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M 2S1 j

Berantwortl. Redakteur PH. Klausner
tn Heidelberg.

Mittwoch, 14. Deeember

Die Kornzölle.

Allem Anscheine nach werden die landwirthschaftlichen
Schutzzölle nicht so glatt durchgehen, wie die Agrarier es
wünschten und der deutsche Landwirthschaftsrath es hoffte.
Die Regierung wird nicht umhin können, die Bedenken in
Erwägung zu ziehen, welche von freiconservativer und
ckericalcr Seite erhoben werden, wenn sie auch auf die
Gegnerschaft der Deutschfreisinnigen und Socialdemokraten
bicht zu viel Gewicht legt. Berücksichtigt mau die vor-
sichtige, halb widerwillige Haltung der Nationalliberalen,
!v hat die Regierung nur die Deutschconservativen für sich;
die Mittelparteien sind gespalten, das Centrum ist sogar
>n drei Parteien getheilt, welche gegen die Kornzölle, für
^»e mittlere Höhe derselben und für die volle Erhöhung
sind. Danach sind die Chancen der vermittelnden Gruppe
gestiegen.
An der Spitze derer, welche für eine bescheidene Er-
höhung plädiren, steht der württcmb. Freiherr von Ow;
'n der Commission begründete er seine Ermäßigungs-
anträge damit, daß es an genügender Erfahrung über die
Wirkung der seitherigen Zölle fehle und die Vorlage daher
verfrüht sei. Der freisinnige Abgeordnete Brömel meinte,
Herr v. Ow müßte consequent zu Ablehnung der Erhöhung
wmmen. Von den Folgen der Erhöhungen kenne man
schon viele. Die Nachtheile seien sehr merkbare im Ge-
treidebau, im Getreidehandel und in der Getreideverarbei-
tung. Auch Windthorst erklärte, die Vorlage sei mindestens
verfrüht, die Regierung habe offenbar einem agitatorischen
Druck nachgegeben. Nicht nur die Landwirthe litten, son-
°ern weite Kreise des Erwerbslebens. Die Landwirthe
hatten durch das Branntweinsteuergesetz eine wesentliche
lluterstützung bekommen. Am bedenklichsten seien die von
hohen Zöllen zu fürchtenden socialen Gefahren. Dagegen
sprach sich wider Erwarten Reichensperger, der sich bisher
Segen jede Zollerhöhung erklärt, für eine mäßige Erhöhung
Sinne des Antrages Ow aus.
Man sagt, die Regierung und mit ihr die Freunde
"er abermaligen Erhöhung der Zölle im Sinne der Regie-
rungsvorlage seien mit dieser Vermittlungs-Richtung sehr
Unzufrieden und würden nur die volle Erhöhung an-
vehmen. Alles oder nichts, wäre ihre Parole. Indessen
Mfte schließlich auch „pars pro tobo", der Theil für's
7»nze angenommen werden. Erstens sind die Zölle bereits
Ärmlich hoch, zweitens aber sind die Landwirthe praktische
f^Ute; sie nehmen auf dem Markte wie im Parlament
aeber was sie kriegen, als gar nichts.
Schon der alte Freihändler Minister Delbrück erklärte
^°r etwa zehn Jahren, man müsse anerkennen, daß ein
'chutzzöllnerischer Zug durch Europa gehe; er legte damals

