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Heidelberger Familienblätter — 1879

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No. 87 - No. 95 (1. November - 29. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43709#0378

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— 370 —

tigte gegen Ende des Monats einen Aufenthalt in einem
nahegelegenen Kurorte zu nehbmen, wohin der Anwalt
nach Abwickelung derſelben zur Rechnungsablegung kom-
men ſollte. Eiſt dann wollte ſie ſich zur Wahl eines
neuen Wo nortes entſchließen, da ſie in B. nicht unter
ſo veränderten Verhältniſſen zu bleiben gerachte, es ſei
denn, datz ein noch immer heimlich erhofftes Ereigniß

eine Aenderung ihrer Pläne herbeiführte.

Mit dieſem Ereigniz meinte ſie Lonnys Verlobung
mit Graf Lorch. Zwar war es ihr auffällig, daß der-
ſelbe ſich ſeit dem Tode des Generals ſichtlich zurück-
gehalten hatte, doch konnte dies in Rückſicht auf die erſte
Trauerzeit geſchehen ſein. Nun aber war kein Grund
mehr zur Zögerung. Sie hoffte von Tag zu Tag, daß
er ſich erktären würde. Aber Tag um Tag verging,
ohne daß ihres Herzens Wunſch ſich erfüllte. Endlich
war der Tag ihrer Abreiſe da.
Tief veſtimmt ſaß die Gräftn mit Lonny an ihrem
eleganten Theeuſch, den zum letzten Mal der reichbetreßte
Kammerdiener ſervirt hatte.
Da wurde ihr ein parfümirtes Billet mit dem Mono-
gramm und den Schriitzügen des Grafen gebracht.
„Endlich!“ rief ſie mit einem Seufzer der Erleich-
terung, indem ſie das Couoert begierig öffnete.
Aber ſchon beim Leſen der erſten Zeilen umwölkte
ſich ihre Stirn, ihre Zähne begannen heftig an der
Unterlippe zu nagen, mit dem Ausdruck tiefſter Entrüſtung
ſchleuderte ſie endlich das Schreiben von ſich.
„Worte, nichts als Worte — leere Redensarten des
Bedauerns über unſer Scheiden, des Dankes für die Güte
und Geſtlichkeit die er in unſerm Hauſe genoſſen. —
Schließlich der Wunſch, daß es uns wohl ergehen möge,
den er leider wegen eines unaufſchiebbaren Aueflug-s
nicht mehr mündlich ausdruͤcken könne. — Da, lies ſelbſt,
Lonny, und ſieh, wie ein Spurke ſich windet, wenn es
gilt, ſeine Freunde in der Noth zu verlaſſen.“
Die kalte Frau hatte ſeiten ſo heftig geſprochen. Der

Zorn über den von einem Standesgenoſſen an ihr ver-

übten Verrath drohte ſie faſt zu erſticken. Lonny trat
leiſe an ſie heran und legte beſchwichtigend den Arm um
ihre Schultern.
„O Mama, die Nachricht, die dich ſo gekränkt, iſt
mir eine große Befreiung,“ ſagte ſie mit bebender Stimme.
„Mein Herz war ſchwach und zweifelnd und ich würde
vielleicht nicht den Muth gehabt haben, den Grafen zurück-
zuweiſen. Nun er mich ſo leichten Kaufes auf ibt, fühle
ich mich plötzlich wie von einem ängſtigenden Zwieſpult
erlöſt, wie erwacht aus einem ſchwülen Traume. Gott-
lob, daß es ſo gekommen! Denn denke nur, Mama, wie
eniſetzlich unglücklich ich geworden wäre, wenn ich mich
durch einen beklagenswerthen Irrthum meiner Gefühle
hätte verleiten laſſen, einem im Grunde ungeliebten, wohl
gar unwürdigen Manne die Hand zu reichen.“
„Und was wird nun dein Loos ſein?“ fragte die
Generalin beinahe höhniſch, „das einer armen, herab-
gekommenen Komieſſe. Denn daß wir ſo gut wie ruinirt
ſind, unterliegt keinem Zweifel.“
„Ei, wir wollen uns ſchon einrichten, Mama,“ er-
widerte Lonny tröſtend. „Es bleibt uns ja immer noch
eine wenn auch beſcheidene, ſo doch ſichere und nicht zu
verachtende Einnahme. Und langt dieſelbe nicht, nun —
ſo werde ich mir angelegen ſein laſſen, ſie aus eigener
Kraft zu vergrößern.“ ö
Die Generalin zuckte verächtlich die Achſeln.
„Ich möchte wohl wiſſen, auf welche Weiſe du das
anfangen wollteſt.“
„Aber, Mama, erinnerſt du dich denn nicht, welche
Bewunderung mein „Deutſches Waldmärchen“ im ver-

