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MMMs-VMe W FKMerser WsMkt"
All. 9. s. Wy -MMe. 1914.

Inhalt: Heidelberger Tagebuchblätter. — Martin Greif. Eine
literarische Studie von Alfred Biedermann, Hockenheim. — Das
Sommertagslied in der Pfalz. Von Major z. D. Oskar Huffschmid,
Heidelberg. — Ein Papst als Gefangener in Heidelberg. Von K. Roth.
— Eine geologische Studienreise durch die Südpfalz am 12. und 13.
Juli 1913. — Allerlei: Ein Heidelberger Vorläufer Darwins- Der
Krämer-Matthes von Hollerbach. Welches war die „gute, alte Zeit"?

Heidelberger Lagebuchblätter.
11. — 24. März.
Kommunales. 18. März. Der Stadtrat genehmigt ein Projekt betr.
die Versorgung von Schlierbach und Handschuhsheim mit elek-
trischer Energie. — 20. Mürz. Wahl des zweiten Bürgermeisters
Wielandt zum ersten Bürgermeister von Heidelberg.
Verschiedenes. 16. März. Vortrag des Reichstagsabgeordneten Beck
über die politische Lage. — 16. März. Wahl der Arbeitnehmer
zur Ortskrankenkasse. — 22. März. Sommertagszug. — 22. März.
Eine Bürgerversammlung in Kirchheim nimmt zur Eingemein-
dungsfrage Stellung. — 22. März. Einweihung der neuen Neckar-
brücke in Schlierbach - Ziegelhausen.

Martin Greif.
Eine literarische Studie
von Alfred Biedermann, Hockenheim.
1.
„Was einer als Mensch ist, das ist er auch als Dichter", sagte
A. Bartels in seiner Heine-Biographie. Im allgemeinen — nicht
immer! — hat dieser Satz seine Richtigkeit. Jedenfalls können wir
rhn voll und ganz auf Martin Greif anwenben.
Friedrich Hermann Frey — so hiess unser Dichter, ehe
Prinzregent Luitpold von Bayern ihm die Führung seines Dichter-
namens Martin Greif auch im Privatleben gestattete — wurde
am 18. Juni 1839 zu Speyer a. Nh. geboren. Sein Vater war
daselbst als Negierungsrat tätig: die Mutter, an welcher der Dichter
zeitlebens mit rührender Liebe gehangen, stammte aus dem Elsaß.
Professor Losch, einer unserer besten Greifforscher, rühmt ihr „reichen
poetischen Sinn, ein überaus inniges Gemüt nach. Das Geburts-
haus Greifs liegt an der Ecke zwischen Weber- und Pfarrgasse. Früh
fühlte sich der künftige Dichter zur Poesie hingezogen: mit Freiligrath
und Rückert, später Mörike und Lingo trat er in Verkehr. Zunächst
schlug unser Dichter die militärische Laufbahn ein. 1857 trat er ins
Heer, zwei Jahre später finden wir ihn in Landau in Garnison.
Aber der Offiziersberuf konnte einen Geist wie Greif nicht auf die
Dauer befriedigen. Er quittierte — ähnlich wie Prinz Emil
v. Schoenaich-Carolath — den Dienst und lebte 1869—1880 in be-
scheidenen Verhältnissen in Wien. In späteren Jahren siedelte er
nach München über. Große Reisen nach Frankreich, England, Bel-
gien, Dänemark, Spanien und Italien erweiterten seinen Gesichts-
kreis nnd kamen dem Lyriker, ganz besonders auch dem Dramatiker
zu gute. Auf diesen Reisen besuchte er u. a. auch Heidelberg
und hat Heidelbergs Umgebung in dem Gedicht „Besuch in Heidel-
berg" (Gedichte, Seite 153) stimmungsvoll geschildert.
Ohne eigenes Heim, von schweren Schicksalsscklägen verfolgt,
Pilgerte Greif von einer Gegend in die andere. „Unstet bin ich", ja,
so konnte er mit Recht ausrufem Hervorragende Männer schlugen
Greif im Jahre 1909 für den lit. Nobelpreis vor: leider vergebens.
Doch eine andere, große Freude erlebte unser Dichter: sein 70. Ge-
burtstag wurde von seinen Freunden, deren Zahl sich von Jahr zu
^ahr mehrt, überall festlich begangen: die zahllosen Glückwünsche,
die Greif zu diesem Tag erhielt, zeigten ihm, daß seine Poesie doch

siegreich sich Bahn gebrochen. Ein Freund Greifs, Dr. N. Wedel,
hat an jenem Tag eine der letzten photographischen Aufnahmen von
ihm gemacht: sie sind mir wie ein stiller Gruß des Verstorbenen . . .
Seit 1909 war, infolge eines Sturzes, Greifs rechter Arm nicht mehr
ganz bewegungsfähig: ein quälendes Nierenleiden bereitete ihm
schwere Stunden; dazu kam noch ein böses Augenleiden. In Kuf-
stein — Greif war auf einer Reise nach dem Süden begriffen —
warf ihn sein Leiden aufs Krankenlager. Ruhig sah er dem unab-
änderlichen Schicksal entgegen.
Und als der Erlöser Tod in das hellfreundliche Krankenzimmer
trat, da war alles Erdenleid vergessen .... Am 1. April 1911 ging
Greif zur ewigen Ruhe. Sein Grab ist in Palmberg, unweit dem
Mühldorfer Schlachtfeld.
II.

