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Heidelberger Familienblätter — 1879

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No. 17 - No. 25 (1. März - 29. März)
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Heidelberger Lamilienblaͤtter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

No. 25. Samſtag, den 29. März 1879.
geh —! Uebrigens hat mir auch das Dienſtmädchen

Mutter und Tochter.
Novelle von L. Haidheim.
(Fortſetzung.)

Inzwiſchen hatten die beiden jungen Männer ſich
auf Gartenſtühle, unmittelbar unter den Fenſtern der
Generalin, niedergeſetzt. Sie ſchob ihren Seſſel ganz
zurück, um nicht geſehen zu werden, und dachte nicht

weiter an die jungen Männer, die leiſe mit einander

ſprachen. ö
Plötzlich wurde die Unterhaltung lebhaſter.
„Solch ein verteufeltes Pech!“ ſagte der Eine. —
„Denke dir das Mädchen, — dieſe angebliche Nichte der
Pleiderer, der Friſeuſe, ſtürzt wie gejagt vor mir her,
und als ich ſie geraͤde erreicht habe und ſie mir nicht
mehr entrinnen kann, wer biegt um die Ecke? Unſer
Geſtrenger! dicht vor einander, Aug in Auge ſtanden
wir uns gegenüber, und was thut ſie?“
„O, mein Herr, ich bitte, ſchützen Sie mich! ruft
ſie und ſteht vor dem Alten; — ich ſage dir, trotz meines
Schreckens ſah ich, wie reizend ſie ausſah.“
„„ODonnerwetter! Das iſt Pech, und der General,
was that er?“ rief der andere junge Offizier.

„Was er that? Er ſah das hübſche Ding an, wie

wenn er mit ſeinen Augen ſie zu Aſche brennen wollte.
Sie hatte die Hände aufgehoben, gefaltet, und wahrhaf-

tig, ſie war todtenbleich, ſie dauerte mich ordentlich. —

Auf einmal machte Se. Excellenz ein anderes Geſicht,
ſah mich ganz ſchauderhaft verheißungsvoll an, und ohne
mir ein Wort zu ſagen, bot er ihr den Arm.
„Kommen Sie, meine junge Dame, ich werde Ihnen
eine Droſchke beſorgen!“ — Die kleine naive Perſon
antwortete aber ganz ſchlank weg: „O, es iſt nicht weit,
mein Herr!“ und ſo zogen ſie von dannen! Ich habe
Ordre, jetzt meine Lektion hier abzuholen; — er ſah mich
auf der Parade an, daß mir's heiß und kalt über den
Rücken lief.“ —
„Beim großen Zeus, da haſt du dir 'ne hübſche
Suppe eingebrockt! Na, ich gratulire! — Wenn ich nur
verſtände, weßhalb du deine Sachen ſo verteufelt einfäl-
tig beſorgſt? Ou unkluger Kerl, wohnſt ja mit der
Pleiderer Haus an Haus, da brauchſt du doch wahr-
haftig nicht —! Rein, ſich ſo zu komprimittiren! In
ſolchen Dingen verſteht der Alte gar keinen Spaß, das
kann ich dir ſagen!“ ö
„Ha, ich hätte mich natürlich ſelbſt ohrfeigen mögen.
Aber dieſe ſchlaue Perſon, die Pleiderer, iſt ſo rar mit
dem Mädchen, — nie geht es allein aus, die „Tante“
iſt wie ein Drache ſtets dabei —. Im Laden bin ich
alle Tage, aber da hinein kommt ſie nie, und die Jüng-
linge, die ſich des Pomadehandels dort befleißigen, ſind
ſo voll von der Bildung und dem Stolze des Fräuleins,
daß ich überzeugt bin, dahinter ſteckt was anderes! Zum
Teufel, die Pleiderer kann gar nicht verwandt mit ihr
ſein; ich bin den beiden hundertmal begegnet, das Mäd-
chen iſt fein, elegant, eine Lady — und dieſe Pleiderer,

