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Heidelberger Familienblätter — 1881

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Nr. 17 - Nr. 25 (2. März - 30. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43711#0074

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haften Contraſt bildet. Wer vorſtehende „ höchſt lebens-
getreue Schilderung lieſt, der wird begreifen, daß es ſchon

toll genug kommen muß, ehe der phlegmatiſche Boer zur
Büchſe greift, um ſich ſeine Freiheit, die ihm freilich über
Phlegma und Gewohnheit, über Heerden und Landſitz geht,
zurückzuerobern, und daß England in dieſem Kriege wo-
möglich eine noch traurigere Rolle ſpielt, als in ſeinen
Kämpfen gegen Zulus, Baſutos, Afghanen und andere
„Barbaren. Es findet ſich daher auch faſt kein Blatt in
England, das es wagte, dies Vorgehen gegen die Boers
zu vextheidigen. Die meiſten liberalen Blätter befürworten
ſogar, die Regierung müſſe den Boers ihre Unabhängigkeit
auf Grund eines zu ſchließenden Abkommens zurückgeben,
indeß wohlzuverſtehen erſt dann — wenn der gegenwärtige
Aufſtand blutig niedergeworfen ſei! Da in dieſer voll-
kommenſten aller Welten nun einmal Macht vor Recht
geht, ſo ain thaen auch wohl das Ende vom Liede
ſein, — wir können es leider nicht ändern, — nur möge
man uns hinfort mit den Phraſen vom „Chriſtenthum“
und der „Humanität“ des „ſtolzen Albions“ verſchonen.

Aus der Berliner „Weſpenpoſt

ö Solingen. „Ein Mädchen, das zu Hauſe ſchlafen
kann, geſucht“ (ſ. „Solinger Kreis⸗Intelligenzblatt v. 12.).
Deren gibt es vielee. ů

Breslau. In der „Bresl. Ztg.“ vom 17. v. M.

befindet ſich folgendes Inſerat: „Im letzten Orcheſtervereins-

Concert wurde ein Opernglas irrthümlich in der Garderobe
an ſich genommen.“ —1
Erfurt. Durch Nr. 35 des „Allg. Anz.“ empfiehlt
ſich „ein Schneider, der ſauber in Häuſern arbeitet.. —
„Eine ſtille Bekanntſchaft“ gratulirt in demſelben Blatte:
„Daß die ganze F. . mühle wackelt und dabei Geſund-
heit, Glück u. ſ. w.“ Das ſoll Alles wackeln? — In
der „Thür. Zig.“ vom 10. v. M. leſen wir: „Dieſer, ein
Schneiderlehrling, beſaß ſo viel Courage, mit einem alten
Säbel bewaffnet unter Mitnahme ſeines Vaters, welcher in
der 5. Etage geſchlafen, den Dieben entgegenzueilen.“
Deutſchenthal. Die „Saale⸗Ztg.“ vom 7. bringt
das folgende Inſerat: „Kinderbett mit Kaſten und Hobel-
bank verkauft Domgaſſe 3.“ ö
Freiburg in Baden. Durch das „Freib. Tagebl.“
vom 19. werden Herren⸗ und Damenkleider, darunter einige
Dutzend Militärmäntel empfohlen.
würdige Herren⸗, aber noch merkwürdigere Damenkleider.

V e r ſchiedenes.

— Die Geprellte. In Paris hat man über

einen originellen Gaunercoup herzlich gelacht. Madame D.,
eine Wittwe in den beſten Jahren, welche mit einem kleinen
Söhnchen in der Rue du Faubourg St. Honore wohnt,
erhielt dieſer Tage ein Couvert mit zwei Billets für eine
Vorſtellung des glänzenden Ausſtattungsſtückes „Michel
Stragoff“ im Chatelet⸗Theater. Ein beiliegender Zettel
trug die Worte: „Kommen Sie auf jeden Fall, ich habe
den Platz hinter Ihnen.“ Geſpannt auf irgend ein pikan-
tes Abenteuer und eine intereſſante Bekanntſchaft erwartend,
findet ſich denn auch Madame pünktlich im Theater ein.
Aber vergeblich harrte ſie des geheimnißvollen Billetſpenders
und gegen 10 Uhr verließ ſie endlich im hellen Zorn,
ärgerlich, daß ſie ſich hatte dupiren laſſen, das Theater.