der „wirthschaftlichen Reaction" nur einen industriellen
Charakter bei, aber die letztere war mehr; sie gewann einen
culturperiodischen, einen allgemeinen Einfluß und Ausdruck.
Die Landwirthschaft folgte nach, weil sie selbst zur In-
dustrie emporgeblüht war. Mit den „Handelskrisen" des
Freihandel-Systems steigerte sich die Angst vor solchen
Krisen. Da hatte Bismarck den Muth, die Zollfrageu
als höchste Culturfragen zu bezeichnen, die man „erst Pro-
kuren müsse, denn Probiren geht über Studiren". Von ihm
stammt das denkwürdige Wort, der Körper werde erst
wieder aufleben, wenn den Adern wieder Blut zugeführt
worden sei.
Das konnte nur durch eine Zoll- und Steuerreform
geschehen. Die ursprüngliche Idee der Bismarck'schen
Steuerreform beruhte auf der Idee, alle Einfuhr, die
nicht zum nöthigsten Lebensunterhalt gehört, mit hohen
Finanzzöllen zu belegen. Von da an bis zum Entschluß,
auch die nothwendigen Lebensmittel mit einer geringen
oder mittleren Zollbelastung zu bedenken, war nur ein
Schritt. Weitere Erhöhungen der Kornzölle folgten. Die
große Frage der Gegenwart lautet nun, ob die neueste
Steigerung übertrieben ist oder nicht. Daß es gerade in
dieser Frage wichtig ist, nicht die alte Erfahrung von der
gefährlichen Tendenz der Steigerung aller Schutzzölle durch-
zumachen, liegt wohl auf der Hand und darum dürfte die
vermittelnde Richtung, welche erst neue Erfahrungen
wünscht, ehe man die neuen „hohen Schutzzölle" für die
Landwirthschaft bewilligt, den L>ieg davontragen.
Demsches Meich»
Karlsruhe, 12. Dec. In die Commission für
die Kirchenvorlage wurden gewählt die Nationallibe-
ralen Winterer, Fieser, Leipf, Bassermann, Kiefer, Gönner,
Burg, Lamey, Geßler, Strübe, Klein (Weinheim) und die
Ultramontanen Hennig und Marbe. — Ein größerer Theil
der bad. Reichstagsabgeordneten wird für die Ver-
doppelung des Getreidezolles stimmen. Dies gilt
insbesondere von dem Freiherrn v. Hornstein, dem Ver-
treter des Wahlkreises Donaueschingen-Engen, und vom
Ersten Staatsanwalt Fieser, dem Abgeordneten des 10.
Reichstagswahlkreises Karlsruhe-Bruchsal, der auch die so-
genannten Hardtgemeinden umfaßt, welche feiner Zeit be-
kanntlich sowohl für Arnsperger als für Fieser, für letzteren
zur Durchführung des Kartells eingetreten sind.
Berlin, 11. Dec. Der Ausschuß des Volkswirth-
schaftsraths hat sich dafür entschieden, daß zum Träger
der Alters- und Invalidenversicherung die Berufsgenoffen-
schaften, wie die Regierung es vorschlägt, gemacht werden
sollten; ebenso sprach sich der Ausschuß in Bezug auf die
Aufbringung für das Deckungsverfahren und dafür, daß

Nruck und »rriag von Wurm L Pfeffer
m GMelberz.

1887.