von Pleiderer geſagt, Fräulein Liſa habe gar nicht bleiben
wollen, habe ſehr viel geweint, und da ſei der Herr
Pfarrer dageweſen, ſie zu holen; inzwiſchen iſt die Plei-
derer erkrankt, und nun iſt ſie noch dort geblieben!“
„Hm! Sei nur ſo gut, nicht gar eine Muſe oder
Grazie in deiner Flamme zu ſehen! Was läuft ſie denn
Abends nach Zehn allein auf der Straße umher? —“
„Herr Golt, als wenn ich das nicht ſelbſt arrangirt
hätte! Sie war in einer Vorleſung geweſen, ihrem Mäd-
chen hatte ich bedeutet, es ſei überflüſſig; — es war alſo
nicht da, als die Geſchichte aus war; ſie wartete, ſuchte‚
ſchließlich wurde das Haus leer, ſie mußte ſich heraus-
wagen und that das auch, indem ſie mit dem Muthe der
Verzweiflung ſo raſch lief, daß ich ſie bei Gott nicht ein-
holen konnte, und da rannten wir denn in das ſtock-
finſtere, rabenſchwarze Unheil hinein!“
„So mach' doch bei der Pleiderer den Liebenswür-
digen!“ rieth der Andere freundſchaftlich.
„Ah, ja wohl —! Die Perſon iſt nicht der Art.
Sie hat eine verteufelt ſanftmüthige Manier, einem die
Thür zu zeigen! Wenn ich nur herausbringen könnte,
was ſie mit dem Mädchen will! Sie kleidet es und hält
es wie eine Dame von Stande, böre ich von Pleiderers
Minna; — dabei kann Fräulein Liſa Latein und Griechiſch,
und Frau Pleiderers drittes Wort zum Mäcdchen iſt:
„Laſſen Sie das Fräulein Liſa nicht ſehen! Sorgen Sie
nur erſt ſür Fräulein Liſa! Juſt als ob dieſe da eine
Reſpektperſon wäre! Und dabei hat das Mädchen ſo
etwas Demüthiges, Weibliches, wie man es ſonſt nie-
mals findet!“
„Iſt ſie denn wirklich ſchön?“ fragte der Freund.
„Schön — ? No, reizend! keine Schönheit! —“
„Etwas beauté de diable?“
„Nicht ein Gedanke daran —! Ich kann ſie gar
nicht beſchreiben, ſie iſt ganz eigenartig. Sanft, klug,
lebhaft und ſie hat Augen! Prachtvoll — ſchwarz faſt!
und doch ſo lieblich und mädchenhaft!“
„Na, nun biti' ich dich aber, du biſt völlig vernarrt!
Wenn ich dir rathen ſoll, ſo ziehe aus und ſuche dir ein
anderes Quartier!“
„So? Damit du mein zukünftiger Nachfolger wer-
den kannſt! Ah, — ich danke, du biſt ſehr gütig!“ rief
gereizt der verliebte junge Herr.
Da kam der General. Beide Offiziere erhoben ſich
raſch, zogen ſich die Uniform in die Taille, rückten an
der Degenkoppel und ſtanden dann in tadelloſer Haltung.
„Guten Abend, meine Herren! — Bitte — laſſen
Sie nur, Egon, ich bin eilig; ich habe da oben den
Rapport bereit gelegt, ſeien Sie ſo gut, mir bis morgen
früh die Regiſter fertig zu halten! —“ Damit winkte
er die Entlaſſung, und Herr Egon von Tallenberg ent-
fernte ſich. —
„So! Nun wären wir beide an der Reihe, Lieute-
nant von Bodingen! Ich bedauere, Ihnen ſagen zu
müſſen, daß Sie ſich unbegrenzt taktlos vnd unangemeſſen
benommen haben! Weitere Bemerkungen will ich Ihnen
erſparen. Sie werden Sorge tragen, durch Ihre fernere
 
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