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Heidelberger Familienblätter — 1875

DOI Kapitel:
No. 79 - No. 87 (2. October - 30. October)
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mit Agnata und Amberg am Portikus des Schloſſes.
Jerzy küßte Alle, auch den Deutſchen. „Eine Miſſion
erfüllte ich nicht, die zweite werde ich erfüllen,“ dachte
er. — Noch einmal ſchaute er zurück, dann verhüllte er
ſein bleiches Geſicht in den flatternden Mantel — ſeine
Vergangenheit entſchwand, die Zukunft that ſich auf. —
Wie eine Ahnung kam es über die Zurückgebliebenen
und der Greis erhob ſeine Stimme, die prophetiſch klang
in den Ohren des Brautpaares: „Er wird der Refor-
mator der Kirche werden! — —“

Ein halbes Jahr ſpäter kniete Agnata neben Amberg

in der kleinen Hauskapelle ſeines Schloſſes, die katholiſche
Kirche verſagte ihnen ihren Segen, nur der würdige pro-
teſtantiſche Geiſtliche heiligte ihren Bund.
Als die Ceremonie vorüber, küßte Agnata die

Narbe auf der Stirn ihres Gatten, »„dein ſagte ſie, dein

für ewig!ꝰ
Am Hochzeitsdiner gab Iberia Narazin dem Grafen
Ledki ihr Jawort. Niemand wußte außer den Ein-

geweihten, was ſie ſo auffallend verändert hatte. Sie iſt

ruhiger geworden und dieſe Ruhe paßte zu ihrem Aeu-
ßeren vortrefflich!“ ö ö

„Keine Concerte wirſt du haben, keine Bälle,“ be-

merkte Graf Ledki lächelnd. „Ich übernehme das Gut
meines Onkels und wir werden in die Fußtapfen der
Neuvermählten treten, die unſere Nachbarn ſind! —“
Und ſie neigte ihr ſchönes Haupt ihm zu, während
Frau von Narazin neben Dombrowski ſaß und dieſer
bemerkte: „Sehen Sie gnädige Frau, es wird keine
Hochzeit gemacht, wo nicht eine zweite wird ausgedacht!“
Und die lebensluſtigen Polen, die wir kennen
lernen? — ö
Milan Korallus hat aufgehört, ſich zu ſchnüren und
damit iſt der wahre Grund ſeiner rothen Naſe wegge-
fallen. Celeſte findet ihren Bräutigam ſehr liebenswürdig
und deſſen wohlmeinende Mutter iſt zufrieden mit dieſer
Parthie ihres vergötterten Sohnes. —
Herr und Frau von Bogdanski ſind in Paris und
die ſchöne Frau ſchreibt, Paris ſei ebenſo entzückend un-

ter dem Regiment des Herrn Thiers wie unter dem des

dritten Napoleon. Man tanze, beſuche Theater, kurz
amüſire ſich ebenſo, wie vor dem deutſch⸗franzöſiſchen
Kriege. —
Der junge Borowitſch bewirbt ſich um die Gunſt

von Maria Nieradzinska; da ſeines Schloſſes Dach ſo

ſchadhaft, daß er bei einem Unwetter mit dem Regen-
ſchirm zu Bette gehen muß, um nicht naß zu werden,
iſt er genöthigt zu heirathen und ſo ſeine Vermögens-
umſtände zu verbeſſern. Die gute Frau von Nieradzinska

braucht zu ihres Gatten Leidweſen noch immer Fremd-
ſei eine eifrige Anhängerin der

wörter und erzählt, ſie
Infamität des Papſtes.
Sämmtliche Polen verkehren häufig mit Herrn und
Frau von Amderg und ſind einig, es ſei das angenehmſte

Haus der Gegend. Und der alte deutſche Diener ſchüttelt

den Kopf, wenn er ſich die Zunge verdreht, um die Gäſte
anzumelden und brummt in ſeinen Bart hinein: „Man
huſte, man nieſe, und hänge ki, daran ſo hat man einen
polniſchen Namen! —“ ö

Benkſchriſt der Herzegowinaer Inſurgenten.
Die Denkſchrift der Herzegowinaer Inſurgenten,
welche in Metkovich den internationalen Commiſſären
übergeben worden iſt, lautet:
„Löbliche europäiſche Geſandtſchaft! Vier Jahrhun-
derte lang ſchmachtet die elende und beklagenswerthe
Rajah, die Chriſten der Herzegowina, in Kummer und

