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Heidelberger Familienblätter — 1879

DOI Kapitel:
No. 87 - No. 95 (1. November - 29. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43709#0376

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Und wären in Berlin, wenn auch nicht ſo viel Teufel,
doch ſo viele Juden, „als Ziegeln auf den Dächern“,
er würde doch getroſten Muthes ſein und ſeine Zunge
und Feder walten laſſen. Luther wußte dem Teufel nur
ein armſeliges Dintenfaß entgegen zu ſchleudern, der
große Reformator Stöcker hingegen ſchleudert ſeinen Geg-
nern ganze Stickfäſſer voll Dinte in die Augen. Luthers
Kurfürſt träumte einmal, daß ein Mönchlein in Witten-
berg eine Feder habe, die von Wittenberg bis Rom reiche.
Würde er jedoch noch träumen können, würde er im
Traume einen Hofprediger ſehen, deſſen Zunge ſich von
Berlin bis Jeruſalem erſtreckte. Luther hatte einen Me-
lanchton zur Seite, unſer Stöcker einen Marwitz; ein
Mann, der den Witz, wenn auch nicht gerade den Mutter-
witz, durch den Geburtsſchein aufweiſen kann. Darum,
meine Herren, ſo groß der alte Luther auch ſein mag,
unſerm Stöcker reicht er nicht das Waſſer. Laſſen Sie
uns d'rum getroſt ſingen:
Herr Stöcker iſt ein“ feſte Burg,
Ein' gute Wehr und Waffe!
Voos un Haas.
(Aus dem „Mecklenb. Tagebl.“)

Verſchiedenes.

— (Poetiſch abgekanzelt.) Folgende Goethe-
Anekdote, ob wahr oder falſch, bleibe dahingeſtellt, wird
in der „Halle'ſchen Ztg.“ mitgetheilt. Der alte Goethe
ſitzt behaglich in Jena in einer Weinſtube am Fenſter
und verdünnt ſich — aus welchem Grunde, bleibe eben-
falls unerörtert — eine feurige Marke hin und wieder
durch Zuguß des Elementes, deſſen Zauber er im „Fiſcher“
ſo dämoniſch beſungen hat. Im Hintergrund ſitzt eine
Gruppe angeheiterter Studenten, die natürlich unver-
miſchten Trank conſumiren, dennoch aber nur fades Ge-
ſchwätz produciren, welches ſchließlich doch den inneren
Unwillen des nachſichtigen Altmeiſters erregte. Indeß,
er bezähmt ſich. Da, als der Weinübermuth den höchſten
Grad erreicht hat, tritt einer der Muſenſohne, welche ſich
über den weinfalſchenden Philiſter ſchon länger ennuyirt
haben, an den ihnen Unbekannten heran und inquirirt
ihn mit lallender Zunge: „Sagen Sie mal, alter Herr,
bedenken Sie eigentlich das Verwerfliche ihres Thuns?
Warum fälſchen Sie ſündhaft die reine Bacchusgabe?“
Dem Frager erwidert der alte Olympier ſofort mit etwas
gereizter Würde: „Das will ich Ihnen ſagen, mein
junger Freund: ö
Waſſer allein macht ſtumm,
Das beweiſen im Teiche die Fiſche,
Wein allein macht — dumm,
Das bezeugen die Herren am Tiſche!
Die weil ich nun keines von Beiden möcht' ſein, —
So trink' ich vermiſcht mit Waſſer den Wein.“

— (Reſolute Anſichten.) Unlängſt erſchien
auf dem Bureau des Gemeindevorſtehers zu Geeſtendorf
eine dort als Dienſtmagd gedingte fixe junge Dirne aus
Franzenberg bei Cuxhaven, um ſich zur Ortscontrole an-
zumelden. Hier entſpann ſich nun zwiſchen der Fragerin
und dem Beamten folgender heitere Dialog: „Wie alt
ſind Sie?“ — „Dat weet ick nich ſo genau; wir Franzen-
berger, dat weet Se ja, fiert nie'n Geburtsdag.“ — „Ich
muß es aber doch wiſſen.“ — „Nu, et ſcholl wull ſo an
de fiefuntwintig Jahre ſind.“ — „Welcher Religion ge-
hören Sie denn eigentlich an?“ — „Ick bün ſo recht
dütſch, wie alltoſam in Franzenberg: wie glöwt nich an

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den Papſt, man blot an den leiwen Herrgott und den

ollen Bismarck, — den anneren Krams kennt wie nich.
H'Adjüs ook!“ — Sprach's und empfahl ſich, ohne
weiter eine Miene zu verziehen. ö