gangenen Winter in unſern Kreiſen erregte? Des
Pinſels eines Begas oder Henneberg würdig nannte es
ſogar unſer kunſtſinniger Overſt. Wenn ich nun auch
das Nothwendige von dieſen Urtheilen abrechne, ſo bleibt
doch vielleicht einiges Gute an meinem Talent, und wenn
du dich entſchließen könnteſt, zu unſerm künftigen Do-
mizil einen größeren Ort zu wählen, etwa Berlin, wo
gegenwärtig das Kunſtleben in höchſter Blüthe ſteht, ſo —“
„Niemals!“ unterbrach die Generalin ſie entichieden.
„Ich habe in Berlin noch Bekannte aus jener Z it, wo
ich auf der Höhe des Glücks mit deinem Vater dort
lebte, und ertrüge es nicht, mich ihnen unter ſo verän-
derten Verhältniſſen zu zeigen.“
„So laß uns nach D. ... ziehen.
kennſt du dort Niemand.“
„Keine Seele.“
„Vortrefflich. So können wir ganz zurückgezogen
dort leben. Ich finde Gelegenheit, mich in der Malerei
auszubilden — ſpäter meine Arbeiten zu verwerthen —“
„Deine Arbeiten verwerthen?“ wiederholte die Ge-
neralin, Lonny faſt entſetzt anſtarrend. „Verſtehe ich
recht, du — du wollteſt für Geld Bilder malen?“
„Warum richt, liebe Mama? Wenn ſich nur Käufer
für meine Kunſtwerke finden! Es liegt weder etwas
Entehrendes noch Ungewöhnliches darin. Hunderte von
hinterlaſſenen Töchtern hoher Beamter und Offtiziere ſehen
ſich genöthigt, mit minder vornehmer Arbeit ihr Brod zu
verdienen.“
„Aber ich würde es niemals dulden, daß du dich
denſelben zugeſellteſt. Lieber möchte ich dich todt als in
ſolcher Erniedrigung ſehen.“
(Fortſetzung folgt.)

Meines Wiſſens

Ueber die neue Kleiderordnung des

HBerrn Stephan
berichtet das „Berl. Tagebl.“: Und Freude berrſcht unter
den Schneidermeiſtern, denn die Jahre 1879 und 1880
ſind für ſie zu geſegneten geworden. Schon die Beſtim-
mungen über die Amtstracht der Richter erfreuten ſich
des Beifalles aller der Nadel Befliſſenen. Was aber
will die verhältnißmäßig geringe Anzahl der für den
Juſtizdienſt benöthigten neuen Amtstrachten beſagen gegen
die gewaltige Zahl der neuen Anzüge, welche der allezeit
regſame Generalpoſtmeiſter für ſein Beamtenheer — und
es umfaßt. 60000 Mann — aus der Erde zu ſtampfen
gedenkt. Die kürzlich herausgegebene Nr. 65 des „Amts-
blatis der deuiſchen Reichspoſt- und Telegraphenverwal-
tung“ enthielt die vom Kaiſer genehmigte Verfüung des
Generalpoſtmeiſters Dr. Stephan, die Dienſtkleidung der
Poſtbeamten betreffend. Ach, es wird daduich an gar
mancherlei gerüttelt, was den Beamten bisher lieb und
werth geweſen. Daß die äußeren Unterſchiede zwiſchen
den Unterbeamten der Poſt und der Telegraphie fort-
fallen ſollen, wird allſeitig für gerechtfertigt erachtet, da
die beiden Zweige der Verkehrsanſtalten nunmehr voll-
ſtändig vereinigt ſind. Schmerzlicher wird es von den
Betheiligten empfunden werden, daß fortan „Beamte und
Unterbeamte, gleichviel, ob dieſelben bei Erledigung ihrer
Berufsgeſchäfte mit dem Publekum in Verührung kommen
oder nicht, Dienſtkleidung beſitzen und dieſelbe bei Wahr-
nehmung ihrer Dienſtgeſchäfte tragen müſſen.“ Auch die
Amtsvorſteher, welche bisher im bürgerlichen Rocke ihren
Dienſt verſehen durften, ſind von dieſer Verfügung nicht
ausgeſchloſſen. Werden die Dienſtkleider außerhalb des
Dienſtes getragen, ſo muß von Seiten der betreffenden
 
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