eiMeyer Tageblatt
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Berantwottl. Redacteur Friedrich Kley
in Heidelberg.
Samstag, 8. Deeernber
Druck und Verlag von Carl Pfeffer
vorm. Wurm L Pfeffer in Heidelberg.
M88.
Der Stand der ReichsÜnanzen
bietet einen deutlichen Spiegel der wirthschaftlichen Lebens-
fähigkeit des deutschen Reichs dar, und es ist daher bei
jeder Reichstagssession von allgemeinem Interesse, den
nöthigen Aufschluß über die Neichsfinanzen zu erhalten.
Das Reichsbudget balancirt dermalen nach dem Entwürfe
für das Etatsjahr 1889/90 mit 949103 987 Mk. in Ein-
nahme und Ausgabe; das Reich bedarf also nahezu eine
Milliarde jährlich für seine Verwaltungs-, Militär-, Marine-
und Verkehrs-Institutionen, und überhaupt für die Wahr-
nehmung der Interessen des Reiches nach innen und außen.
Diesem Anwachsen der Ausgaben des Reiches zur Erfül-
lung seiner Lebensaufgaben darf man getrost auch (die
wachsenden Einnahmen, also Steuern, Zölle, Ueberschüsse re.
als mit der wirthschaftlichen Lebensfähigkeit der deutschen
Nation vereinbar gegenüberstcllen. — In der gegenwär-
tigen Epoche unseres Vaterlandes kann eben kein Staats-
mann und kein einsichtiger Patriot in finanziellen Ange-
legenheiten sein Hauptaugenmerk auf Ersparnisse und
Budgetbeschneidungen richten, sondern er muß lediglich die
Hauptfrage lösen helfen, ob das deutsche Reich in großer
schicksalsschwerer Zeit die finanziellen Opfer, welche der
Bestand des Reiches nun einmal verlangt, in jetziger schick-
salsschwerer Zeit aufbringen kann, ohne daß das Vater-
land dem wirthschaftlichen Ruine entgegengeht.
Von dem in Einnahmen und Ausgaben mit 949103 987
Mk. balancirenden Reichshaushaltsetat entfallen für die
ordentlichen laufenden Ausgaben übrigens nur 806425490
Mk., während 58554615 Mk. für einmaligen Ausgaben
des außerordentlichen Etats verlangt werden. In letzterer
Beziehung sind es zumal die unvermeidlich gewordenen
Ausgaben für Marinczwecke, dann aber auch für Neu-
ausgaben des Landheeres und für Vollendung strategischer
Zwecke. Nicht unerwähnt darf bleiben, daß zu den außer-
ordentlichen Ausgaben auch die Beiträge zum Bau des
Nordostseecanals und des Reichstagsgebäudes gehören. Für
die außerordentliche Ausgabe von 84123 882 Mk. sind
auch außerordentliche Deckungsmittel vorgesehen. Doch
sind zur Deckung dieser laufenden Ausgabe keine volle
84 Mill. Mark nothwendig, vielmehr liegen von früherher
über 20 Mill. Ueberschüsse und Mehreinnahme vorhanden,
so daß nur ca. 60 Mill, durch eine Anleihe gedeckt werden
müssen. Die nöthige Anleihe ist also von voraussichtlich
mäßiger Höhe, und es ist deßhalb kein nachtheiliger Schluß
auf den Stand des Reiches Hierwegen zu ziehen, zumal
wenn man dabei in Anschlag bringt, daß die 84 Mill,
außerordentliche Ausgaben im nächsten Jahre nicht wieder-
kehren werden.
DerrLsches Mrich.
Berlin, 6. Dec. (Reichstag.) Erste Lesung des
Gesetzentwurfs über die Alters- und Invaliden-
versicherung. Staatssecretär v. Bötticher begründete
den Entwurf auf das eingehendste. Die Regierungen
seien für die von den Männern der Wissenschaft aus-
gehenden Kritiken dankbar, weniger für die Kritiken, welche
von dem politischen Standpunkte ausgeübt worden wären.
