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Heidelberger Familienblätter — 1875

DOI Kapitel:
No. 79 - No. 87 (2. October - 30. October)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43706#0331

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gefordert und entſchuldigt er ſich, daß er verhindert iſt
durch Arbeit, oder weil Jemand in ſeinem Hauſe krank
iſt, gleich iſt der Zaptije da, der ihn ſchlägt, häͤufig halb-
todt ſchlägt und oft bis zu Tode hetzt.

14. Legt irgend ein Türke eine Klage dem Gerichte

wor, ſo iſt ſie alsbald entſchieden; legt ſie aber ein Chriſt
vor, ſo kann er bis ans Ende der Welt warten oder er
muß eine Beſtechung geben, die zehnmal größer iſt, als
ihm ſein Recht werih iſt.
ö 15. Sicherheit kann man beim Türken nicht haben.
16. Kommt der Aga, ſo iſt es ſein Erſtes, das
Kreuz, die Heiligen, den Altar, die Kirche u. ſ. w. zu
ſchmäfun
Maß. Semail Aga Scharicz, der im Gerichtshofe von
Stolac ſitzt, nöthigte mit Gewalt die unglückliche Rajah,
ihm dem Sumpf von Kuzat auszutrocknen und richtete
die Sache ſo ein, als ob das Volk an den Straßen des
Sultans arbeiten würde, und das Alles, ohne einen
Heller für die Arbeit. Das thut aber nicht er allein,
ſsondern ſo handelt jeder Türke. ö
18. Redlichkeit gibt es bei der türkiſchen Regierung
keine, denn die Beamten haben nur einen kleinen Gehalt
und ſind genöthigt, allerlei Ungeſetzlichkeiten und Gewalt-
[hätigkeiten zu begehen. ö
19. Kann es doch den Türken kaum noch leichter
ſein, die Rajah ungeſetzlich zu verurtheilen; der Prozeß
wird in türkiſcher Sprache geführt, welche die Rajah
nicht verſteht,
gefällt.
20. Ein Sumpf bei Varda Glavica und Glavica
Kozarica gehörte den dortigen Bauern. Dieſen Sumpf
haben die dortigen Bewohner trocken gelegt und bebaut.
Aber die Türken Muj Aga Mehemedbaſic, Mula Alia
Mehemedbafic, Achmed Aga Mehemedbafic, Dervis Aga
Grebo, Agi Bec Baſanic, Memis Aga Ciber und Mehe-
med Uskovic kamen und eigneten ſich dieſen Sumpf im
Ausmaße von 1000 Joch an.
Hohe und geehrte Herren! Europa hat ſich bis
zum heutigen Tage verändert und hat von ſeinen Thronen
viele edle und vom Chriſtenthum erfüllte Kaiſer, Könige
und Fürſten geſtoßen, und heute, im Zeitalter der Bil-
dung, haltet Ihr noch immer ſo viel auf den türkiſchen
Varbaren? Hohe und geehrte Herren! Unter der tür-
kiſchen Peitſche können und wollen wir nicht leben. Wir
ſind Menſchen und kein Vieh. Wenn Ihr uns nicht
helfen wollet, ſo könnt Ihr uns auch nicht zwingen, in
die Sclaverei zurückzukehren. Den türkiſchen Ver-
ſprechungen ſchenken wir keinen Glauben mehr und was
Eure Verwendung betrifft, die Ihr uns anbietet, ſo ha-
ben wir uns überzeugt, daß ſie bei den Türken nicht ſo
viel gilt als eine Bohnenſchote. Wir wollen Freiheit,
wahre und volle Freiheit. Lebend werdenz⸗wir in die
türkiſchen Hände nicht fallen.
Metrowic, 12. Sept. 1875.“

Boyton auf dem Rhein.

Die „Straßb. Ztig.“ berichtet unterm 4. Octbr.:
„Wir hatten heute Morgen den Beſuch des Hrn. Capi-
täns Boyton aus Newyork, welcher uns über die höchſt
intereſſante Waſſerfahrt, welche er am Sonntag von Baſel
bis Kehl zurücklegte, eingehende Mittheilungen machte. In
den von ihm erfundenen und durch viele Staaten paten-
tirten Schwimm⸗Apparat gehüllt, verließ er Baſel am

Samſtag Morgen 5 Uhr mit dem erſten Morgengrauen.

