtige Höhe des Bahndammes
erreicht und geebnet hätten, Hilfsſchienen legen, damit man
das am Scheitel der Strecke ausgegrabene überflüſſige
Erdreich mittels der Schienen und auf der ſchiefen Ebene.
welche die Bahnlinie hier nach beiden Endpunkten der
Bauſtrecke zu bilde, den tiefer gelegenen Stellen der Bahn
leicht und bequem zuführen könne. Dann rief mein Vater
die Arbeiter zuſammen, ermahnte ſie zu Fleiß, Treue und
Gehorſam, wogegen er ihnen auch den ganzen Winter
hindurch ſchönes Verdienſt verſpreche, und empfahl Aller
Arbeit und Leben dem Segen des Höchſten. Dann that
er den erſten Spatenſtich; jeder der Leute folgte; dann
wurde Brod und Wein gemeinſam vertheilt und genoſſen.
In dieſem Augenblicke kam vom nächſten Hof her ein
Bauer, der uns da oben ſchon längere Zeit beobachtet

hatte, raſchen Schrittes die Matte herauf, einen gewal-

tigen Hund zur Seite. Hund und Herr ſahen beide
gleich unliebenswürdig und verſtimmt aus. Sie kamen
auf uns zu, der Hund war kaum von thätlichem Angriff
abzuhalten. ö ö *
„Was macht Ihr hier auf meiner Matte?“ rief der
Bauer zornig meinem Vater entgegen. *
„Eure Matte?“ erwiederte mein Vater verwundert,
auf das knurrende Paar zutretend. „Ihr wißt doch, daß
die Bahn hier durchgelegt wird, hier iſt mein Vertrag
mit der Regierung, aus dem Ihr erſeht, daß ich die Li-
nie vom Bahnhof zu B. bis Madbach zu bauen habe.“
„Baut Ihr, wo Ihr wollt,“ erwiderte der Bauer,
„aber auf meiner Matte habt Ihr nichts zu ſuchen.“
„Guter Freund, Ihr ſeid aber doch von der Regie-
rung für Euer Grundſtück entſchädigt worden?“
„Keinen Kreuzer hab' ich erhalten, kein Menſch hat
mir bisher geſagt, daß man mein Land braucht. Vor
einigen Wochen ſind hier die Pfähle und Fahnen aufge-
ſteckt worden und das war Alles.“
„Mein Vater ſtand da, wie vom Donner gerührt.
Er konnte nicht faſſen, daß das Directorium eine ſo voll-
kommene Nichtachtung der vertragsmäßig übernommenen
Verpflichtungen auf ſich laden könne, daß es bisher an
dem Punkt, wo die Arbeit unzweifelhaft begonnen wer-
den mußte, für die Erpropriation auch gar nichts ge-
than hatte. Er mochte lieber glauben, daß der Bauer
ein gewinnſüchtiges Spiel mit ihm treibe, als daß das
Directorium der Bahn oder das Bauamt ihm mit fre-
ventlichem Blödſinn begegne.
rundweg, die Regierug habe ihm zum heutigen Tag den
Anfang des Baues geſtattet, er werde daher auch aufan-
gen und nur richterlichem Befehl weichen. „Das wird
ſich finden,“ ſagte der Landmann kurz, und wir ſahen
ihn mit ſeinem Hund eilenden Schrittes der Stadt B.
zuſchreiter. Inzwiſchen wurde die Arbeit wirklich begon-
nen. Mein Vater ſah tief bekümmert aus; er rief uns

Söhne zu ſich und entſandte uns in die Gehöfte, die auf

der Stadtſeite und nach Madbach zu an die Bahnlinze
grenzten. Wir ſollteu die Beſitzer fragen, ob der Theil
ihres Bodens, welcher den Bahnkörper bilden ſollte, von der
Regierung expropriirt worben ſei. Mein älterer Bruder

und ich fragten fünf bis ſechs der nächſten Nachbarn,

keiner von ihnen war expropriirt.“ ö
— „Als mein Vater das erfuhr ſties er zornige Reden
aus gegen den Oberingenieur Soldmann, und überließ
meinem Bruder die Aufſicht über die Leute, um ſofort
ſelbſt nach B. eilen zu können, und einen expreſſen Boten

ſofortigen Vollziehung der Expropriation.

meinſamen Vertrages bat.“

Er erklärte dem Bauer

nach B. zu ſenden, mit der energiſchen Aufforderung zur
Ehe er aber
noch den Arbeitsplatz verlaſſen hatte, kam der Bauer mit
dem Hund und dem Gerichtsperſonal den Weg herauf
nach unſerem Standpunkt. Der Richter gebot meinem

