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Heidelberger Familienblätter — 1879

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No. 61 - No. 69 (2. August - 30. August)
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Heioclberger Zamilien

Häter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

No. 64.

Mittwoch, den 13. Auguſt

1879.

Dit Tochter des Wildſchützen.
Novelle von S. v. d. Horſt.
(Fortſetzung.)
Ein halb ſcheuer, halb grollender Blick des Vaters
traf den Sohn. „Du plaidirſt förmlich für den —
Taugenichts,“ warf er hin. „Stehſt wohl mit ihm im
beſten Einvernehmen, leihſt vielleicht gar unter der Hand
noch Geld und Bürgſchaft, he?“

Ernſt lächelte. „Du zahlſt mir kein ſo hohes Salair,

daß ich wohlthätige Werke üben könnte, Vater,“ verſetzte
er. „Aber mache das doch nach deiner Anſicht, — wa-
rum fragſt du mich überhaupt?“ ö
Der Alte ſchwieg erbittert. Vielleicht war es das
Beſte, die Firma Bornau ganz eingehen zu laſſen und
teſtamentariſch alle Kapitalien ſo zu ſichern, daß weder
Ernſt noch Paul jemals mehr als nur den Zinsgenuß
erlangen konnten, vielleicht ſpekulirten jetzt ſchon beide
Söhne im Verein mit ihrer Mutter auf ſeinen, des be-
leidigten Vaters Tod, um dann das koloſſale Vermögen
mit vollen Händen zu vergeuden. Er zitterte bei dieſem
Gedanken, aber zu einem beſtimmten Entſchluß in Betreff
Pauls gelangte er nicht, einſtweilen wandten ſich daher
die abgewieſenen Gläubiger um ſo drohender gegen den
Maler ſelbſt, und Paul mußte alle ſeine Beredtſamkeit
aufbieten, um ſie bis zur Vollendung des großen Gemäl-
des zum Schweigen zu bringen. Das beeinträchtigte aber
ſeine Stimmung in keiner Weiſe. „Gib Acht, Liebchen,“
ſagte er, „dies Stück wird Aufſehen erregen, „ich habe
ihm den hervorragendſten Platz in der nächſten Pariſer
Ausſtellung bereits geſichert — auf Glück und Konnexionen
kommt alles an! — es bringt uns Tauſende ein, ſo daß
wir nicht allein ſämmtliche Manichäer abſchütteln, ſondern
auch noch einen hübſchen Ueberſchuß erzielen können.
Dann zeige ich dir Rom und Neaptl!“
Helene lächelte durch Thränen. „Aber bis dahin iſt
es noch lange, Paul, — und wer weiß denn, ob ſich ein
Käufer findet!“
„Für dieſes Bild, Schätzchen? das verſtehſt du nicht.
Kenner und Sammler werden ſich um den Beſttz ſtreiten.
Sei du nur ganz außer Sorgen, ich weiß was ich thue.“
Helene ſchmiegte ſich in ſeinen Arm. „Aber ich habe
gar kein baares Geld mehr, mein Paul, — könnteſt du
unmöglich deinen Vater —“ ‚
„Still!“ rief er heftig. „Laß mich das Wort nicht
wieder hören, Kind. Che ich den herzloſen alten Mann
um Hülfe bitte, will ich hingehen und Anſtreicher werden.
O du weißt nicht, wie es in dieſer Seele ausſieht, wie
er meine arme Mutter mißhandelt, ja ſogar geſchlagen
hat, wenn ſie ihm nicht blindlings gehorchte. Er iſt ein
Tyrann, ein Heuchler, Gott vergebe mir, daß ich es aus-
ſpreche, aber die Wahrheit verträgt zuweilen kein mit-

leidiges Gewand, ſie muß ganz unverhüllt daſtehen, um

Würbe ur keitden als das, was ſie wirllich iſt. Er
würde mir keinen Groſchen geben, caxina, au nr
ihn baͤte.“ 10 nüii wenn