— (Aus dem Harem des ehem. Khedive.)
Dem in Neapel weilenden ehem. Khedive Ismail Paſcha
iſt kürzlich ein großes Unglück widerfahren. Aus ſeiner

Villa, die mehrere Ausgänge hat, iſt nämlich am hell-

lichten Tage eine ſeiner Lieblingsfrauen entflohen. Die
Treuloſe machte zugleich ihren Gebieter um dreitauſend
Franken, dann um verſchiedene Schmuckſachen, Juwelen
u. ſ. w. ärmer. Die Entflohene weilt noch immer in
Neapel, und was für Se. Hoheit das Aergſte iſt, ſie
darf gar nicht verfolgt werden, da in Italien die Sklaverei
gar nicht geduldet wird. Die Entflohene ſoll, wie die
neapolitaniſchen Blätter melden, die Abſicht haben, ſich
in Neapel dauernd niederzulaſſen, um dort ein Geſchäft
zu eroͤffnen. ö

Was iſt Kommunismus?

(Aus dem Lahrer Hinkenden Boten.)

Was unter „Kommunismus“ man verſteht? —
Wenn Keiner dem Andern aus dem Wege geht,
Keiner den Hut vom Kopfe zückt, ö
Keiner dem Andern vom Plaße rückt
Und Keiner erſt fraget, was ſich ſchickt,
Wenn Jeder in Deinem Keller ſich ſchanzt,
Jeder auf Dein Sopha ſich pflanzt“
Und Jeder mit Deiner Geliebten tanzt;
Wenn Jeder Dir auf das Zimmer rückt,
Jeder mit Deinem Rock ſich ſchmückt
Und Jeder ſich Deine Roſen pflückt; —
Wenn Jeder ſchneidet und Keiner ſät,
Wenn Jeder zerreißet und Keiner näht,
— Wenn Keiner was iſt und Jeder ſich bläht,
Wenn Jeder jaget und Keiner hegt,
Wenn Keiner forſtet und Jeder ſchlägt,
Wenn Jeder ſudelt und Keiner fegt,
Wenn Jeder trinkt und Keiner braut,
Wenn Jeder zerſtört und Keiner baut,
Wenn Alle ſchreien und Keintr hört,
Wenn Keiner was weiß und Jeder lehrt,
Wenn Keiner was hat und Jeder verzehrt ꝛc.

Vom Büchertiſch.

— Die „Deutſche Roman⸗Bibliothek“, welche Eduard Hall-
berger (Stuttgart) ſeinem großen Weltblatt „Ueber Land und
Meer“ zur Seite geſtellt, um dem Roman ein breiteres Feld zu er-
öffnen, hat ſich im Verlauf der ſieben Jahre ihres Beſtehens als
ein überaus glücklicher Gedanke erwieſen. Die Novelle tritt in
„Ueber Land und Meer“ in ihr volles Recht, während die „Roman-
Bibliothek“ Raum bietet, um in jeder Nummer zwei große Romane
neben einander in ſich aufzunehmen und dadurch auch das größte
Leſebedürfniß zu befriedigen. — Der neue Jahrgang beginnt mit
„Frau Venus“ von Karl Frenzel, einem feinciſelerten, geiſtfunkeln-
den und brillanten Lebensbilde aus der Welt der großen Geſellſchaft
und der Kunſt, die in ihren tiefſten Konflikten mit pſychologiſcher
Schärfe und Treue und dabei der dem Autor eigenen pikanten
Ark gezeichnet ſind, und „Döninghauſen“ von Claire v. Glümer,
einer vielverwickelten Familiengeſchichte von feſſelndſter Spannung,
welche die ergreifendſten Kämpfe des adeligen und bürgerlichen
Blutes vor Augen führt, und deren Verfaſſerin dem Ganzen den
Zauber, wie er eben nur der Frauenfeder eigen iſt, aufgeprägt hat.
— Mit glücklicher Hand wahlt die Redaction „Aus der neuen
deutſchen Lyrik“ das Beſte aus, und ein kleines unterhaltendes
Feuilleton verleiht dem hübſchen Blatte einen weiteren Reiz. Die
elegante, bequeme Form des ſchön ausgeſtatteten Blattes und ſein
überaus billiger Preis — nur 2 Mark vierteljährlich — haben
überdieß nicht wenig dazu beigetragen, es überall heimiſch und be-
liebt zu machen. So begrüßen wir denn mit einem freudigen
„Glück auf!“ den neuen, achten Jahrgang der „Deutſchen Roman-
Bibliothek“. ö ö

Druck u. Verlag von Adolph Emmerling u. Sohn in Heidelberg. Für die Redaction verantwortlich A d. Emmerling.
 
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