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Heidelberger Familienblätter — 1879

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No. 52 - No. 60 (2. Juli - 30. Juli)
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*

aberger zamilienblatter.

Beletriſiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

No. 56.

Mittwoch, den 16. Juli

1879.

Das Atelier.

Erzählung von Heinrich Seidel.

(Fortſetzung.)

„Lauter Bleifedern,“ ſagte er, „Faber Nr. 2, Faber
Nr. 3. . . Gutknecht ... Hardtmuth ... ach, haben
Sie keine Feder?“ fügte er faſt kläglich hinzu, „eines
Stahlfeder und Tinte?“
Wolfgang brachte beides herbei. „Genügt eine Blei-
feder nicht für dieſen Zweck?“ fragte er.
„Ich ſchreibe ſehr ungern mit Bleifedern, nur im
alleräußerſten Nothfalle,“ ſagte Bach, „es ſagt mir nicht
zu, es iſt mir,“ ... er ſuchte eine Weile in allen Gehirn-
ſchiebladen nach einem Ausdruck und krähte ſchließlich
ſichtlich erfreut „es iſt mir nicht monumental ge-
nug!“ Dann ward er eine Zeitlang unſchädlich und
ſchrieb eifrig. Wolfgang kehrte an ſeine Staffelei zurück
und wappnete ſich im Stillen mit Duldung. Er haßte
dieſen Menſchen. Benno Bach hatte davon keine Ahnung,
er lebte ſogar in dem Aberglauben, daß das Gegentheil
der Fall ſei.
ſeine Bilder, und wenn er ihm zu Wagen auf der Straße
begegnete, ließ er den Kutſcher halten, ſprang auf die
Straße, zog Wolfgang in die nächſte Reſtauration, alle
Ausflüchte nicht beachtend, und zwang ihn unter Freuden-
ausbrüchen über das glückliche Zuſammentreffen ein Glas
mit ihm zu trinken. Bei einer ſolchen Gelegenheit hatte
er einſt erklärt, er halte ſehr viel von Turnau und er
wiſſe, daß dieſe Neigung erwidert werde. Dieſer, der
mit Anſtrengung aller ſeiner Geiſtesgaben eben an der
Arbeit war, eine Ausflucht zu finden, um dem Verhaßten
zu entrinnen, beſaß in ſeiner Gutmüthigkeit den Muth
nicht, eine Aufklärung herbeizuführen, denn er mußte es
ſich doch ſagen, daß der Edle ihm in Wirklichkeit niemals
etwas gethan, ſich ſogar im höchſten Maße freundlich ge-
gen ihn erwieſen hatte. Mittlerweile hatte er ſich daran
gewöhnt, dieſe einſeitige Freundſchaft wie ein unvermeid-
liches Schickſal zu tragen.
Bach hatte ſeine Niederſchrift beendet und erhob ſich:
„Was ich hier eben aufſchrieb,“ ſagte er, „iſt mir viel
werth, es ſind die Samenkörner zu einem ganzen Cyklus
von Gedichten; ich fühle ſchon wie ſie keimen!“ Dabei
ließ er ſeine Züge einen ſinnenden Ausdruck annehmen
und ſtarrte eine kleine Weile in ſich hinein, gleichſam als
belauſche er dieſen geheimnißvollen Werdeprozeß. Darnach
fielen ſeine Augen auf das Bild. „Ein Portrait“, ſagte
er gleichmüthig, „ſcheint ja ein hübſches .... aber wie
iſt das möglich,“ rief er dann, „das iſt ja Fräulein
Springer! Und zwar durchaus vorzüglich gemalt, und
von der größten Aehnlichkeit! Iſt ſie jetzt in der Stadt!
Wie kommen Sie dazu?“ Wolfgang war verwundert
und unangenehm berührt. „Durch ein zufälliges Zu-
ſammentreffen,“ ſagte er, „ich kenne das Mäͤdchen kaum.“
„Sie wohnt jetzt hier!“ forſchte Bach.
„Ich glaube wohl,“ antwortete Wolfgang; dabei fiel
ihm mit Entſetzen ein, daß Helene mit ihrer Mutter je-

„*

Er beſuchte den Maler zuweilen und lobte

den Augenblick zur Sitzung kommen konnte; er machte
ſich im Zimmer etwas zu thun und verriegelte heimlich
die Thür, welche zu Frau Springers Räumen führte.
Er hatte das dunkle Bewußtſein, daß er von jetzt ab

ungeheuer lügen werde.

