che Namenszeichen MGN für Grünewald gesicherte Maria-Schnee-Altar aus der
Aschaffenburger Stiftskirche St. Peter und Alexander.
Von diesem Altarwerk haben sich in Aschaffenburg der Retabelrahmen
[Abb. I] und die in der Literatur häufig fälschlich als Standflügel bezeichneten
anonymen Tafeln mit Darstellungen des heiligen Martin und des heiligen Georg
[Abb. VI; VII] erhalten. Das Freiburger Augustinermuseum verwahrt den ehemals
rechten Klappflügel, auf dessen Außenseite sich eine Dreikönigsdarstellung von
der Hand desselben anonymen Malers [Abb. V] und auf der Innenseite Grüne-
walds Gemälde des von Maria ausgelösten Gründungswunders der römischen Kir-
che Santa Maria Maggiore, das sogenannte Schneewunder [Abb. IV], befinden.
Der linke Flügel ist verschollen, wahrscheinlich sogar zerstört. Als Mittelbild des
Altares gilt Grünewalds Stuppacher Madonna [Abb. II], doch ist diese durch H.A.
Schmid erfolgte Zuschreibung bis heute in der Forschung umstritten, mit der Kon-
sequenz, daß verschiedene Rekonstruktionsvorschläge für das Retabel und unter-
schiedliche Meinungen über den Anteil Grünewalds an dessen Konzeption und
Ausführung vorliegen.
Dabei hat sich die wissenschaftliche Diskussion im Laufe der Zeit - und dies
gilt nicht nur für das Aschaffenburger Altarwerk, sondern gleichermaßen für
große Teile der Literatur über Grünewald, besonders im Hinblick auf dessen
Hauptwerk, den Isenheimer Altar - immer weiter von ihrem Gegenstand entfernt
und so weit verselbständigt, daß selbst so grundlegende materiale Bedingtheiten
des Maria-Schnee-Altares wie die ursprünglichen Maße der Bilder sowie nach-
trägliche, auf einen Funktionswandel des Retabels oder auf Restaurierungen
zurückgehende Veränderungen und Eingriffe in die originale Substanz nur wenig
beachtet wurden und für die wissenschaftliche Argumentation kaum mehr eine
Rolle spielten. Um so nachhaltiger wurde - wie Christian Heck für die gesamte
Grünewaldforschung zu Recht beklagt4 - über zum Teil völlig haltlose Werkinter-
pretationen der aus zuerst verengt deutsch-nationalistischer Perspektive entstan-
dene „Mythos Grünewald" weiter gepflegt, der den Maler je nach ideologischer
Ausrichtung des Autors entweder als letzten Mystiker des Mittelalters, als aktiven
Vorkämpfer der sogenannten frühbürgerlichen Revolution im Bauernkrieg oder
als durch Überzeugung geläuterten Anhänger Luthers beschwor. Charakteristisch
für die Vorgehensweise zahlreicher Autoren, unter der die seriöse wissenschaftli-
che Erforschung der Biographie und des Werkes trotz bemerkenswerter Fort-
schritte bis heute leidet, ist dabei, daß aus den spärlichen bekannten biographi-
schen Daten oft nur diejenigen ausgewählt und interpretiert worden sind, die der
jeweiligen Vorstellung von Grünewald als einem pathetischen Künstler' am mei-
sten entsprachen. Häufig wurden bloße Vermutungen als gesicherte Erkenntnisse
ausgeben und letztlich das Werk jeweils nur unter diesen individuell gesetzten
Prämissen selektiv interpretiert.5 Für Howard Creel Collinson stellte sich 1986 die
Forschungsgeschichte zu Grünewalds Aschaffenburger Altar schließlich derart
4 Vgl. Heck 1992, S. 224.
5 Vgl. Heck 1992, S. 224, der von Grünewald als einem „artiste pathetique" spricht, ein
Begriff, der sich nicht adäquat übersetzen läßt.