Die junge Frau ſchwieg, aus Furcht, Pauls Heftig-
keit nur noch immer mehr zu entflammen. Seinen Vater
haßte er, das wußte ſie ja längſt, und gewiß nicht ohne
Grund, obgleich er ſelten von dieſen troſtloſen Verhält-
niſſen ſprach. Da gab es keinen Ausgleich, keine Hoff-
nung auf ein Beſſerwerden, es war alſo richtiger, über-
haupt nicht mehr darauf zurückzukommen. — Helene
verkaufte heimlich ihre kleinen Schmuckſachen, lieh bei
Bekannten und machte Schulden, aber gegen Paul ließ
ſie keine Klage wieder laut werden, und ſo vergingen
denn die erſten Wochen ihrer jungen Ehe nicht ohne in-
nere tief verſteckte Stürme. Sie war es, die alles An-
drängen der Gläubiger abwehrte, die gewiſſermaßen
zwiſchen ihm und ſeinen Widerſachern ſtand, glücklich wenn
es ihr gelang, ihn von ſtörenden Eindrücken freizuhalten,
— ſie war es aber auch, die täglich unter Pauls ſchaffen-
der Hand das Bild entſtehen und ſich geſtalten ſah, die
heimlich dieſe Skizze mit den drei früheren verglich und
Zug um Zug daſſelbe Ganze wiederfand. Er malte aus
dem Gedächtniß, das bezweifelte ſie keinen Augenblick, —
er verweilte mit einer Art von liebevoller Anhänglichkeit
bei dieſen Felsgruppen, dieſen Wolken und dem Staub-
bach, der tief unten als Waſſerfall ſchäumend und ſtürzend
über die Klippen dahinſchoß.
Helene ſaß zuweilen ſtundenlang mit dem Nähzeug
zwiſchen den Fingern hinter Pauls Stuhl im Atelier und
beobachtete ſtumm das werdende Bild. In ſeiner un-
gewöhnlichen Größe, nur den Umriſſen nach vollendet,
bot es ihrer Phantaſie den ausgedehnteſten Spielraum.
Wie oft doch Paul da oben unter dem überhängenden
Felſen geſtanden haben mochte, wie oft er das Schäumen
und Toben des Waſſerfalles angeſehen hatte und die ſpie-
lenden Reflexe an den Klippen?
Es zog ihr eiferſüchtiges Herz zuſammen wie im
Krampf. Hatte Paul da oben die Poeſie und wild-
romantiſche Schönheit der Scenerie allein genoſſen?
Hatte nicht in ſeiner Hand eine andere gelegen, war
nicht ſeinem trunkenen Blick ein anderer verſtändnißinnig
begegnet?
Immer tiefer ſpann ſie ſich hinein in den Gedanken,
immer weiter wagten ſich ihre kecken Schlußfolgerungen,
indeß neben ihr der Maler Klippe um Klippe erſtehen
ließ, dieſe halbüberſchäumt von Waſſer, jene mondbeleuchtet,
ſtill und einſam wie eine Inſel, indeß unter ſeiner Hand
das Hüttchen aufwuchs und die verwitterte zerbrochene
Barriere vor demſelben. Sie konnte erſchreckend zu-
ſammenfahren, wenn er ſie in ſolchen Augenblicken an-
redete. „Wird's hübſch, Lenchen? Gib Acht, du ſollſt
noch im nächſten Jahre den Süden ſelbſt kennen lernen.“
„Wollen wir dieſe Stelle beſuchen?“
Das war geſagt, ehe die junge Frau Zeit hatte,
nachzudenken; ſchon in derſelben Minute bereute ſie das
vorſchnelle Wort. Ihr Herz hämmerte zum Zerſpringen,
— was würde Paul auf dieſen Vorſchlag antworten.
Er vermied es, ſie anzuſehen. „Dorthin, Leni? Nun
du kleine Großſtädterin, die du bis jetzt von der Welt
nur einen Fleck platten Landes kennen gelernt haſt, es
möchte dir ſchwer werden, in dem Gewirre italieniſcher
 
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