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Heidelberger Familienblätter — 1882

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No. 79 - No. 86 (4. October - 28. October)
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als jener häusliche Comfort, der nur einen heimlichen

Lampenſchimmer auf die naſſen und kalten Straßen hinaus-
dringen läßt und dadurch die begehrliche Phantaſie nur um
ſo ſtärker antreibt. Wenn in unſerem Hoftheater der arme
Teufel auf der letzten Gallerie ſich mit einer Holzbank be-
gnügen und zuſehen muß, wie ſie in den unteren Rängen
ihre Sammtfauteuils und Seidenſchleppen, ihre Pariſer
Fächer und Brillanten haben, ſo weiß er doch, daß er die
Hauptſache mit ihnen gemeinſam genießt: den Lichterglanz,
die Muſik, die aufregenden und ſpannenden Täuſchungen
der Bühne. Und durch dieſe Empfindung wird die Bitter-
keit des Vermögensunterſchiedes gewiß abgeſchwächt. Wirk-
lichen und ſchmerzlichen Neid kann wohl nur das völlig
Unerreichbare wecken. Wenn aber der Proletarier, dem
etwa dieſer Neid das Herz beſchleichen will, wüßte, wie
ſehr die Wohlhabenderen ſelbſt ihr Genußleben durch den
Bann der Sitte einengen, ſowie durch ihre kritiſch geſchärfte
Beobachtung und durch die ermüdende Gewohnheit: wie
klein würde in ſeinen Augen der Unterſchied des Glückes
werden! ö
Uebrigens iſt, wie geſagt, die Gegenwart höchſt erfin-
deriſch in ſolchen Luxusgenüſſen, welche keinen dauernden
Beſitz vorausſetzen, ſondern in genußreichen Thätigkeiten
beſtehen, mit beſcheidenem Aufwand erreichbar. Dilettan-
tismus, Spiel und Sport ſind ſolche Thätigkeiten und man
würde den Luxus der Gegenwart nicht würdigen können,
wollte man dieſe Sorten von Luxusgenüſſen von der Be-
trachtung ausſchließen. ö
Die dilettantiſchen Thätigkeiten können als Luxus-
beſchäftigungen wohl nur aufgefaßt werden, wenn ſie dazu
dienen, den berufsloſen Wohlhabenden über ſeinen Mangel
an Nützlichkeit hinwegzutäuſchen. Wo ſie aber den Zweck
haben, dem einſeitigen Kopfarbeiten eine gewiſſe Vielſeitig-
keit der Sinne und der Hand zu erhalten, ſind ſie nur
eine nothwendige und geſunde Reaction gegen übermäßige
Arbeitstheilung. ö
Mit weit mehr Entſchiedenheit erſcheint das Spiel als
eine Function des Luxus. Natürlich nicht jenes Spiel,
welches blos körperliche Uebung iſt, ſondern dasjenige,
deſſen Kern der Kampf mit dem Zufall oder mit der Ge-
ſchicklichkeit des Gegners oder mit beiden zugleich iſt. Auch
nach dieſer Seite hin iſt der moderne Luxus entſchieden
vernünftig; denn das Börſenſpiel, das man der Gegenwart
zum Vorwurf machen könnte, iſt keine Entartung des Luxus,
ſondern eine ſolche des Erwerbstriebes.
Ein Luxus, welcher heutzutage ungemein an Ausdehnung
und Mannigfaltigkeit gewonnen hat, iſt der Sport. Aber
wie kann man den Sport einen Luxus nennen? wird man
fragen. Sind nicht körperliche Bewegung und Uebung,
Vertrautſein mit Gefahr etwas Nothwendiges? Gewiß
ſind ſie es; aber wie heutzutage die verſchiedenen Arten

des Sports betrieben werden, das iſt nichts Nothwendiges

mehr. Sie ſind meiſt ſo ſehr von fremdartigen Beſtre-
bungen durchſetzt, daß der Luxuscharakter ſtark in den
Vordergrund tritt.
So iſt das Wetten an der Rennbahn gewiß kein we-
ſentliches Erforderniß der Pferdezucht und der Reitkunſt;
es zeigt nur, wie ein urſprünglich gar nicht als Luxus zu
bezeichnende Thätigkeit durch ſtete Verfeinerung, Speciali-
ſirung, ausgeprägtere Lokalſitte, durch das Hineintragen
von Eitelkeit und Gewinnſucht ſchließlich zu entarteten Be-
thätigungen des Luxus führen kann. Dagegen wurde der
Jagdſport von mancher ehemaligen Verirrung geläutert,
wenn auch nicht durch innerliche Hebung, ſondern durch

den äußeren Umſchwung der Verhältniſſe. Das zerſtampfte

Gärtchen des jammernden leibeigenen Bauers und der

Peitſchenhieb, der ihm über den gebückten Rücken ſauſte,

ſind, Gott ſei Dank, nur mehr hiſtoriſche Erinnerung, und
die Jagd iſt zur harmloſen Liebhaberei geworden, welche

Weiſe erſcheinen zu laſſen.