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Aschaffenburger Stiftskirche St. Peter und Alexander.
Von diesem Altarwerk haben sich in Aschaffenburg der Retabelrahmen
[Abb. I] und die in der Literatur häufig fälschlich als Standflügel bezeichneten
anonymen Tafeln mit Darstellungen des heiligen Martin und des heiligen Georg
[Abb. VI; VII] erhalten. Das Freiburger Augustinermuseum verwahrt den ehemals
rechten Klappflügel, auf dessen Außenseite sich eine Dreikönigsdarstellung von
der Hand desselben anonymen Malers [Abb. V] und auf der Innenseite Grüne-
walds Gemälde des von Maria ausgelösten Gründungswunders der römischen Kir-
che Santa Maria Maggiore, das sogenannte Schneewunder [Abb. IV], befinden.
Der linke Flügel ist verschollen, wahrscheinlich sogar zerstört. Als Mittelbild des
Altares gilt Grünewalds Stuppacher Madonna [Abb. II], doch ist diese durch H.A.
Schmid erfolgte Zuschreibung bis heute in der Forschung umstritten, mit der Kon-
sequenz, daß verschiedene Rekonstruktionsvorschläge für das Retabel und unter-
schiedliche Meinungen über den Anteil Grünewalds an dessen Konzeption und
Ausführung vorliegen.
Dabei hat sich die wissenschaftliche Diskussion im Laufe der Zeit - und dies
gilt nicht nur für das Aschaffenburger Altarwerk, sondern gleichermaßen für
große Teile der Literatur über Grünewald, besonders im Hinblick auf dessen
Hauptwerk, den Isenheimer Altar - immer weiter von ihrem Gegenstand entfernt
und so weit verselbständigt, daß selbst so grundlegende materiale Bedingtheiten
des Maria-Schnee-Altares wie die ursprünglichen Maße der Bilder sowie nach-
trägliche, auf einen Funktionswandel des Retabels oder auf Restaurierungen
zurückgehende Veränderungen und Eingriffe in die originale Substanz nur wenig
beachtet wurden und für die wissenschaftliche Argumentation kaum mehr eine
Rolle spielten. Um so nachhaltiger wurde - wie Christian Heck für die gesamte
Grünewaldforschung zu Recht beklagt4 - über zum Teil völlig haltlose Werkinter-
pretationen der aus zuerst verengt deutsch-nationalistischer Perspektive entstan-
dene „Mythos Grünewald" weiter gepflegt, der den Maler je nach ideologischer
Ausrichtung des Autors entweder als letzten Mystiker des Mittelalters, als aktiven
Vorkämpfer der sogenannten frühbürgerlichen Revolution im Bauernkrieg oder
als durch Überzeugung geläuterten Anhänger Luthers beschwor. Charakteristisch
für die Vorgehensweise zahlreicher Autoren, unter der die seriöse wissenschaftli-
che Erforschung der Biographie und des Werkes trotz bemerkenswerter Fort-
schritte bis heute leidet, ist dabei, daß aus den spärlichen bekannten biographi-
schen Daten oft nur diejenigen ausgewählt und interpretiert worden sind, die der
jeweiligen Vorstellung von Grünewald als einem pathetischen Künstler' am mei-
sten entsprachen. Häufig wurden bloße Vermutungen als gesicherte Erkenntnisse
ausgeben und letztlich das Werk jeweils nur unter diesen individuell gesetzten
Prämissen selektiv interpretiert.5 Für Howard Creel Collinson stellte sich 1986 die
Forschungsgeschichte zu Grünewalds Aschaffenburger Altar schließlich derart
4 Vgl. Heck 1992, S. 224.
5 Vgl. Heck 1992, S. 224, der von Grünewald als einem „artiste pathetique" spricht, ein
Begriff, der sich nicht adäquat übersetzen läßt.
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