Bach war ganz in den Anblick des Bildes verſunken:
„Vergangene Zeiten ſteigen herauf,“ ſagte er dann, „in
Oſtpreußen habe ich ſie kennen gelernt vor 1½ Jahren,
ſie war noch ſehr jung, allein ihr ganzes Weſen, gemiſcht
aus kindlichem Frohſinn und jungfräulichem Ernſt, hatte
etwas ſehr Anziehendes für mich. Es berührte mich
eigenthümlich neu. Die geiſtreichen Weiber bekommt man
auch ſatt. Ich ſah ſchon eine Idylle gleich der Seſen-
heimer herannahen. Lyriſche Stimmungen verließen mich
nicht mehr. Ich war im Begriff, eine ganz neue Sorte
von Liebe kennen zu lernen, und Sie glauben gar nicht,
wie das zum poetiſchen Schaffen anregt.“
Turnau ballten ſich die Fäuſte bei dieſen Worten
und ſein Herz ſchwoll plötzlich bei dem Gedanken an den
unſäglichen Hochgenuß, welchen es ihm bereiten würde,
den trefflichen Poeten in dieſem Augenblick mit einem
Stuhlbein zu Boden zu ſchlagen, oder ihn beim Kragen
zu nehmen und durch die klirrende Glasthür die Treppe
hinab zu werfen. *
Bach fuhr nach einer Pauſe, da Wolfgang nichts er-
widerte, unbeirrt fort: „Eines Sommerabends erinnere
ich mich noch. Ich ging ſpazieren mit den beiden Töch-
tern des Pfarrers und Fräulein Springer. Als die
Sonne unterging, ſtanden wir auf einem Hügel unter
einer großen Eiche. Vor uns ſenkte ſich ein Kornfeld,
dann kam eine ſchmale Wieſe und dahinter ein See, der
in der Ferne wiederum durch Wald begrenzt wurde.
Hinter den Wipfeln dieſes Waldes war die Sonne ver-
ſunken und brannte nur noch mit einer großen goldnen
Gluth hervor. Ringsum war alles feierlich und ſtill wie
in Andacht verſunken. Eins meiner beſten Gedichte be-
titelt ſich: „Sonnenuntergang.“ Sie werden ſich erin-
nern; es beginnt: ö
„„Du einſames Grab
Der verſunkenen Sonne. ö
Ich citirte dies Gedicht mit bewegter Stimme, und
als es zu Ende war, ſchaute ich auf Fräulein Springer,
welche etwas abſeits ſtand. Sie trug einen Kornblumen-

kranz im Haar und ſchaute mit großen Augen in die

Abendgluth, welche einen warmen leuchtenden Schein auf
ihr ſchönes, ſeltſam ernſtes Antlitz warf; ich glaubte eine
Thräne in ihrem Auge ſchimmern zu ſehen. Sehen Sie,
lieber Turnau, das ſind die Erfolge, welche dem Herzen
des Poeten wahrhaft wohlthun.“ ö
Turnau war von dieſem ſelbſtgefälligen Geſchwätz faſt
zur Verzweiflung gebracht. Als er über Helenen ſo re-
den hörte, hatte er ſeine Empfindung, wie Jemand, der
eine ſchöne ſcheinbar unberührte Frucht bewundert, aus
welcher plötzlich bei näherer Betrachtung ein gefräͤßiger
Ohrwurm davoneilt, der ſie heimlich benagte. Er brummte
etwas Unverſtändliches, Benno Bach ſeufzte ein wenig,
ſtrich ſich ſorgfältig die Stellen ſeiner hohen Stirn, wo
früher Haare wuchſen, prüfte mit vorſichtigen Fingern
 
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