343 —

die Kinder der Civiliſation wieder in die einſame Natur
führt, ſie lehrt, die Zeichen der Natur mit Geduld zu be-
obachten und ſelbſt die Unbilden der Natur mit Ausdauer
zu ertragen. Ebenſo der Fiſchereiſport. *
Jeder neuen Erfindung im Gebiete des Sport klebt
ein Stück Luxus an; aber auch bei jeder iſt weit über-
wiegend der vortheilhafte Einfluß, den die Beſchäftigung
mit der Natur oder mit der Gefahr oder mit beiden zu-
gleich, den die Uebung körperlicher Kraft und Gewandtheit
gewinnt. Um ſo mehr Rechtfertigung findet jeder Sport,
je mehr er auf der Natur, auf den Bedürfniſſen und der
Sitte ſeiner Heimath, großwächſt.
Wird er anderwärts importirt, wo ihm die natürlichen
Bedingungen ſeiner Entwickelung fehlen, ſo kommt er leicht
zu Abſurditäten. Manche körperliche Uebungen, die auch
als Sport bezeichnet werden, dürfen ihrer Wohlfeilheit und
ihrer ſanitätlichen Wirkungen wegen nicht mehr Luxus ge-
nannt werden, wie z. B. der Eisſport. Rein thieriſche
Functionen ſind kein edler Sport mehr; ſie zeugen von
einer gewiſſen Verrohung. So das in England u. Amerika
ſo beliebt gewordene Wettlaufen von Menſchen. Der in
neuerer Zeit auch auf dem Continent raſch an Verbreitung
gewinnende Ruderſport erinnert vielleicht zu ſehr an knech-
tiſche Thätigkeit; auch iſt bei ſeinen lärmenden Schluß-
effecten, den Wettfahrten, der Spielraum der Gefahr, der
ja einen Hauptreiz bilden ſollte, völlig verſchwunden und
an ſeine Stelle eine ſtarke Beimiſchung von Eitelkeit
getreten.
Weit höher ſteht der Segelſport, der eine unbändige
und gefährliche Naturkraft in den Dienſt menſchlicher Ge-
ſchicklichkeit und Kühnheit zwingt. Alpenſport läßt eine er-
freuliche Miſchung von Ruturgenuß, Körperübung und
Freude am Wagniß erblicken. Er führt uns zu einem
weiteren wichtigen und wirkungsvollen Zweige des heutigen
Weltluxus: dem Reiſen. Dieſer Luxus iſt inſofern ſehr
wohlthätig, als dabei von Verirrungen kaum die Rede ſein
kann. Das Reiſen entnervt nicht und enthält keinen ſchäd-
lichen Sinnenkitzel; es zwingt weder zur Verſchwendung,
noch zu einer den Frieden der Geſellſchaft ſtörenden
Prunkſucht.
Es iſt ein Luxus, welcher Erfahrungen ſammelt, Be-
quemlichkeit verachten lehrt, Standesunterſchiede verſchwinden
läßt, weltbürgerliche Geſinnung weckt, kleinſtädtiſche Be-
fangenheit beſeitigt und ſelbſt den rohen Erwerbsmenſchen
Berührung mit Kunſt, Geſchichte und Naturſchönheit
ringt. ö — ö
Große öffentliche Feſte ſind von jeher eine Art des
Luxus geweſen, die einen beſonders tiefen Blick in die
Völkerpſychologie geſtatten. Unſere deutſchen Schützen-,

Turner⸗ und Sängerfeſte haben — was man auch ſonſt

darüber ſagen mag — neben ihrer nationalen Bedeutung
noch den Vorzug, keinerlei Klaſſenunterſchiede in gehäſſiger
Es gibt wohl keine Gelegen-
heit, welche die Unterſchiede des Ranges und des Ein-
kommens ſo ſehr verwiſcht, als ſolche öffentliche Feſte.
Wenn auch übermäßig viel Bier dabei conſumirt und
Arbeitszeit verſäumt wird: jene ausgleichende Thätigkeit
dieſer Feſte iſt gar nicht hoch genag anzuſchlagen. Sie
und die eigentlichen Volksfeſte im engeren Sinne des Wor-
tes bringen es auch Dem, der in ganz beſcheidenen Ver-
hältniſſen lebt, von Zeit zu Zeit zum Bewußtſein, daß an
der Freude des Lebens Jeder ſeinen Antheil habe.

Verſchiedenes.
— Eine intereſſante Buchhandlung iſt die
„Librairie Nouvelle“ in Paris, von deren täglichen Stamm-
gäſten ein Correſpondent der „W. A.⸗J.“ folgende Schil-
 
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