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Heidelberger Familienblätter — 1875

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No. 79 - No. 87 (2. October - 30. October)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43706#0332

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E 324 —

Bom Bodenſee, 3. Oct. Herr Capitän Boyton
hat, wie wir erfahren, geſtern Morgens 5 Uhr in ſeinem
Kautſchukanzug Baſel wieder verlaſſen und iſt den Rhein
hinunter nach Straßburg gefahren, wo er am gleichen
Abend angekommen iſt. Als Vertreter der Preſſe
begleitet ihn Herr v. Sierakowski. Montag früh ſoll die
intereſſante Rheinfahrt, deren Endziel bekanntlich Köln
iſt, fortgeſetzt werden. Boytons's Rettungsapparat be-
ſteht, wie ſchon erwähnt, aus vulkaniſtriem Kautſchut
und iſt ſomit ganz waſſerdicht. Er zerfällt in zwei Theile,
einen für den Oberkörper, den anderen für den Unter-

körper. Beide Theile ſind für ſich aus einem Stück ge-

arbeitet. Der obere gleicht einer Jacke mit Kaputze und
hat Aermel mit Handſchuhen. Für den Mund und die
RNaſe zum Athmen und für die Au gen zum Sehen iſt je
eine kleine Oeffnung gelaſſen, welche aber ſo eng an die
Wangen anſchließt, daß kein Tropfen Waſſer durchdringen
kann. Die Gewandſtücke des Unterkörpers beſtehen aus
Beinkleidern und Stiefeln. Um den Unterleib läuft ein
ungefähr 4 Zoll breites Stahlband, welches mit pulveri-
ſirtem Kautſchuk überzogen iſt. Außerdem befinden ſich
in dieſem Stahlbande mehrere Vertiefungen und Er-

höhungen, die genau in die Laſchen für den Oberkörper —

paſſen. Fünf Schläͤuche ſind an dem Apparate zum Ein-
und Ausblaſen der Luft angebracht: an den Beinen, auf

der Bruſt, am Rücken und am Hinterkopf. An jedem
Schlauche bemerkt man ein elaſtiſches Rohr, um je nach

Belieben Luft einzublaſen und wieder zu entfernen.
Mittelſt dieſes Apparats treibt Derjenige, der ſich deſſel-

ben in der Stunde der Gefahr bedient, wie ein Stück

Kork auf dem Waſſer. Man bläſt die Luft ein, um
erſtens den Körper auf dem Waſſer, und zweitens, um
die Körpertemperatur im nöthigen Gleichgewicht zu er-
halten. Um ſich fortzubewegen, bedient man ſich eines
Schaufelruders, welches mittelſt Riemen am Handgelenk
oder am Gürtel befeſtigt werden kann. Zu dem Anzug
gehören ferner eine mit einem Kompaß verſehene Uhr,
ein Sprachrohr, ein kurzes Taſchenmeſſer und ein ſchwim-
mender Reiſeſack zur Aufbewahrung von Lebensmitteln.
— Herr Kapitän Boyton iſt, wie wir hören, am 12.
Auguſt 1848 in Pittsburg (Pennſylvanien) geboren,
demnach erſt 27 Jahre alt, und hat bereits 71 Schiff-
brüchigen das Leben gerettet. (K. Z.) ů

Verſchiedenes —
Bergen, 16. Sept. Der vom Eismeer nach Ham-
merfeſt zurückgekehrte Schooner „Regina“, Capt. Gunder-
ſen, hat auf ſeiner Reiſe den nordöſtlichen Theil von
Novaja Smlja befahren und war im „Eishafen“ ein-

gelaufen, wo der Holländer Barent den Winter 1596.

bis 1597 verweilte. Capitän Gunderſen bringt nach
„Finmarktsp.“ ein dort gefundenes Schiffsjournal mit,
welches Capitän Barent vom 1. Juni bis 29. Auguſt
1580 führte. Da das Journal vom Jahre 1580 iſt, ſo
kann es ſich freilich nicht auf den Aufenthalt Barent's

im Eishafen beziehen, wird nichts deſto weniger aber

doch von Intereſſe ſein.

(Bonmot.) Wie bekannt, legt der Director Haaſe
am Leipziger Stadttheater binnen Kurzem ſeine Direction
nieder und übernimmt der Regiſſeur des Wiener Hof-
burgtheates Dr. För ſter die Leitung deſſelben. Der
Leipziger aber ſieht die Nachkommenſchaft des Dr. Förſter
als naturgemäß an, indem er ſagt: Der Haaſe läuft,
weil der Förſter kommt!

AGuf dem Bürgerball.) „Können Sie mir-
nicht ſagen, wer jene liebliche junge Dame iſt, die ſanft:
hingehaucht dort auf dem Divan ruht und eben, wie er-
müdet, das holde Köpfchen zum Träumen auf die zarte

Lilienhand ſtützt?“ꝰ

„Das iſt die Tochter des Fleiſchermeiſters Schweine-
feind; ſie hat heute früh ihrem Vater ein paar Säue-
abſtechen helfen und den ganzen Tag über Wurſtfleiſch
gehackt, — daher mag ſie wohl jetzt etwas müde ſein.“

(eutſeliges.) Wie heißt er denn? —
Ernſt. — ö ö 2
Warum nicht Fritz oder Wilhelm? —
Miein Vater, Herr, hatte mit der Mutter einen Spaß
gehabt und da iſt ein Ernſt d'raus geworden. ö

aund's Klagelird.
(Aus dem Altbreiſach'ſchen überſetzt.)

Ich weiß nicht was ſoll es bedeuten,
Daß ſo verſtimmt ich bin,
Das halbvollendete Wunder,
Es will mir nicht aus dem Sinn,

S war Alles ſo ſchön im Gange,
Die Jungfrau ſaß ſhon feſt
Schon ſahen im Geiſte wir wallen
Die Frommen nach unſerem Neſt.

Die blutige Heilige ſitzet
Im Bette ſtigmatiſirt
Es heulten die alten Weiber
Bis auf die Knochen gerührt.

Am End kam gar der Majunke,
Der „gläubige Paul“, zum Beſuch,
Und machte aus unſerem Wunder
Ein gar verwunderlich Buch.

Und erbarmte ſich erſt die „Germania“,
Und ſchrieb's in die Welt hinaus,
Da waren mit einem Treffer
Wir armen Caplane raus. — —

Jetzt riß mit dem „Gürtel der Buße“
Der ſchöne Wahn auch entzwei,
Der Schleier ward leider gelüftet,
Von unſerer Schwindelei.

Die halb ſchon fertige Heil'ge
Entſchlüpft unſerer frommen Hand,
Und es geht ein Lachen des Hohnes
Durch's weite deutſche Land.

Adieu denn, ihr Opfergaben,
Rivalin der Lateau, leb wohl!
O daß doch die Liberalen —
Unſer Vetter, der Teufel, hol.

Weh! „Kladderadatſch“ ſchon und „Weſpen“
Beſingen den mißglückten Plan — —
uUnnd das hat mit ſeiner Enthüllung
Der Bezirksarzt Würth nus gethan.
(Mannh. Lat.)

Oruck und Verlag von Adolph Emmerling in Heidelberg.

BFür die Redactlon verantworllich Ad. Emmerling.
 
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