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telalterlichen Legendenkompilationen wie die Legenda aurea des Jacobus de Vo-
ragine oder das Rationale Divinorum Officiorum des Wilhelm Durandus ist das
Schneewunder jedoch nicht aufgenommen worden, und es fehlt häufig auch in rei-
nen Kompilationen von Marienlegenden wie den berühmten Miracles de Nostre
Dame des Gautier de Coincy.39

Einen Sonderfall innerhalb der literarischen Überlieferung stellen zweifellos die
Cantigas de Santa Maria König Alfons' X. von Kastilien und Leon, genannt der
Weise, dar, eine umfangreiche Sammlung größtenteils von ihm selbst in „Alt-Gali-
zisch-Portugiesisch" verfaßter Marienhymnen.40 Die zwischen 1281 und 1284 ent-
standene zweite Fassung der Cantigas enthält als Nr. 309 die Maria-Schnee-
Legende, allerdings mit einer bemerkenswerten Textvariation gegenüber der her-
kömmlichen Überlieferung: anstelle des römischen Patriziers tritt neben dem Papst
der Kaiser als Stifter der Kirche auf;41 die relativ häufige bildliche Umsetzung die-
ser besonderen Textfassung wird weiter unten ausführlich behandelt werden. Aber
noch zwei weitere, die eigentliche Gründungslegende durch zusätzliche Marien-
wunder ausschmückende Textvarianten sind bekannt, in denen zum einen die Ma-
donna selbst die Fundamente der Kirche entlang des vom Papst in den Schnee ge-
zeichneten Grundrisses erschließt,42 zum anderen schenkt sie dem Patrizierehepaar
als Belohnung für die noble Stiftung ihrer Kirche doch noch späten Nachwuchs 43

vgl. Gripkey 1952/53-1, S. 10-11,25 und 28; und Gripkey 1952/53-11, S. 14-15. Gripkey
führt noch vier weitere Überlieferungen aus dem 15. Jh. auf, darunter eine zweite, aller-
dings unvollständige Kopie nach Duccio di Gano.

39 Die Maria-Schnee-Legende ist weder in den Aufsätzen zu den mittelalterlichen Marien-
legenden von Mussaffia noch unter den von Boke nach einer südwestdeutschen, aus
Kloster Inzigkofen stammenden Handschrift edierten Marienlegenden des 15. Jhs. be-
legt; vgl. Mussaffia 1886-98; und Bolte 1889. Sie fehlt ebenso bei Bühler 1965 wie in
der von Levi 1918 vorgelegten Untersuchung über Marienwunder in der italienischen
Kunst des Mittelalters.

40 Vgl. Klein 1981, S. 176.

41 Die Überschrift über dem Gesang lautet: „Esta e como Santa Maria veo en vison en
Roma ao Papa e ao Emperador e disselles en qual logar fezessen a eigreja"; vgl. Mett-
mann 1964, S. 143-145.

42 Diese Textvariation liegt z. B. der Miniatur im Brevier Kardinal Pietro Corsinis aus dem
späten 14. Jh. [Abb. 64] oder der Predellenszene auf dem von Taddeo di Bartolo 1411
für den Dom von Volterra gemaltem Marienaltar zugrunde. [Abb. 79] Taddeo zeigt die
das Wunder bewirkende Madonna in einer halbkreisförmigen Gloriole. An der Stelle,
an der der Schnee zur Erde fällt, erhebt sich bereits eine Kirche, noch während zwei Ar-
beiter auf Anweisung des Papstes und des Patriziers mit dem Ausheben des Fundamen-
tes beschäftigt sind; vgl. Symeonides 1965, S. 135-136; und Carli 1980, S. 65-67.

43 Vgl. Pelaez 1953, S. 399, Anm. 21. Soweit wir sehen, ist diese Textvariante nur in einer
Hymne „ De Beate Maria ad Nives " überliefert, in der es heißt: „ Pro Basilica futura / Ni-
vis sub forma, tu pura, / Locum, virgo, deputas; / Romanos, mater o Christi, / Stupidos
plane fecisti, I Hoc facto cum promicas. / O quam fertilis Iiis actus, / Per quam sterilis est
nactus / Prolem venter feminae, / Civis Romani uxoris, / Patricii pulchrioris / Novo dato
semine! / Ostenso sibi in loco / Vir praeclarus sub devoto / Corde cinctis inclitam / Piae
Matris in honorem / Fundavit solemniorem Johannes basilicam"; zit. n. C. Blume 1901,
S. 68. Nach Pelaez liegt diese Textvariation den beiden Gemälden Murillos zugrunde,
die dieser 1662-1665 für Santa Maria la Bianca in Sevilla gemalt hat; vgl. Pelaez 1953,
S. 402; und Murillo 1982, Nr. 36 und 37.

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