Redner bespricht die gegen den Entwurf erhobenen Be-
denken und rechtfertigt die Ausdehnung des Entwurfs auf
die gesammle Arbeiterschaft. Was die Vorwürfe gegen die
zu niedrig bemessene Rente angehe, so sei es besser, mit
einer geringen Rente anzufangen und diese später zu er-
höhen. Die Ersetzung der Ortsclassen durch Lohnclassen
erscheine discutabel, wie überhaupt die Regierung den Ent-
wurf nicht als ein „noli nas bunZsrs" betrachten, sondern
dankbar Aenderungsvorschläge entgegennehmen werde. Gegen
die Herabsetzung des Alters (70 Jahre) spreche der als-
dann nöthig werdende wesentlich größere Zuschlag. Den
Vorwurf, daß der Entwurf nur eine „verschleierte Armen-
pflege" sei, habe bereits der Reichskanzler im Jahre 1881
widerlegt. Daß durch das gegenwärtige Prämiendeckungs-
verfahren zu große Capitalien angesammelt würden, sei
kein stichhaltiger Einwand, wie die Erfahrung bei milden
Stiftungen zeige. Die von den bisherigen Versicherungen
abweichende Organisation, wonach die Communalverbände
herangezogen werden, sei dadurch veranlaßt, daß der gegen-
wärtige Entwurf alle Arbeiter umfasse. Weder die Unfall-
noch die Krankenversicherung hätten hierbei als Vorbild
dienen können. Der Minister widerlegt die Einwände
gegen das Markensystem und die Quittungsbücher. Letztere
bildeten das einzig practische Quittungssystem. Auch sei
die mißbräuchliche Verwendung desselben gesetzlich unter-
sagt. Redner hebt schließlich hervor, es handle sich um
ein großes, oft versuchtes und noch nie gelungenes Werk.
Kaiser Wilhelm der Erste versicherte, das Zustandekommen
dieses Gesetzes sei die größte Freude seines Lebens. Der
edle Kaiser Friedrich war von demselben Gedanken beseelt.
Der jetzige Kaiser ersehne die Vollendung des Werkes, von
welchem er die Wohlfahrt des Reiches erwarte und
welches eines der schönsten Blätter der geschichtlichen Ent-
wicklung des Vaterlandes sein werde. Redner schließt mit
dem Wunsche, der Reichstag möge bei der Berathung
i sich von der Devise leiten lassen: „Liebet die Brüder."
s Abg. Grillenb erg er (Socialdemokrat) erklärt, dieSocial-
z demokraten würden mit Ernst in die Berathung eintreten,
s da sie mit dem principiellen Grundgedanken des Gesetzes
! einverstanden seien. Redner kritisirt scharf das bisherige
Vorgehen gegen die Arbeiter, namentlich durch dasSocia-
listengesetz und die Steuerpolitik und bemängelt die vorge-
schlagene Organisation, spricht sich dagegen für den Ge-
danken einer Reichsversicherung aus; auch mit der ge-
planten Dreitheilung der beitragenden Factoren könne er
sich im Princip einverstanden erklären, bezüglich der Alters-
grenze aber sei er mit den gemachten Vorschlägen nicht
einverstanden. Die Arbeiter würden gern höhere Beträge
zahlen, wenn sie eine ausreichende Rente in einem nicht
allzu späten Alter erhalten. Im besten Mannesalter (bis
40 Jahre) stürben doppelt soviel Fabrikarbeiter als sonstige
Personen. Das richtigste sei, das 56. Lebensjahr als das-
jenige anzunehmen, wo eine Schwächung der Arbeitskraft
eintritt und die Pensionirung erforderlich sei. Grillen-
berger will nicht nur die dauernde, sondern schon die Halb-
invalidität berücksichtigt wissen. Die Zahl der Arbeits-
wochen sei auf 40 herabzusetzen. Das vorgeschlagene Capital-
deckungsverfahren führe nur zu einer gefährlichen Capital-
ansammlung, und das Quittungsbuch sei ein verkapptes
Arbeitsbuch. In der jetzigen Form sei der Entwurf nicht
annehmbar. Badischer Bundesbevollmächtigter Freiherr
v. Marschall weist auf das entschiedenste-den Versuch
Grillenbergers und der Socialisten zurück, den Entwurf
als eine Art Armengesetzgebung zu discreditiren. Das
ganze Auftreten der Socialisten beweise lediglich, daß man
sich auf dem richtigen Wege befinde. Der verständige
Theil der Arbeiter werde das den Socialisten zum Trotz
anerkennen. Fortsetzung morgen 11 Uhr.