In der Gewaltthätigkeit kennt der Türkc kein

und ſie thun, was ihnen beliebt und

Anſtatt daß ſich aber das Wetter, wie gehofft, aufklärte,
verſchlechterte es ſich, und eine halbe Stunde ſpäter be-
fand ſich Boyton in einem dichten Nebel, der 2 Stunden
lang anhielt. Gegen 10 Uhr gerieth er in einen Wirbel,
der ihn wieder ſtromaufwärts trieb, und es gelang ihm
nur durch erhöhte Kraftanſtrengung, ſich nach Verlauf
einer Viertelſtunde mit Hilfe ſeiner beiden Ruder aus
demſelben herauszuarbeiten. Gegen 11 Uhr bemerkte er
einen alten Bootsmann, den er mittelſt der wenigen ihm
zu Hülfe ſtehenden deutſchen Phraſen fragen wollte, wo
er ſich befinde. Er blies ihm mit ſeinem Horne zu.

Als nun der alte Bootsmann den ſchwarzen Klumpen
erblickte, aus welchem ſich blos ein kleiner Theil des

Geſichtes (Naſe, Mund und Augen), als einem menſch-
lichen Weſen angehörig darſtellte, glaubte derſelbe, „das
iſt der Teufel gar“, und ergriff die Flucht. Dieſes
Schauſpiel wiederholte ſich noch öfter im ſpäteren Ver-
laufe der Fahrt. Kurz vor Alt⸗Breiſach, wo man gerade
mit dem Baue einer neuen Brücke beſchäftigt iſt, gerieth
Boyton in einen zweiten Wirbel, aus dem er nur mit

Mühe herauskam. Als er kurz vor 12 Uhr in Alt-

Breiſach um einige Stunden ſpäter, wie vorgeſehen, an-
kam, erquickte er ſich daſelbſt durch einige Gläſer Brannt-
wein, welche ihm, während er ſich am Ufer etwas aus-
ruhte, dargebracht wurden. Nach kurzer Raſt von einer
Viertelſtunde ſetzte er den Weg fort. Die Sandbänke,
Wirbel und ſtarken Strömungen, dann die vielen Krüm-
mungen, an denen der Rhein auf der Strecke von Baſel
bis Kehl ſo reich iſt, machten ihm außerordentlich viel zu
ſchaffen, und er verſicherte uns, auf ſeinen Fahrten auf
den amerikaniſchen Strömen Miſſiſſippi, Ohio und Miſ-
ſouri nie ſo große Ungelegenheiten gehabt zu haben wie
auf dem Rhein. Gegen 6 Uhr Abends trat vollſtändige
Dunkelheit ein, und von nun an blieb Boyton bemüht,
ſich ſtets in der Mitte des Stromes zu halten. Endlich
kurz vor 8 Uhr ſah er die Lichter von Kehl, und nun
ließ er ſeine Leucht⸗Signale aufſteigen. Ein über di
Eiſenbahn⸗Brücke dahinbranſender Zug kündigte ihm an,
daß er am Ziele ſeiner leidensvollen Reiſe angekommen
war. Er wußte aber nicht, daß vor der Eiſenbahn-
brücke noch eine Ponton⸗Brücke ſich befindet, welche er
nicht in ſeine Vorberechnung aufgenommen hatte. Die
ſich ſtark verengende Strömung und die dichten ſchwarzen
Gegenſtände, die er in unmittelbarer Nähe vor ſich hatte,
machten ihn auf die Gefahr aufmerkſam. Er hatte nicht
mehr Kraft und Zeit genug, genau in der Mitte zwiſchen
2 Pontons hindurch zu fahren, ſondern ſtieß mit voller
Gewalt gegen einen Ponton, wodurch ihm ein ſehr hefti-
ger Schmerz im Nacken und Rücken verurſacht wurde.
Gleichzeitig kam er unter das Waſſer. Nach einigen Se-
cunden hatte er ſich wieder an die Oberfläche empor-
gerudert, die gefäͤhrliche Ponton⸗Brücke lag hinter ihm,
und nun konnte er am linken Ufer, an der Stelle, wo
der Fußweg unterhalb der Rheinbrücke zu den Badeſtellen
führt, kurz nach 8 Uhr ans Land ſteigen. Im vollen
Coſtüm ging er, von vielen Neugierigen, bie ſeiner harr-
ten gefolgt, über die Schiffbrücke zum Hotel „Salmen“
in Kehl und fuhr dann kurze Zeit darauf nach Straß-
burg, um im „Engliſchen Hof“ Abſteig-Quartier zu neh-
men. Capitän Boyton macht kein Hehl daraus, daß er
ſich um viele Stunden zu ſeinem Nachtheile verrechnet
hat, und daß nach fünfzehnſtündigem Aufenthalte im
Waſſer ſeine Kräfte zu ſchwinden anfingen. Er gedenkt
einige Tage in Straßburg zu bleiben. Ende der Woche
will er, von den Reportern zweier engliſcher Journale
begleitet, die Fahrt nach Mainz antreten.“

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