Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hoernes, Moritz
Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa: von den Anfängen bis um 500 vor Christi — Wien: Druck und Verlag von Adolf Holzhausen, 1898

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.62929#0655

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die figurale Zeichnung.

627

auf den anderen übertragen wurde, sondern dass es aus einer gemeinsamen
Quelle geflossen ist.
Das Gürtelblech von der Paradiesfestung bei Kalakent, 1. c., Nr. II, zeigt
in einem Schuppenbande aus concentrischen Kreisausschnitten, einem echt
mykenischen Muster,1) ein buntes Gewimmel von Thieren, die aber kaum
untereinander in Beziehung gesetzt sind und zum Theil auf dem Kopfe stehen.
Sie sind vollkommen ordnungslos über den Raum ausgestreut. Jedes Einzelne
bildet zugleich eine Einzelfigur und die Raumausfüllung für seine Nachbarn,
weshalb hier Verhältnissmässig wenig Füllschmuck nöthig war. Es sind Hirsche,
Steinböcke, Stiere, langohrige hörnerlose Thiere (nach Virchow Hunde), Greife,
Vögel, Schlangen. Die Greifenschwänze sind am Ende pfeilspitzenförmig oder
sonst unnatürlich gebildet. Die meisten Körper haben doppelte, mit Strichlein
ausgefüllte Contouren; ähnliche Bänder gehen hin und wieder
auch quer über ganze Körper als mehr oder weniger motivirte
Innenzeichnung (man erkennt das Zugrundeliegen einer besseren
Zeichenkunst). Namentlich bei den Greifen schneidet oft solch;
ein Band den Hinterkopf vom Gesichte ab, welches dann von
einer einfachen Linie umrissen ist. Die Körperflächen sind ge-
füllt mit Strichlein und Punktreihen, hauptsächlich aber mit
dem mykenischen schraffirten Schuppenmuster. Einmal finden
wir auch wirkliche Schuppenzeichnung auf dem Hintertheil eines
Thieres. Ziemlich Ahes ist an diesem Stücke anders als auf dem
Gürtelblech Nr. I; auch die Füllfiguren: ein Ochsenkopf mit
einem zum Ueberfluss noch senkrecht gestellten Auge mitten
auf der Stirn, eine beilförmige Figur, eine einfache und eine
Doppelvolute, Bruchstücke von Spiralbändern, concentrische
Halbkreise.
In diesem Durcheinander erscheint der Mensch (Fig. 185)
wie erdrückt von der bunten Thiermenge, wie ein Eindring-
ling aus einer fremden Sphäre. Die Schnabelschuhe, der lange,
bereifte Hals, der kleine „retortenartige“ Kopf, die Stellung — Beine im Profil,
Brust en face — die Haltung der rechtwinkelig erhobenen Arme, auch die
Form des Schildes, das er in der Linken über dem Kopfe hält: Alles lässt in
dieser Figur keine Erfindung eines kaukasischen Zeichners, sondern die Nach-
ahmung eines mykenischen Vorbildes erkennen. Wenn diese Figur zu ihrer
Umgebung in irgend welcher Beziehung steht, dann haben wir zunächst den
Vogel, welcher sich an einen ihrer Oberschenkel zu klammern scheint, in
Betracht zu ziehen. Und in der That erinnert diese Combination, ob sie nun
Sinn hat oder nicht, in dem ganzen Kreise alter Denkmäler an nichts so sehr
als an ein räthselhaftes Detail der Situla von Kuffarn (vgl. oben S. 482, Fig. 154);
hier finden wir also wieder eine frappante Uebereinstimmung mit der Zeichen-
kunst der Veneter.


Fig. 185.
Figur von einem
Gürtelbleche
aus Kalakent,
Transkaukasien
(Virchow, Nr. II).

b Vgl. z. B. die mykenische Vase aus dem VI. Schachtgrabe, Schuchhardt1, S. 305,
Fig. 277.

40*
 
Annotationen