Berlin, 6. Dec. Kaiser Wilhelm machte heute
Mittag seiner Großmutter, der Kaiserin-Wittwe
Augusta, einen dreiviertelstündigen Besuch. — Der
Staatssecretär des Auswärtigen Amtes, Staatsminister
Graf Herbert Bismarck- Schönhausen, ist heute
zu seinem Vater, dem Fürsten Reichskanzler, nach Fried-
richsruh gefahren.
Berlin, 6. Dec. In militärischen Kreisen glaubt
man, daß schon in nächster Zeit die Abschiedsgesuche
der commandirenden Generäle des sechsten und elften
Armeecorps, Generals der Infanterie v. Boehn,
und Generals der Cavallerie v. Schlotheim, vom
Kaiser angenommen werden dürften. — Der Reichs-
tag wird, wie jetzt bestimmt feststeht, sich am 15. Dec.
vertagen.
Berlin, 6. Dec. Wie der „Post" aus Wien gemeldet
wird, veranstalteten gestern Abend in Preßburg eine
Anzahl von Studenten eine Demonstration gegen den
Bürgermeister und warfen demselben die Fenster seines
Hauses ein, weil vorgestern bei der Theatervorstellung die
Büste des Kaisers mit schwarz-gelben Farben drapirt war.
IrsMZsich-
Paris, 6. Dec. Der Ertrag der indirecten Steuern
Schloß Dercky.
Aus dem Englischen von A. Tebbitt.
9) (Fortsetzung.)
Auch das Diner, zu welchem die so sehr Vermißten
sich eingestellt hatten, ermangelte heute des heiteren Tones,
der es sonst zu dem angenehmsten Mahle des Tages ge-
macht hatte. Einsilbig und verstimmt saß der Hausherr
unter seinen Gästen, und Lister, der von Zeit zu Zeit
seine Cousine verstohlen betrachte, merkte, daß sie oft ihren
Gatten mit ängstlichem Ausdrucke betrachtete, und daß ihre
Augen dann stets nach Wilson suchten, der seit einigen
Abenden serviren half, als ob sie von ihm Auskunft und
Beruhigung verlange. Und Henry sah, daß der alte Mann
sie verstand, und entdeckte mit Befremden, das geheimniß-
vollc Mienenspiel zwischen den Beiden. Erst als später
Lord Trevor unter der Angabe eines heftigen Kopf-
schmerzes sich zurückgezogen hatte, begann wieder ein fröh-
licher Geist unter den im Salon Versammelten sich einzu-
stellen. Auf allen hatte das sonderbare Benehmen ihres
Wirthes wie ein drückender Alp gelegen, der erst durch
seine Entfernung gebrochen wurde. Henry hatte sich voll
Theilnahme an Gabriele gewendet und sie gefragt, ob sie
ein ernstes Unwohlsein für ihren Gemahl befürchte, dessen
verstörtes Aussehen auch ihm aufgefallen. Sie hatte ihm
ausweichend geantwortet. Nein, sie hoffe, es sei nur
vorübergehend, er leide öfters an heftigem Kopfschmerz,
und sei dann freilich kein angenehmer Gesellschafter. Sie
müsse sich an ihn, Henry, als ihren nächsten Verwandten
wenden, und ihn bitten, so viel dies möglich, die Stelle
des Hausherrn zu vertreten, solle, was sie nicht fürchte,
seine Unpäßlichkeit morgen nicht vorüber sein. Ihr Vetter
hatte ihr warm die Hand gedrückt und mit wenig herzlichen
Worten sie gebeten, über ihre Gäste sich nicht zu beun-
ruhigen, er wolle schon Sorge tragen, daß ihr Aufenthalt
in keiner Weise etwas von der Annehmlichkeit verliere, die
er bis jetzt in aller Augen getragen.
Ihm schnitt das tiefe Weh, das unausgesprochen in
dem Innern der schönen Frau lag, tief in die Seele.
Was in seinen Kräften lag, ihr beizustehen, wollte er,
dies versprach er sich selbst, nicht unterlassen. Er suchte
Dolly auf, welche mit gelangweiltem Gesichte einem semmel-
blonden Gardeofficier zuhörte, und bat sie um einige
Minuten Gehör. Wie willig verabschiedete sie den Hellen
Jüngling und schritt mit Henry in ein Nebenzimmer. Er
sagte ihr lächelnd für ihre Bereitwilligkeit Dank und be-
obachtete mit stiller Genugthuung die sanften Rosen, die
seine Worte auf ihren Wangen hervorzauberten. Er theilte
ihr kurz mit, um was Lady Trevor ihn gebeten und er-
suchte das junge Mädchen ihm zu helfen, die Besucher den
unangenehmen Eindruck vergessen zu lassen, den das Be-
tragen des Wirthes hervorgerufen. Ihren vereinten An-
strengungen gelang es auch bald, die Erinnerung daran
zu verwischen und es war schon spät, als man sich end-
lich trennte.
