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Heidelberger Familienblätter — 1881

DOI Kapitel:
Nr. 17 - Nr. 25 (2. März - 30. März)
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— 70. —

die Biegung der Straße, wo der die Häufer hell beſtrah-

lende Sonnenſchein aufhörte. Hier kehrte er um, als ſei
es ihm nur um die Sonnenwärme zu thun, ging wieder
hinab bis über das Gaſthaus hinaus, blieb ſtehen, ſah den
Arbeitern zu, die in dem großen, durch ein eiſernes Thor
von der Straße getrennten Hofe des Heideker'ſchen Hauſes
beſchäftigt waren, blickte auch wohl weiter gehend zu den
Fenſtern empor und wandelte wieder auf und ab. Es
war auch nicht übel dort zu wandeln als Erfriſchung nach
der langen Fahrt, wie auch der Gaſtwirth, ihm einmal
von der Thür zunickend, meinte. Die Februarſonne ſchien
ſo warm, der Star, der auf dem Giebel des Heideker'ſchen
Hauſes ſaß, zirpte ſo vergnügt, daß der Fremde mehrere-
mal zu ihm hinaufſchauend ſtehen blieb. Einmal ſchlug er
fogar den Mantel ganz auseinander und nahm den Hut
ab, um den weichen Wind ſich um die Schläfen ſpielen zu
laſſen. Dann aber trat er wieder ins Wirthshaus zurück.
* * *
Praxedes ſaß wie gewöhnlich nach Mittag am Fenſter
des Eßzimmers mit ihrem Buche vor ſich. Es ſchien ſie
nicht ſehr zu feſſeln; ſchwer ruhte ihr Haupt in der ſtützen-
den Hand, und müde und traurig ſchauten ihre Augen,
ohne zu wiſſen, was ſie ſahen, auf die Straße. Ihr gan-
zes Herz füllte nur ein Gedanke. Was hatte ſie Leonhard
gethan, daß er ihr ſo zürnte und ſie mied wie eine Fremde?
Seit Philipps Rückkehr hatte er kaum ein Wort mit ihr
gewechſelt und war jedem Alleinſein ausgewichen.
Tage hatte ſie hier horchend und wartend geſeſſen in der
Hoffnung, daß er ihr bei ihrem gewohnten Plauderaugen-
blicke auf dem Gange ſagen würde, was ſie gethan; aber
er kam nicht, und ſie hörte von Lena, der Herr Lieutenant
gehe jetzt ſtets über die Galerie in das Hinterhaus, durch
die Geſindeſtube, die Treppen hinab, durch den Packhof
und ſo auf die Straße. Das war alles um ihr auszu-
weichen, uni nicht an ihrem Zimmer und dem Eßſaal vor-
über zu müſſen. Sie ſah ihn nur bei den gemeinſamen
Mahlzeiten, zu denen er ſpät kam und ſogleich wieder fort-
eilte; denn auch Abends kam er nicht mehr zu dem Kreis
in das Wohnzimmer, den Philipps Unterhaltung dann be-
lebte, wenn er nicht, was auch öfter geſchah, mit Charlotte
zu Freunden gebeten war. Wie Praredes litt, ahnte Nie-
mand, dem es nicht ihr matter werdender Blick, die bläſſe-
ren Wangen und ihr müder Gang verriethen; aber ſie
hatte ſtets ein freundliches Lächeln für jede Aufmerkſamkeit,
nahm ſtumm die Ausfälle der Mutter und Charlottens auf,
die jedoch nie in Philipps Gegenwart geſchahen, und klagte
niemals, weder gegen Philipp, der ſie mit freundlicher

Sorge umgab, wo er ſie ſah, noch gegen Lena, ihre beiden

einzigen Freunde im düſteren Hauſe. Lena, ein treues
Mädchen, welche gleich vom erſten Tage an eine große
Vorliebe für das hübſche kleine Fräulein gefaßt hatte, that
in ihrer Weiſe alles, die Lage derſelben zu erleichtern.

Obgleich es. gegen Frau Katharinas ſtrenge Hausordnung.

war, daß ſich Jemand von dem Dienſtperſonal des Hinter-
hauſes außer in den beſtimmten Zeiten, wo es ihre Arbeit
erforderte, in den vorderen Räumen ſehen ließ, und Jonas,
als einziger Vermittler zwiſchen Küche und Herrſchafts-
ſtuben, ſein Recht eiferſüchtig hütete, ſo wußte Lena doch
oft dieſem Cerberus zu entgehen und Praxedes bald dies,
bald jenes zu beſorgen; weil ſie wußte, daß dieſe lieber
alles entbehrte, als daß ſie den ſteifen Jonas, der ganz
zu ſeiner Herrin hielt und ſie wie einen Eindringling be-
trachtete, mit irgend etwas behelligte. Daß der alte Jonas,
in ſeinen Rechten gekränkt, ſie, weil das ſämmtliche Küchen-
perſonal, durch Lena aufgehetzt, ſich gegen ihn und für das
Fräulein ausſprach, darum bei Frau Katharina als eine
Intriguantin darſtellte, ahnte Praxedes nicht, und bemerkte
in ihrer Trauer ebenſowenig, daß der Hausfrau Kältegrade