Trübſal. Nicht im Stande, die türkiſche Tyrannei, Bar-
barei, Verfolgungsſucht, Gewaltthätigkeit und Bedrückung
länger zu ertragen, iſt in dieſem Iihre die ganze Rajah
aufgeſtanden und hat die Waffen ergriffen, um endlich
im neunzehnten Jahrhunderte der Aufklärung dem gebil-
deten Europa zu beweiſen, daß es für ganz Europa eine
Sünde und Schande iſt, zuzulaſſen, daß die türkiſche
Barbarei das unglückliche ſlaviſche Volk der Herzegowina
knechte und in Unwiſſenheit niederhalte. Ihr Herren!
Wir haben gehört, daß Ihr ausgeſendet ſeid von den
Herrſchern, unſere Noth und warum wir die Waffen er-
griffen haben, zu unterſuchen. Wohlan! Das ſind die
reinen und wahren Gründe.
„1. Fangen wir mit dem Aga an. Der unglüliche
Kleinbauer, der vom Aga ein Grundſtück in Pacht nimmt,
muß es bearbeiten und dem Aga nicht weniger als die
Hälfte davon geben. Kommt dann der Aga zu dem
Bauer auf Beſuch, was drei⸗ bis viermal im Jahre
geſchieht, ſo kommt er mit ſeinen Leuten und der Bauer
iſt gezwungen, den Aga, deſſen Leute und Pferde auszu-
halten; ſonſt erwarten ihn Schläge und Gefängnis.
2. Im türkiſchen Reiche wird der Zehnt in Pacht
gegeben; aber die Pächter ſammeln im Einverſtändniſſe
mit den Behörden zehnmal ſo viel ab und Du, Rajah,
zahle und gib her und dann kannſt du dich beſchweren.
3. Außerdem muß die bedauernswerthe Rajah die
Steuer, den Harac, die Beſule und Askarie bezahlen.
4. Das Abzählen des Viehes wird ſeit Menſchen-
gedenken in unglückſeliger Ordnung geübt. Die Türken
ſind die Abzähler; ihre Glaubensgenoſſen übergehen ſie,
dem elenden Chriſten aber zaͤhlen ſie, wenn er 10 Stück
hat, dafür dreißig auf, damit der arme Chriſt ſeinem
Aga für Futter und Weide die volle Gebühr bezahle.
Wem ſoll der Chriſt klagen? Dem Ali! Wer iſt ſein
Richter? Ali!
5. Wenn der Chriſt von einem Türken vor Gericht
belangt wird, oder wenn er einen Türken vor Gericht
belangt, ſo faͤllt der arme Chriſt mit ſeinem Rechte durch,
falls er nicht zwei Türken als Zeugen hat, und man
wirft ihn überdies ins Gefängniß.
6. Die Türken entführen mit Gewalt unſere Töchter

und Weiber und zwingen ſie, zum Islam überzutreten.

7. Wenn ein Chriſt als Zeuge gegen einen Türken
auftritt, dann erlebt der Unglückliche nicht drei Tage mehr.
8. Den Türken ſind unſere Geiſtlichen, unſere
Kirchen, unſere Glocken, unſere Heiligenbilder ein Gräuel,
welche ſie öffentlich ſchänden und beſchimpfen. ö
9. Wir zahlen dem Sultan Steuer und tragen un-

terſchiedlich ſchwere Laſten, erhalten aber keine Bildung,

haben keine Schulen und wenn Jemand ſolche wollte,
gleich würde er eingeſperrt und müßte es mit dem Kopfe
bezahlen.
10. Gibt es irgend eine Arbeit auf den Straßen
des Sultans, da geht die Rajah fünf, ſechs Tage weit
vom Hauſe weg und arbeitet acht Tage ohne Brod, ohne
Bezahlung, die Türken aber ſind frei.
14. Braucht man Pferde zur Beförderung des Pro-
viants für die türkiſchen Truppen, gleich ſind die Zaptijes
(türkiſche Gendarmen) im Vorf, die ſich von den Bauern
aushalten laſſen und am andern Tage Pferde und Men-

ſchen auf fuͤnfzehn bis zwanzig Tagmärſche mitnehmen,

ohne Nahrung, ohne Zahlung.
12. Wie können wir Gerechtigkeit erlangen von den
türkiſchen Gerichten, wenn ſie zuſammengeſetzt ſind aus
einer Anzahl wilder Türken und nur zwei Chriſten, welche
aus Zwang ſelbſt den Tod eines ehrlichen Chriſten un-
terſchreiben mũſſen. ö —
13. Wird irgend ein armer Chriſt zu einer Arbeits-
leiſtung oder ſonſtigen Schuldigkeit mit dem Pferd auf-
 
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