Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1879

DOI Kapitel:
No. 9 - No. 16 (1. Februar - 26. Februar)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43709#0041

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heidelberger Lamilienblätter

Beletriſiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

NO. 9.

Samſtag, den 1. Februar

1879.

Ein Blatt aus meinem Skizzenbuch.
Novelle von Brigitte Klein.

(Fortſetzung.)

Klemens war beſtürzt. Der Advokat ſtellte ihm
vor, daß er nicht anders könne, als dauernd hier bleiben,
ſeine friſche Kraft daran ſetzen müſſe, das verkommene
Gut zu heben; er erlaubte ſich die Andeutung, daß ein
Mann wie Klemens ſich nur umzuſchauen habe nach der
Hand einer begüterten Erbin, „Verzeihen Sie einem
alten Freund, die Heirath Ihres Vaters war nicht klug;
denn er war ſchon damals nicht in der Lage, einen ſolchen
Schritt thun zu können. Sie ſind zum Manne gereift
— ich darf Ihnen ſagen, daß ich die Partie für die Ver-
wirklichung einer der kranken Ideen gehalten, die zu Zei-
ten ſo ſchmerzlich den klaren Geiſt Ihres armen Vaters
verdüſterten: und wie leidvoll war der Ausgang!“
„Haben Sie meine Mutter gekannt?“
„Ja, gekannt,“ erwiderte der alte Mann mit leuch-
tendem Blick; „ſie war das reizendſte Geſchöpf, das ich
geſehen; aber zu frohem Lebensgenuß geſchaffen; die Luft

weht ſcharf auf Rabenhauſen — es gedeihen hier keine

Pflanzen des Südens.“
Der wohlmeinende Herr war geſchieden — ruhelos
wanderte Klemens auf und ab: er verlangte nach Leben
und Bewegung und ſchritt dem Dorfe zu., Kinder mit
zerlumpten Kleidern ſpielten auf der breiten Straße, und
gekrümmte Geſtalten kauerten vor den verfallenen Kathen;
hier war er feſtgebannt — wie ſollte er das ertragen?
Seinen Beruf aufgeben, ſeinem heißeſten Begehr ent-
ſagen, einſam unter den wehmüthig ſchaurigen Erin⸗—
nerungen — o die dunklen Geſtalten, die ihre nächtlichen
Schwingen um den Geiſt des Vaters gelegt — würden
ſich ihm bald nahen. Rauſchten ſie nicht ſchon durch die
kahl werdenden Zweige der Pappeln?
* * *
In der Hauptſtadt der ſüdöſtlichen Provinz des
Königreichs nahm das geſellige winterliche Treiben einen
munteren Anfang. Die kalte Jahreszeit hatte ſich früh
durch ſcharfen, klaren Froſt bemerkbar gemacht; die An-
lagen waren belebt durch die bunten Gruppen der Schlitt-
ſchuhläufer und das fröhliche Geläut der Schlitten. Con-⸗
certe und Bälle drängten einander, und alles verkündete
laut, wie die bevorzugte Claſſe den harten Feind der
Armen in luſtigſter Weiſe beſiegte. Die erſten Kreiſe der
Geſellſchaft, die vornehmlich aus der zahlreich vertretenen
Garniſon und den aus der Umgegend für den Winter
anweſenden Grundbeſitzern beſtand, hatten ſich auch dem
begüterten Fabrikherrn geöffnet, deſſen Reichthum und
wohlgeachteter Name ihm eine Stelle eingeräumt neben
ſolchen, die es wohl zum Theil als eine demüthige Con-
ceſſion an die neue Zeit anſahen, daß er ſich unbehindert
in Sphären bewegen durfte, die ſie gern als ihr aus-
ſchließliches Erbtheil beanſpruchten. Seine Eigenthüm-
lichkeit war aber beſonders geeignet, böswillige Blicke