das Reich ebenso viel wie Arbeiter und Arbeitgeber auf-
zubringen habe, aus. Für den Bedarf wurden statt 4
nur ll'/r Pfg. auf Tag und Kopf angenommen. — Die
bisherigen Verhandlungen bezüglich der Expropriation des
zum Bau des Nordostseecanals erforderlichen Grund und
Bodens haben, den „Hamburger Nachrichten" zufolge,
durchweg recht befriedigende Ergebnisse gehabt. Mit einem
sehr großen Theil der in Betracht kommenden Besitzer
konnte sofort eine Einigung erziehlt werden; in einzelnen
Fällen wurde eine kurze Bedenkzeit ausgebeten, dagegen
von Niemanden die Abtretung zu dem gebotenen Preise
rundweg abgelehnt. Es ist somit gegründete Aussicht vor-
handen, daß die gesammten Grnnderwerbungen ohne nen-
nenswerthe Schwierigkeiten ihre Erledigung finden werden.
Berlin, 11. Dec. Wir haben den materiellen In-
halt des Gesetzentwurfes über Abänderung der Wehr-
pflicht unseren Lesern bereits mitgetheilt und den wesent-
lichen Punkt der Begründung, daß es sich in demselben
um das feste Fundament für die Existenz und die Fort-
entwickelung Deutschlands, dessen Sicherheit von seiner
Stärke abhänge, handle. Selten ist ein Gesetzentwurf ein-
gebracht worden, der durch wenige grundlegende Verände-
rungen der bestehenden Ordnung und durch geringe Kosten
doch eine so bedeutsame und schwerwiegende Umwandlung
des Bestehenden, eine so wuchtige Stärkung des Staates
in seinem Verhältniß zu den übrigen Staaten herbeigesührt,
wie diese neue Wehrordnung. Eine Verschiebung der Grenzen
zwischen Landwehr und Landsturm, durch welche eine nur
unbedeutende Erhöhung der persönlichen Militärlast und
eine geringe Mehrausgabe herbeigesührt wird, kann für
den Fall eines Krieges die Heeresziffer um 8- bis 900000
Mann vermehren. Der Hauptzweck des Entwurfes läuft
darauf hinaus, aus der großen Masse des Landsturmes,
welchem jetzt gediente und nicht gediente Mannschaften an-
gehören, die gedienten und militärisch ausgebildeten aus-
zusondern, unter eine Controle zu stellen, die fast ganz
unfühlbar ist, und so deren augenblickliche Verwendung im
Kriege, wenn das sich als nothwendig erweisen sollte, zu
ermöglichen. Die bisherigen 5 Jahrgänge Landwehr bleiben
als erstes Aufgebot der Landwehr unverändert fortbestehen
und haben sich den bisher maßgebenden Verpflichtungen zu
unterziehen. Die hierauf folgenden nächsten sechs Jahr-
gänge, bis zum März des 39. Lebensjahres, die bisher
schon dem Landsturm angehörten, bilden nach dem Gesetz
das zweite Ausgeboi der Landwehr, während der Landsturm
sodann vom 39. bis 45. Lebensjahre anstatt des jetzt gel-
tenden 42. reicht. Wir heben, weil man in beteiligten
Kreisen in dieser Ausdehnung der Landwehr bis zum 39.
Lebensjahre eine Belastung und in vielen bürgerlichen
Beziehungen eine Behinderung glaubt erblicken zu müssen,

Charlotte Oldenstätt.
C r i mi n a l - N o v e ll e von A. Klock.
(Fortsetzung.)
Sechs Monate sind vergangen, eine Ewigkeit für den

12)
»»glücklichen, welcher sie zwischen Furcht und Hoffnung
» der Untersuchungszelle verbringt. Das bewies das Aus-
sen des Gefangenen, der in der kurzen Zeit auffallend
^altert war.
Am Tage nach seiner Verhaftung vor die Leiche seines
Lohnes geführt, brach Oldenstätt in Worte tiefen
Schmerzes aus, doch blieb er bei den Betheuerungen seiner
"»schuld.
Der Audienztermin war erschienen. Die Gattin des
5»geklagten hatte ein nochmaliges Zeugniß verweigert,
Menungeachtet wurde Doktor Oldenstätt trotz hartnäckigen
^»gnens hauptsächlich in Folge der ersten Aussage Re-
-i»as, und da alle Beweise für seine Schuld sprachen:
Wegen Tödtung seines Sohnes unter An-
^»hrne mildernder Umstände zu sechs Jahren
defängniß verurtheilt!
, Bei der Verlesung war das Antlitz des Verurtheilten
f°tenbleich, aber die starren Blicke suchten weder den Ge-
Mshof noch das Publikum — nur unverwandt schauten
M ein schmales blasses Angesicht, dessen Augen vom
f^Men geröthet, sich nicht trennen konnten von dem An-
»E des Mannes auf der Anklagebank.
. Die Verhandlungen waren zu Ende, der Gefangene
^lckte sich an, den Saal zu verlassen.
, Da hielt es Charlotte nicht länger, auf ihn zustürzend,
M sie schluchzend zu seinen Füßen nieder. Der Vater
sie mit Heftigkeit empor, er preßte sie an seine Brust
»° glühende Thränen strömten aus ihren Scheitel.
2. . „Lottchen, mein Lottchen, glaube an mich, bleibe
einem Vater treu", flüsterte er mit erstickter Stimme.

f Sie konnte nicht antworten, nur ein unterdrückter Wehe-
z laut drang über ihre Lippen.
Die Gendarmen zogen den Verurtheilten fort und
Charlotte blickte wie sinnlos auf die Thür, welche sich
hinter ihm geschloffen. —
Sie wankte vorwärts; ein halbes Kind noch, voll
Angst und Hoffnung hatte sie den Saal betreten, ein ge-
reiftes Weib verließ sie ihn wieder!
Leise murmelten ihre Lippen einen Schwur nicht eher
zu ruhen, bis sie den wahren Mörder ihres Bruders
Johannes gefunden.