Vater, ſofort bei namhafter Strafe mit ſeinen Leuten die

Wieſe zu verlaſſen, nachdem vorher Alles in den vorigen
Zuſtand geſetzt ſein würde. Mein Vater fügte ſich, bald
blaß bald roth vor Aerger und Zorn. Die Arbeiter
waren von Thätlichkeiten gegen das Gericht und den
Bauern kaum abzuhalten, namentlich als ſie bemerkten,
daß einzelne Gerichtsperſonen auf dem Platze ſtehen blie-
ben, um das aufgebrochene Erdreich wieder zufüllen zu
jehen. Mein Vater überließ nun wirklich meinem Bruder
die Aufſicht über den Fortgang oder beſſer den Rücklauf
der Arbeit, er ſelbſt eilte mit mir nach der Stadt. Er
ſtotterte nur hie und da unterwegs ein Wort hervor.
Er ſchrieb an das Directorium kurz, mit kalter Bitterkeit

den heutigen Vorgang erzählend. Ein reitender Bote
brachte das Schreiben noch denſelben Tag zur Hauptſtadt,

dann beſtieg mein Vater ſelbſt ein Pferd und jagte der
ganzen Bahnlinie vom künftigen Bahnhof zu B. bis Mad-

bach entlang, jeden Beſitzer fragend, ob die auf ihn fal-

lende Strecke der Bahnlinie vom Staat angekauft ſei.
Mit Ausnahme einer ganz kleinen Strecke, gerade hinter
dem Bahnhof von B., die ſchon früher für die Bahn er-
worben worden war, und der Grundſtücksparzellen, die

zufällig dem Staat gehörten, war bisher noch nicht ein Fuß
breit des zum Bau nöthigen Bodens in den Beſitz der

Bahnverwaltung übergegangen. Mein Vater gab noch
vor Mittag einen Brief zur Poſt, in welchem er dem
Directorium von dieſen neuen Ermittelungen Nachricht
gab, und um Aufklärung über dieſe Auslegung des ge-

„Den nächſten Tag kam die Antwort von der Haupt-
ſtadt; ſo loyal und ermuthigend, wie mein Vater von
der Perſon des Directors erwartet hatte. Das Bauamt
und inſonderheit Soldmann kam in dem Schreiben übel
weg. Mein Vater wurde ermächtigt, ſofort mit den
Beſitzern, deren Boden ihm am nothwendigſten ſchien, auf
eigene Fauſt wegen Abtretung des nöthigen Areals zu
unterhandeln, und den Erfolg anzuzeigen. Er vertheilte
die Arbeiter ſofort an die Stellen, die ihm zugänglich

waren, unter Oberaufſicht meines Bruders, damit nur

etwas geſchehe. Aber freilich der Bau rückte bei dieſer
Verzettelung von Arbeitskraft und. Material, und von

der Tiefe nach der Höhe, ungleich langſamer vor als

umgekehrt. Mein Vater ſelbſt begab ſich ſofort an die
Unterhandlung mit den Bauern. Aber dieſe vollends
war nicht vom Flecke zu bringen, je mehr ſie merkten,
daß mein Vater ihren Boden dringend bedürfe. Immer

höher ſchraubten ſie die Preiſe, immer neue Winkelzüge ö

wurden verſucht. Nach wochenlangen Unterhandlungen
waren einige zuſammenhangsloſe und daher für die
Förderung des Baues faſt unnütze Bodentheile im Beſitz

meines Vaters. Sowie er die Erwerbung nach der

Hauptſtadt anzeigte, erwiederte ihm das Bauamt, daß

man ihm die betreffende Parcelle — die er für ſein

ſchweres Geld ſich verſchafft hatte — überweiſe! So
war der October zu Eyde gegangen. Der Eintritt des
Froſtes konnte nur noch nach Tagen zählen. Da riß
meinem Vater die Geduld. Er fuhr ſelbſt zur Haupt-
ſtadt und ging ſtracks zum Director. Er verlangte die

ſofortige Entſendung des Oberingenieurs Soldmann oder

eines Directorialmitgliedes zur ſchleunigen Vollziehung
der Expropriation auf der ganzen Linie. Der Director
eröffnete ihm vertraulich, was mein Vater längſt geahnt
hatte, daß das Directorium ſich vom Chef des Bauamts
ierroriſiren laſſe, der überal mit ſeinem angeblichen
 
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