Lister hielt beim Gute Nachtgruß etwas länger, als
gerade nöthig die Hand Dolly's in der seinen, ohne daß
sie darüber erzürnt sich zeigte. Als sie nach dem silbernen
Leuchter griff, den er ihr hinreichte, fiel eine Rose aus
ihrem Haare. Rasch bückte er sich und hob sie auf und
sie verlangte nicht die Rückgabe derselben. War sie er-
staunt, war sie aufgebracht, als er sie an seine Lippen
drückte? Ich glaube nicht, wie hätte sonst ein so schelmisches
Lächeln ihre Züge erhellen können, als sie sich abwandte
und die teppichbelegten Stufen hinanschritt?
Und Henry? In seinem Zimmer angekommen, und
seiner unbequemen, steifen Gesellschaftstoilette entledigt, die
Füße in Pantoffeln gesteckt, zog er den Lehnstuhl zum noch
hellflackernden Feuer und warf sich hinein. Angenehme
Gedanken waren es, die ihn heute beschäftigten. Seine
Befürchtungen waren nicht eingetroffen. Dolly war gegen
alle Gäste zugleich zuvorkommend und gleich liebenswürdig,
eines besonderen Vorzuges hatte sich keiner von ihnen zu
erfreuen gehabt. Welcher von den feinen Herren würde
auch überhaupt daran denken, die vermögenslose Waise
die einfache, bezahlte Gesellschafterin als auserwähltes Weib
seiner adelsstolzen Familie zuzuführen? Erließ im Geiste
alle die heirathsfähigen männlichen Besucher an sich vor-
über ziehen, und nur einen einzigen unter denselben hätte
er fähig halten können, eine solche Unklugheit zu be-
gehen. Aber die Gefahr war glücklich abgewendet worden,
wenn sie überhaupt bestanden hatte. Es unterlag keinem
Zweifel mehr, daß Sir Charles in den Banden der blonden,
majestätischen Miß Chester lag, und daß sie, des goldenen
Fanges gewiß, nicht entschlossen war, ihn aus ihren Fesseln
sich befreien zu lassen. Er hatte ja, wie Jedermann sehen
konnte, nur Augen und Ohren für sie, und Henry war
sicher, daß keiner von den andern zu fürchten war. Daß
er ihr nicht ganz gleichgültig war, hatte er endlich, trotz
seiner großen Bescheidenheit sich eingestanden. Er war ent-
schlossen, das Ende der bevorstehenden Festlichkeiten abzu-
warten, und dann ihr offen Herz und Hand anzutragen.
Er konnte ihr Leben so freundlich gestalten, wozu sollte sein
Geld, seine Stellung ihm nützen, wenn nicht dazu, das
geliebte Wesen glücklich und unabhängig zu machen? Denn
trotz der Freundschaft, der fast schwesterlichen Gefühle, die
Lady Trevor ihr entgegenbrachte, war sie, in den Augen
anderer, doch stets nur die Gesellschafterin, die ihre Dienste
für eine größere oder kleinere Summe jährlich verkaufte.
Als seine Frau, — welch' süßes Wort, — wie frei würde
sie schalten und walten können, seine kleine Herrin! Ihr
künftiges Heim würde eine jeder schattig-umlaubten Villen
an den Ufern der Themse sein, deren Garten sich hinab
bis zum Flusse erstreckt. Natürlich würde er ein eigenes
Boot haben, und nach seiner Rückkehr aus der dumpfen
City, wie wollten sie zusammen die langen Sommerabende
auf dem kühlen Fluffe genießen! Praktisch, wie er durch
seinen Beruf und seine Erfahrung geworden, rechnete er
auch jetzt aus, wie lange es ihm nehmen würde, das Heim,
das sie aufnehmen sollte, recht wohnlich einzurichten.
Warum sollte nicht gleich nach Weihnachten, oder höchstens