; Viertes Capitel.
Schneeflocken fielen in dichten Massen hernieder,
höher und höher thürmten sie sich in den Straßen. Mochten
eben die Passagen noch so eifrig mit Besen und Schaufeln
gereinigt sein — der mit anhaltender Ausdauer nieder-
z fallende Schnee spottete jeder Mühe und Arbeit. Vor
den Fenstergesimsen hatte er sich bereits bis zur halben
i Scheibe angehäuft, mit kecker Neugier in die Fenster
z lugend; überall gab es etwas Anderes zu sehen, hier Lust
und Freude, dort Leid und Schmerz.
In den verödeten Gemächern ihres Vaters schritt
Charlotte sinnend auf und nieder, ihre schlanke Gestalt, in
ein schwarzes Gewand gehüllt, harmonirte wunderbar mit
dem traurigen Ausdrucke ihres lieblichen Gesichtes.
„Erst zwei Jahre", murmelte sie tief bekümmert,
und „schon zwei Jahre", setzte sie mit einem Ausdrucke
der Anklage gegen sich selbst hinzu. „Noch immer habe
ich mein Versprechen nicht eingelöst, mein armer, armer
Vater", fuhr sie in leisem Selbstgespräche fort, „noch
immer bist Du nicht frei! Wie habe ich geforscht, was
für Mühe mir gegeben, wie viel vergebliche Wege gemacht,
Alles umsonst, nicht der entfernteste Anhaltspunkt gegen
irgend einen Anderen. O dieser Polizeirath ist mein
größter Feind. Mit kaltem Lächeln konnte er mich neu-

z lich ersuchen, ihm nicht eher wieder die Ehre zu schenken,
bis ich ganz Bestimmtes wüßte. Und dennoch, mögen
mir Millionen Stimmen zurufen: Dein Vater ist schuldig,
ich sage Nein und tausendmal Nein, er ist es nicht!"
Ihre großen, dunkelblauen Augen blickten lange Zeit
selbstvergessen in das Schneetreiben.
„Ach diese öde Natur erweckt so viel Zweifel, so viel
Pein, das muthigste Herz wird zaghaft bei dem trost-
losen Anblick."
Charlotte betrat das Nebenzimmer, in welchem ihr
Bruder seinen Tod gefunden. Vor dem Bilde des Ge-
schiedenen blieb sie stehen und betrachtete es aufmerksam.
„Nicht war, Johannes, der Vater ist nicht Dein
Mörder, Du weißt es, aber Du einziger Zeuge bist stumm;
ach könntest Du zurückkehren und Licht bringen in diese
qualvolle Finsterniß!"
Sie blickte fragend in die Züge des jungen Mannes,
welche den ihren so auffallend glichen. Auch seine Augen
waren dunkelblau, sein Haar kastanienbraun und sein Ant-
litz blaß und schmal, nur fehlte ihm der liebliche, schwer-
müthige Ausdruck, welcher den Zügen seiner Schwester
einen so seltenen Reiz verlieh.
Das junge Mädchen wendete sich plötzlich rasch und
heftig von dem Bilde — spielte nicht eben um die bart-
losen Lippen des Bruders ein höhnischer Zug, lag nicht
etwas wie Schadenfreude in den dunklen Augen?
Sie wußte es nur zu gut, Johannes hatte den Vater
nie geliebt; zurücktretend warf sie einen Stuhl hinter ksich
um, so daß dieser, ein altes schweres Möbel, mit starkem
Geräusch zu Boden fiel.
In demselben Augenblick ertönte aus dem untern
Stockwerk ein lauter Aufschrei! Schnell eilte Charlotte
hinab, mit ihrem leichten, graziösen Schritt trat sie fast
geräuschlos in das Wohnzimmer ihrer Stiefmutter.
(Fortsetzung folgt.)
 
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