Wie erſchrickt ſie aber, als ſie bei ihrer Nachhauſekunft die
Thüren erbrochen und Schränke und Kleiderſpinden aus-

Das ſind ſehr merk-

geräumt findet. Der intereſſante Unbekannte hatte das
Rendezvous nach ihrer Wohnung verlegt und in Abweſen-
heit der Beſitzerin verſchiedene Souvenirs an die Holde
mitgenommen. Madame D. hat es verſchworen, jemals

wieder Billets von einem Anonymus anzunehmen

— GBonmot Dingelſtedt's.) Ein Dichter, wel-
cher ſehr ungleich aber ſehr raſch prodnzirt, hat dieſer Tage
von Director Dingelſtedt ein Drama⸗Manuſcript mit fol-
genden lakoniſchen Zeilen zurückerhalten: „Sehr geehrter
Herr! Hier folgt abermals ein Schauſpiel zurück; Ihre
Begabung beſchäftigt mich ſehr, denn Sie produziren ſo
raſch, daß ich mit dem Zurückſchicken kaum nachkommen
kann!ꝰ FF

e— (314 Liebesbriefer) Ein ſonderbares Akten-
Faszikel gelangte dieſer Tage an die Königliche Tafel in
Peſt. Eine Dame aus der Provinz ſtrengte gegen ihren
Geliebten einen Paternitätsprozeß an und als der Ange-
klagte Alles hartnäckig leugnete, legte die Klägerin in ihrer

Gegenſchrift als Beweis 314 Liebesbriefe bei, welche ſie

ſeiner Zeit von dem Beklagten erhalten hatte, und klebte

auf jeden derſelben den vom Geſetze vorgeſchriebenen 15

Kr.⸗Stempel. Der Gerichtshof erſter Inſtanz verurtheilte
den Beklagten, machte aber den Ausgang des Prozeſſes
von einem Eide abhängig, wogegen beide Parteien das
Rechtsmittel der Appellation ergriffen, und die Klägerin
verlangte in ihrer Appellation, die Königliche Tafel möge,
wenn der Prozeß referirt wird, alle 314 Liebesbriefe ver-
leſen laſſen. * ö *

— Von Prof. Dr. Karl PIöt, dem jüngſt verſtor-
benen Sprachlehrer, erzählt man folgenden bezeichnenden

Ausſpruch. Als der Profeſſor auf dem Sterbebette lag,

verſammelte er ſeine Kinder um ſich und ſprach zu ihnen:
„Mes enfants, je meurs — ou je me meurs, on peut
dire l'un ou Pautre.“ *

Vom Büchertiſch.
—5 Abermals wollen wir die Aufmerkſamkeit unſerer Leſer
auf ein Prachtwerk richten, deſſen wir ſchon vor einigen Wochen

gedacht und deſſen Fortſetzungen (Lieferung 9 und 10) heute vor
uns liegen. Arioſt's „Raſender Roland“ gehört zu den

Meiſterwerken der italieniſchen Literatur; nach Dante iſt Arioſt

unbeſtritten Italiens größter Sangesmeiſter, und Arioſt's herr-
lichſte Dichtung iſt eben das wunderſame Märchen⸗Epos vom
„Raſenden Roland“ — ein Werk, das, wie alle ächten Kunſt-
werke, niemals veralten wird. — „
Ees iſt darum auch ein ſehr gerechtfertigtes Beginnen, wemt
immer von Neuem Beſte ſich damit beſchäftigen, in immer voll-
kommenerer Weiſe die erhabenen Schöpfungen einer fremden Li-
teratur ihrem Volke zugngli zu machen, und wir dürfen wohl
behaupten, datz nun Arioſt's Meiſterwerk ganz unübertrefflich
dargeboten wird; deſſen metriſche Ueberſetzung durch Hermann
Kurz iſt lange ſchon rühmlichſt bekannt; nun aber hat Paul
Heyſe die Arbeit in ſeine beſſernde Obhut genommen, und wahr-
lich, wenn ein Paul Heyſe einen Hermann Kurz noch beſſert, da
gibt es vollſten Klang! Und nicht nur auf den Ueberſetzer, ſo
vollendet er ſeine Kunſt auch übt, ſind wir dieſes Mal für das
Verſtändniß angewieſen, Guſtav Doré, der Fürſt auf dem Ge-
biete der Illuſtration, hat ſich vertieft in das verſchlungene
Rankenwerk der Dichtung, ſein Griffel verdeutlicht uns deren
Scenen und Geſtalten, und ſo genau paſſen hier Illuſtrationen
und Text zuſammen, daß wir ſchwer zu unterſcheiden vermöchten,
wüßten wir es nicht ſo genau, was zuerſt geweſen ſein mag.
Wir halten dieſe Pracht⸗Ausgabe von Arioſts „Raſendem
Roland“ mit für die hervorragendſte Erſcheinung im Gebiete der
werthvollen Geſchenkliteratur. Die Verlagsbuchhaudlung von S.
Schottländer in Breslau hat ſich durch die Herausgabe
ein unbeſtrittenes Verdienſt erworben.

Druck u. Verlag von Adolph Emmerling u. Sohn in Heidelberg. Für die Redaction verantwortlich A d. E mmerlin g.
 
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