und beſchränkte Vorurtheile zu entwaffnen; denn er ließ
die geſellſchaftlichen Vorzüge des Adels unbedingt beſtehen,
ohne ſich zu beeifern, ſich ihnen durch andere Würden
und Ehren zu nähern, als die, welche ihm ſein erfolg-
reiches Schaffen erworben. Seine Frau wußte mit dem
ihr eigenen Takt jedes Zurſchauſtellen der günſtigen äußern
Lage zu vermeiden, ſo daß eine geſellſchaftliche Annäherung

an ſie viel häufiger erſtrebt wurde, als es ihrem häus-

lich gerichteten Sinn entſprach.
Eine nicht geringe Anziehungskraft übte freilich ihre
zu ſo ſeltenem Liebreiz erblühte Tochter aus, die in we-
nigen Wochen für die geſuchteſte und hübſcheſte junge
Dame galt. — Wie Viele ſich auch unbedingt ihren
Reizen ergaben, geblendet von dem Nimbus, mit dem ſie
der ſolide Reichthum ihres Vaters umkleidete, ſo wurde
ſie doch von weniger beſtechbaren Naturen aufrichtig be-
wundert. Mancher wollte ſie zwar für kalt und lang-
weilig erklären; denn es ſchien unmöglich, ihr einen ko-
ketten Funken zu entlocken; aber die beſcheidene Zurück-
haltung war doch wiederum der Jugend angemeſſen:
freilich wunderte man ſich allgemein, wie ſie bei der
augenſcheinlichen Auszeichnung, die ſie überall genoß, ſo
beſcheiden und gehalten blilb — und hier und da war
man bereit genug, ihr Mangel an Empfindung zur Laſt
zu legen. Von den vielen neuen Bekannten, die ſich gern
Eingang verſchafft in der zierlichen Villa der Neuſtadt,
ahnte keiner, was in dem Herzensleben des jungen Mäd-
chens vorging, das ſich oft aus dem Ballſaal fortſehnte
und die zuvorkommende Begegnung ihrer Geſellſchafter
mit Ungeduld ertrug. Nach dem erſten Schmerz der
plötzlichen Trennung hatte ſie doch bald wieder Spann-
kraft und Freudigkeit aus der leuchtenden Hoffnung ge-
ſchöpft, daß jeder neue Tag ſie dem erſehnten Wiederſehen
nähere; ihre fröhliche Lebhaftigkeit erwachte; nur war ſie
hingebender und rückſichtsvoller als ſonſt gegen den Vater
und beſonders gegen die Mutter, deren etwas peinliche
Natur ſie oft zur Ungeduld und übereiltem Widerſpruch
geneigt machte. Während der erſten Zeit des Aufenthalts
in der Stadt hatte ſich die freudige Erwartung nahenden
Glücks auf ihrer Höhe erhalten, als aber Woche auf
Woche verrann, und kein Zeichen der Annäherung, kein
Kundgeben irgend einer Erinnerung erfolgte, ermattete
der Flug der jungen Phantaſie, und die Ahnung leidvollen
Entſagens ſchlich ſich in den ſtill gehegten Traum. Herr
von Norkop hatte ſeine freundlichen Beziehungen zu der
Rothberg'ſchen Familie ſofort nach ihrer Rückkehr auf-
genommen, und um häufigere Zuſammenkünfte zu ermög-
lichen und dieſelben fruchtbar und angenehm zu geſtalten,
hatte er ein andeutendes Wort des Hausherrn bereitwillig
ergriffen, das ihn bewog, im kleinen Kreiſe allwöchentlich
eine Vorleſung zu halten über irgend welche Erſcheinungen
auf dem Gebiete ſeiner Wiſſenſchaft. Er fand ſich ſtets
zeitig ein und wurde dann und wann wohl von den
Damen des Hauſes oder auch von Roſe allein empfangen,
die für ſeine Beſuche ſtets das größte Intereſſe zeigte.
Hoffte ſie doch jedesmal auf eine ſo heiß erſehnte Mit-
theilung, die immer und immer ausblieb. Otto äußerte
nur, wie beunruhigt er durch das unerklärliche Schweigen
 
Annotationen