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Heidelberger Familienblätter — 1882

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No. 79 - No. 86 (4. October - 28. October)
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derung gibt: „Die Librairie nouvelle iſt der Verſammlungs-
ort für Alles, was in Paris mehr oder weniger mit der
Literatur, dem Theater, der Politik zuſammenhängt. Man
trifft dort zu gleicher Zeit einen kleinen, graubärtigen, kahl-
köpfigen Herrn, welcher niemand Anderes iſt als Raphael
Biſchoffsheim, das Univerſalgenie, Deputirter, Aſtronom,
Bankier, Theaterfex, der ſeine Naſe überall hineinſteckt, ein
Bischen lächerlich, aber trotzdem ſympathiſch iſt, und einen
weißhaarigen, ernſt blickenden Herrn, welcher Ihnen ſogleich
einige Zoten ins Ohr flüſtern wird; das iſt W. Peyrat,
Seine⸗Senator. Sehen Sie dort den großen Dicken, mit
dem Monocle im Auge und einem Eiſenſtöckchen in der
Hand, über den Verkaufstiſch geneigt? Das iſt Aurölien
Scholl, Einer von denen, die für die „geiſtreichſten Männer
von Paris“ gelten; bei ihm hat man übrigens Recht. Er
macht noch mehr Witze, als man ihm zuſchreibt. Dann
kommen zwei Dicke, die wie Abbés ausſehen — der Eine
iſt groß, der Andere klein, aber alle Beide ſind luſtig, das
iſt Louis Ulbach und Charles Monſelet, der Autor des
„Monſieur Cupido“ und der „Hymne an das Schwein“.
Dort der Mann, welcher wie ein „Bonaparte in Brienne“
ausſieht, ſtets geſchäftig, ſtets heiſer beim Eintreten mit
dem blauen Cachenez, und welcher nach fünf Minuten lauter
ſchreit als alle Anderen, iſt Sardou, welcher mit Albert
Wolff, dem Chroniquer des „Figaro“ plaudert, der es trotz
aller Anſtrengung nie dahin bringt, unausſtehlich zu ſein —
ausgenommen an den Tagen, wo er im Baccarat verloren
hat. Dann, ein bischen ſpäter, kommt auch Dumas mit
ſeinem Freunde Lavoix, welcher ihm den Myſticismus des
„Homme femme“ eingeflößt hat; ich glaube indeſſen, er
iſt jetzt in Ungnade, da ſich Dumas im Vereine mit Des-
barolles mit Chiromantie beſchäftigt. Jener Kleine mit
dem ſchleppenden Gange und den ſchläfrigen Augen iſt
Meilhac, und jener große Hagere iſt Ludovic Halevy. Sie
ſchreiben nicht mehr mit einander, das iſt wahr; aber ſie
machen noch immer ihre Partie Billard. So könnte ich
noch lange fortfahren, indem ich dem Leſer erzähle, daß
der Lange dort, welcher ſich auf ſeinen Spazierſtock ſtützt,
Deroulede iſt, der Neffe Augiers, der Verfaſſer der chau-
viniſtiſchen „Soldatenlieder“ und Feind der deutſchen
Turner, und daß der luſtige Dicke hier Labiche iſt. Dann
gibt es noch die großen Bankiers, welche herkommen, um
zu hören, was geſprochen wird. Und dann die Jünglinge,
welche ſich täglich ein Buch kaufen, um ſagen zu können,
ſie ſeien in der Librairie nouvelle geweſen.

EeE— (Memoiren der Prinzeſſin Amalie von
Sachſen.) Aus Dresden wird der „Frankf. Ztg.“
mitgetheilt: Im Auftrage des Königs Johann beſorgte
bekanntlich ſ. Z. Robert Waldmüller (E. Duboc) eine
Geſammtausgabe der ſeiner Zeit ſo beliebten dramatiſchen
Arbeiten der älteſten Schweſter des Königs, der Prinzeſſin
Amalie. Schon damals entſtand in dem Herausgeber
der Wunſch, den eigenartigen Entwickelungsgang der fürſt-
lichen Luſtſpieldichterin näher verfolgen zu können, und die
Erfüllung dieſes Wunſches wurde ſpäter durch Auffindung
von eigenhändig geſchriebenen Lebenserinnerungen der Prin-
zeſſin ermöglicht. Waldmüller verfaßte einen das Weſent-
lichſte derſelben enthaltenen Auszug und legte dieſen dem
König Albert vor, der dann die gleichzeitig erbetene Ge-
nehmigung zu deſſen Veröffentlichung ertheilte. Das in-
tereſſante Buch wird nun im nächſten Monat unter dem
Titel: „Aus den Memoiren einer Fürſtentochter“
im Verlag von C. C. Meinhold u. Söhne hier erſcheinen.
Im Manuſcript füllt das Tagebuch der Prinzeſſin 12
Bände und umfaßt ihre ganze Lebenszeit (1794 — 1870).
Soweit es heimiſche oder häusliche Vorgänge betrifft, be-

