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verworren dar, daß er resignierend feststellen mußte: ,Leider scheinen der Verlust
des einen Altarflügels sowie das verwirrende, ungeklärte Verhältnis der Flügel-
außenseiten und der Standflügel zu Grünewalds originalem Plan ein besseres Ver-
ständnis des Altarganzen auch zukünftig zu verhindern'.6 Die Kunstwissenschaft
kapitulierte vor ihrem eigenen Durcheinander.

Erstes Ziel der vorliegenden Arbeit mußte es deshalb sein, die Bemühungen
um die Rekonstruktion des Maria-Schnee-Altares von ihrem spekulativen Über-
bau zu befreien, das heißt, die Fakten von all dem zu trennen, „was man darüber
phantasiert, gewähnt und gedacht" hat,7 vor allem da, wo Dichtung nach entspre-
chend häufiger Wiederholung als Wahrheit galt. Dazu war es zunächst notwendig,
die verschiedenen Argumentationsebenen klar voneinander zu trennen, um sie
dann - je nach dem Grad ihrer Objektivierbarkeit - verschiedenen, in sich abge-
schlossenen und nach möglichst einheitlichen Methoden zu bearbeitenden Unter-
suchungsfeldern zuzuordnen.

Durch eine systematische Analyse der Quellen soll zuerst der historische Ver-
lauf der Maria-Schnee-Stiftung, ergänzt um einen Exkurs zur Bau- und Ausstat-
tungsgeschichte der Maria-Schnee-Kapelle, chronologisch dargestellt werden.

Danach können die erhaltenen und in ihrer Zugehörigkeit zum Maria-Schnee-
Altar unbestrittenen Teile zu einem kritischen Katalog zusammengestellt und ihr
heutiges Erscheinungsbild sowie ihr materialer Bestand erfaßt werden. Unser Au-
genmerk gilt dabei besonders der Bestimmung der zahlreichen durch Umbauten,
Restaurierungs- oder Konservierungsmaßnahmen verursachten Veränderungen
am Objekt, mit dem Ziel, eine möglichst authentische Vorstellung von den Origi-
nalen zurückzugewinnen. In diesen Katalog werden auch das später in den Reta-
belrahmen eingefügte Dreikönigsbild Isaac Kienings [Abb. IX; 1], der im 17. Jahr-
hundert entstandene linke Ersatzflügel mit der Darstellung einer „Madonna in
der Landschaft mit Heiligen" [Abb. VIII] und die heute als Mittelbild in den Rah-
men eingefügte Kopie der Stuppacher Madonna von Christian Schad [Abb. X]
aufgenommen.

Mit der nach den materialen Befunden durchgeführten technischen Rekon-
struktion des Retabels in seinen unterschiedlichen Zuständen sowie den erweiter-
ten Kenntnissen über den historischen Verlauf der Stiftung ist erstmals ein klar
vorstrukturierter Rahmen weitgehend objektivierbarer Fakten gewonnen, in den
eine Einordnung der erhaltenen Altarteile eindeutiger vorgenommen werden
kann, als dies zuvor der Fall gewesen ist. Da über die Zugehörigkeit von Grüne-
walds Stuppacher Madonna zum Aschaffenburger Maria-Schnee-Altar in der For-
schung bisher jedoch keine Übereinstimmung erzielt werden konnte, mußte dieses
Bild aus dem Katalog der gesicherten Bestandteile herausgenommen und geson-

6 „Unfortunately, the loss of one wing of the altarpiece and the confusion about the rela-
tionship of the outside of the wings and the Standing wings to Grünewald's original plan
seems to prohibit any further progress in understanding the altarpiece as a whole"; vgl.
Collinson 1986, S. 17.

7 Das der Arbeit vorangestellte Motto stammt aus der Einleitung zu Goethes Farben-
lehre; vgl. Goethe 1981, S. 320.

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