Drei

noch um einige geſtiegen waren. Von Philipp hatte ſie
gehört, daß die Sache mit dem Konſens noch nicht geord-
net, den Abſchlag und die Antwort des Königs wagte er
ihr⸗nicht mitzutheilen; aber ſie ſah oft, wie mitleidig ſein
Auge auf ihr ruhte, und heute hatte er ihr bei Tiſche zu-
geflüſtert, als er bemerkte, daß ſie über Leonhards finſteres
Ausweichen mit den Thränen kämpfte: „Noch einen Tag
Geduld, meine kleine Freundin, dann bin ich wieder etwas
freier und werde verſuchen, alles ins Klare zu bringen.
So kann es nicht fortgehen.“
Was dachte er zu thun, wie wollte er ihr helfen?
dachte ſie, als ſie die Straße hinabblickte. Müde und un-
bewußt verfolgte ihr Blick die Geſtalt eines Mannes im
weiten Mantel, welcher langſam an der gegenüberliegenden
Seite im Sonnenſchein auf und abſchritt. Jetzt ſchlug er
den Mantel weit auseinander, nahm deu Hut ab und warf
einen Blick zu ihr hinauf. Praxedes Blick leuchtete plötz-
lich auf, ſie hob die Hände zum Haupt wie im Schrecken;
des Mannes Finger legte ſich Schweigen gebietend, auf
ſeine Lippen, dann ging er weiter als ſei nichts geſchehen.
Praxedes athmete tief und drückte die Hände gegen die
Bruſt. „Er iſt es, er iſt es! Er kommt, mich zu retten,
mich zu erlöſen! Zu erlöſen? Von wem? Von Leon-
hard! O, Leonhard, Leonhard!“ Ihr Haupt ſank auf
das Fenſterbrett und bittere, heiße Thränen entſtrömten
ihren brennenden Augen.
ö (Fortſetzung folgt.)

Von Bayreuth.

Von Richard Pohl.
Die Stadt Bayreuth hat vom erſten Beſuche Richard

Wagner's an — der dahin gekommen war, um das alte

berühmte Markgrafentheater für ſeinen Zweck zu prüfen,
— eine Einſicht in die Situation, einen Scharfblick in die
Zukunft bewieſen, welche um ſo höher anzuſchlagen ſind,
als Erfahrungen noch nicht vorlagen, ein Maßſtab nicht
gegeben war. — Bahyreuth bietet dem Meiſter den Bau-
platz ſowie weſentliche Vortheile für den Bau des Feſt-

theaters an; es offerirt ihm den Bauplatz zum „Wahn-

fried“, legt eine neue Straße an ꝛc., und Bayreuth iſt
keine große, keine reiche Stadt. Weimar hätte das Feſt-
theater ſchon viel früher haben können, aber es hat ſich
nicht gerührt; viele große, reiche Städte hätten ſich darum
wenigſtens bewerben können — es iſt aber keiner einge-
fallen. Nur Baden⸗Baden war auf der Höhe der Si-
tuation; es concurrirte mit Bayreuth und offerirte dem
Meiſter für das Feſttheater einen ſchönen Bauplatz an der
Lichtenthaler Allee. Richard Wagner gab aber Bayreuth
den Vorzug, weil es ſich zuerſt gemeldet, und weil es im
Lande ſeines erhabenen Protectors, König Ludwig II. lag.
Die Quartier⸗ und Verpflegungsnoth, welche während
der erſten Feſtaufführung (1876) in Bahreuth herrſchte,
hätten wir in Baden⸗Baden freilich nicht erlebt. Ein ſol-
cher Menſchenandrang, wie an jenem herrlichen Auguſt-
ſonntage, wo der deutſche Kaiſer zum erſten Feſtſpieltage in
Bayreuth erſchien, war allerdings auch noch nicht vorge-
kommen, ſo lange die Stadt ſteht. Aber Bayreuth hat
damals gelernt; es wird dort keine Hungersnoth aus-
brechen, es wird Jeder Quartier nach Wunſch finden, wenn
er im nächſten Jahre zur Parſifal⸗Aufführung kommt.
Denn daß dieſe ſtattfinden wird, unterliegt nun keinem
Zweifel mehr.
Seit 1876 ſind in Bahreuth zwei neue Stadtviertel
entſtanden, eines vom Bahnhof nach dem Feſttheater zu,
ein zweites an der „Siegfriedſtraße“ zwiſchen „Wahnfried“
und der „Nibelungskanzlei“. Schon aus dieſer Dispoſition
 
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