ſchränkt es ſich nur auf kurze Notizen; ausführlicher aber
wird es bei beſonderen Anläſſen, z. B. wo es vom Auf-

enthalt des erſten Napoleon am Dresdener Hofe oder von
Reiſe⸗Erlebniſſen und Reiſe⸗Eindrücken handelt. Da Prin-
zeſſin Amalie mehrere Male Frankreich beſuchte, ſechs Mo-
nate bei ihrer Schweſter, der Königin Joſepha, in Spanien
weilte, zehn Mal in Italien war und eine Menge Aus-
flüge in Deutſchland und nach Oeſterreich unternahm, ſo
bietet dieſer Theil des Tagebuchs eine intereſſante Aus-
beute, zumal fortwährend aus ſonſt wenig zugänglichen

Kreiſen berichtet wird.

— (Die arme Frau.) Eine junge Frau ohne poli-
tiſche Bildung findet am Tage vor der Wahl auf dem
Arbeitstiſch ihres Mannes den liberalen und konſervativen
Wahlaufruf. Nachdem ſie zuerſt den liberalen Wahlaufruf
geleſen hat, ruft ſie aus: „Eine ſaubere Geſellſchaft, wirk-
lich, dieſe Konſervativen! Nette Dinge haben ſie vor!
Nun ich hoffe, daß mein Mann nicht zu ihnen gehört.“
Darauf lieſt ſie den Wahlaufruf der Konſervativen und ihr
Schreck iſt noch größer. „Ach, Du meine Güte! — ſchreit
ſie — Was für eine Bande von Mordbrennern ſind dieſe
Liberalen. Und die Konſervatiben auch ſo abſcheulich! Und
zu einer von beiden Parteien muß mein Mann doch ge-
hören. Wehe mir, daß ich einen muthmaßlichen Böſewicht
geheirathet habe! Aber er kam mir gar nicht ſo vor. O
wäre ich nie geboren!“ Sie nimmt ihr Haar ab, zerrauft
es und fällt in eine Reihe von Ohnmachten, welche durch
Weinkrämpfe unterbrochen ſind. (Kladd.)

Die Farbe der Augen.

Ein graues Auge
Ein ſchlaues Auge;
Auf ſchelmiſche Launen
Deuten die braunen;
Des Auges Bläue
Bedeutet Treue; ö
Doch eines ſchwarzen Aug's Gefunkel
Iſt ſtets, wie Gottes Wege, dunkel.

F. Bo denſtedt.

Vom Büchertiſch.

—9 „Das Wiſſen der Gegenwart“ V. Band: „Gindely,
Geſchichte des dreißigjährigen Krieges. III. Abtheilung.“ 242
Seiten eleg. gebunden 1 Mark. Die eben erſchienene dritte Ab-
theilung der Gindely'ſchen Geſchichte des dreißigjährigen Krieges,
(der fünfte der rüſtig fortſchreitenden Univerſalbibliothek „Das
Wiſſen der Gegenwart“) Verlag von G. Freytag in Leipzig,
bildet wiederum eine in ſich abgeſchloſſene Darſtellung und zwar
behandelt derſelbe den ſchwediſchen Krieg ſeit Guſtav Adolfs Tode
und den ſchwediſch franzöſiſchen Krieg bis zum weſtfäliſchen Frie-
den (1632 bis 1648). Der Schlußband dieſes ausgezeichneten,
von der geſammten Kritik mit Beifall begrüßten Geſchichtswerkes
theilt die Vorzüge ſeiner beiden Vorgänger: es feſſelt den Leſer
durch den Geiſt ächt wiſſenſchaftlicher hiſtoriſcher Kritik, durch die
Fülle neuer, aus den Quellen geſchöpfter Daten, durch den prag-
matiſchen Styl und iſt gleich geeignet, die Anſprüche der Gelehr-
ten, wie die der Gebildeten, die ſich für vaterländiſche Geſchichte
intereſſiren, zu befriedigen. Im Ganzen iſt das Werk ebenſo an-
ziehend als inſtructiv und als eine fuͤr den großen Kreis der Ge-
bildeten nutzbar gemachte Arbeit deutſchen Gelehrtenfleißes wohl-
geeignet, Licht üͤder eine der wichtigſten und verworrenſten Par-

tien deutſcher Geſchichte und über eine Zeit zu verbreiten, aus

deren Kämpfen, Verwirrungen und Leiden Volk und Machthaber
tiefeingreifende Lehren für die Gegenwart ziehen können.

Druck u. Verlag von Adolph Emmerling u. Sohn in Heidelberg. Für die Redaction verantwortlich: Fr. Emmerling.
 
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