Wohl am schwersten traf Greif der Tod seiner Braut. In schlicht
ergreifenden Weisen hat der Dichter dieses Mädchen besungen. Merk-
würdigerweise ist uns von ihm fast gar nichts bekannt. Alle Nach-
forschungen blieben bislang vergebens. Vor einem Jahr versuchte
ich nochmals beim kath. Stadtpfarramt in Annweiler, nähere Einzel-
heiten über die Verstorbene in Erfahrung zu bringen. Wir wissen
nur, wie Prof. Kosch mir mitteilen ließ, daß Greifs Braut Berta
hieß, eine „liebe, gute, stille Natur" war und um 1864 (im Frühjahr?)
zu Annweiler starb. Der Dichter stand damals im 25. Lebensjahr.
Die Treue hat er seiner Brant bis zu seinem Tod gehalten. Dieser
echt germanische Zug im Leben Greifs, diese felsenfeste Treue, ge-
währt uns einen tiefen Einblick in seinen Charakter. Zweifellos
ist Greif auch als Mensch eine sympathische Erscheinung: kraftvoll
und doch schmiegsam, gläubig und von edlem, reinen Empfinden!
Seine Werke, besonders seine Lyrik, atmen eine seelisch-tiefe und
bedeutende Auffassung des Lebens, verbunden mit einer Gefühls-
innigkeit, wie wir sie selten bei einem anderen modernen Dichter in
solchem Maß antresfen. — —
Bevor wir Greifs Lyrik werten — von seinen Dramen soll hier
abgesehen werden — müssen wir vor allem die Ursachen aufzeigen,
die einer allgemeinen Anerkennung des Dichters lange Zeit hinderlich
waren. Wenn Greif zu seinen Lebzeiten nicht die allgemeine Be-
achtung fand, die er vollauf verdient hatte, so lag die Schuld zum
Teil an ihm selbst: eine stille, besinnliche Natur, ging er allezeit den
Weg, den ihm sein künstlerisches Gewissen vorgczeichnet hatte, unbe-
kümmert um die Tagesmode: jeder Reklame, jeder Verhimmelung
war der Dichter abhold. Hier muß ein kleines Kapitel eingesügt
werden, wie es, gotklob, in der deutschen Literatur nur vereinzelt da-
steht in seiner ganzen Schändlichkeit. Geibel hatte Greifs -Dichtun-
gen sehr abfällig kritisiert nnd ihm deutlich zu verstehen gegeben, daß
er den Dichterberuf besser aufgebe.
Greif ließ sich durch diese von Neid diktierte Kritik nicht ab-
schrecken und fand an dem heute zu hohem Ruhm gelangten Mörike
einen verständnisvollen Förderer seiner Muse. Mörike hatte stets
nur Lob für die Gedichte seines Mitstrebendcn. Nnd nun kommt
das Schändliche: Greiss Ansehen wuchs allmählich, man erkannte,
was er in seinen Liedern bot. Der Aufstieg unseres Dichters ließ
nun einen anderen nicht mehr ruhig schlafen. Dieser, Georg Scherer,
versandte ein als „vertraulich" bezeichnetes Schreiben, worin er vor
Greif warnte und die Muse unseres Dichters verdammte. Greif ging
an diesen Angriffen stolz vorüber. Dem unglücklichen Michael Georg
Conrad gebührt das Verdienst, den „Dichter" Georg Scherer ent-
larvt nnd sein unfeines Gebaren öffentlich gebrandmarkt zu haben.

III.
Greif hatte unter seinem eigentlichen Namen Frey in früheren
Jahren Gedichte veröffentlicht, die er jedoch später, da sie ihm nicht
ausgereift erschienen, vernichtete. Im Jahre 1868 erschienen seine
„Gedichte", wie wir sie heute vor uns haben, unter seinem Dichter-
namen, bei Cotta; erst 1881 brachte dieser Verlag die 2. Auflage
heraus. 1902 überraschte der Dichter die Freunde seiner Kunst mit
einem weiteren Band „Neue Lieder und Mären". Dazwischen schrieb
er zahlreiche Dramen, Essays und einige Novellen. Wir wollen jedoch
hier nur den Lyriker Greif würdigen.
Seine Lyrik wurzelt vor allem im Volkslied. Die geheimsten
Regungen der Volksseele hat er belauscht, und Gestalten, die uns
im Volkslied begegnen, kehren bei unserem Dichter, allerdings in
überaus feiner Form, wieder. Seine Liebeslyrik liefert Perlen zum
Kronjchach der deutschen Dichtuna. All die Seliakeit der Liebe, bas
 
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