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Hoernes, Moritz
Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa: von den Anfängen bis um 500 vor Christi — Wien: Druck und Verlag von Adolf Holzhausen, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.62929#0699

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Die figurale Zeichnung.

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Deschmann besprach die Situla von Watsch zuerst als ein Kunstwerk
„etruskischer Metalltechnik“. Aber Brizio bemerkte mit Recht/) dass die
Etrusker zur Zeit der Certosagräber bereits ganz andere Techniken und einen
anderen Stil besassen. Daher betrachtet er als Schöpfer der Situlakunst die
Umbrer und meint, locale Schulen hätten in Bologna und Este bestanden. Bo-
logna wird man nicht für ein Centrum solcher Arbeit halten dürfen. Damit
fällt auch Brizio’s Annahme, wonach importirte griechische Vasen und Relief-
stelen, wie sie aus den Certosagräbern zahlreich bekannt sind, die Vermittler
fremder höherer Einflüsse gebildet hätten.
Brunn hat in einer Abhandlung „Ueber die Ausgrabungen der Certosa
bei Bologna“* 2) die drei Gruppen figuraler Denkmäler aus diesem Fundorte —;
griechische Vasen, etruskische Reliefstelen, „umbrische“ Metallarbeiten — ge-
trennt behandelt und die eigenthümliche Sonderstellung der letzteren hervor-
gehoben. Die griechischen Vasen sind ohne Einfluss auf die einheimische
Kunstübung geblieben; nichts spricht für einen unmittelbaren Zusammenhang
gleichzeitiger griechischer Arbeiten mit den venetischen Situlen. Ebenso un-
abhängig sind die letzteren von den Reliefstelen der Certosagräber, woran sich
die jüngere etruskische Kunst in einem handwerksmässig vergröberten Local-
dialekt ausspricht. Die Situlen zeigen dagegen eine merkwürdige „Uebereinstim-
mung mit ältester griechischer Kunst in der gesammten tektonischen und
poetisch-künstlerischen Auffassung“. Indessen können wir Brunn nicht bei-
stimmen, wenn er meint, dass in der Auffassung der menschlichen und thieri-
schen Gestalten und in dem gesammten Formenvortrag nicht sowohl der Charakter
einer eigenthümlichen Kunstschule, als in allgemeiner Weise eine Stammes- und
Volksindividualität sich geltend mache. Nach ihm ist die „umbrische Kunst“
als Nebenschössling aus einer uralten Stammesgemeinschaft der arischen Völker
hervorgesprossen. Während aber im Centrum der antiken Cultur die Kunst,
durch das Griechenthum veredelt, den Höhepunkt ihrer Entwicklung bereits
überschritten habe, sei der Kunst an der Peripherie der griechisch-italischen
Welt noch ein kurzes Sonderdasein vergönnt gewesen. Sie habe aber dort,
am Rande des classischen Culturkreises, nicht mehr die Kraft gehabt, die Ent-
wicklung vom archaischen zum hohen Stil von sich aus und für sich noch
einmal durchzumachen. Vielmehr sei sie durch eine partielle Befruchtung und
den Versuch der Uebertragung in eine spätere Kunstweise der eigenen Auf-
lösung entgegeng.eführt worden.3)

x) Nuova Situla figurata di bronzo scop. a Bologna, Modena 1884.
2) Abhandl. der phil. CI. der königl. bair. Akademie der Wissensch. XVIII, S. 145—-203.
3) Partielle Befruchtung sieht Brunn in manchen Einzelheiten, welche spätere griechi-
sche Einflüsse verrathen. Uebertragung in eine spätere Kunstweise erkennt er in dem beim
Lateran gefundenen Marmorsessel im Palazzo Corsini. (Mon. dell’ Inst. XI, 9.) Schon Benndorf
hatte, Mitth. Anthr. Gesellsch. Wien XIV, S. [44], auf die Aehnlichkeit dieses Stuhles mit den
geflochtenen Lehnsesseln auf der Situla von Watsch hingewiesen und auf die Analogien der
Marmorreliefs des Stuhles mit Situladarstellungen aufmerksam gemacht. Brunn sieht in der
Sedia Corsini ein Zeugniss für die ferneren Schicksale der Situlenkunst. Ihm erscheinen die zu
Fuss und zu Ross aufmarschirenden Krieger, die Jagd, der Opferzug, die Kampfspiele jenes
Steinsessels in ihrem flachen Relief und ihrer Streifenabtheilung wie eine in Stein übertragene
 
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