aus der Collegiata di San Lorenzo in Montevarchi66 und einer weiteren, dem
„Pseudo Niccolo da Bologna" zugeschriebenen Miniatur in dem ca. 1346-1348
entstandenen Missale des Kardinals Bertrand de Deux.67 Beide Miniaturen sind
jeweils in ein allgemeines Marienoffizium eingefügt, das keinen besonderen litur-
gischen Text zum Schneefest kennt. Dies hat dazu geführt, daß die Miniatoren den
Legendenstoff weitgehend frei und nach eigenen Vorstellungen gestalten konnten.
Es fällt jedoch auf, daß bei beiden Beispielen ein direkter Verweis auf Maria als
Bewirkerin des Wunders und damit auf das transzendente Element der Legende
vermieden wurde. So rieselt der Schnee auf der Miniatur in Montevarchi lediglich
aus einer um eine blaue, mit fünf goldenen Sternen besetzte Himmelskugel sich
bildenden Wolke, während Papst Liberius und der Patrizier Johannes mit ihrem
jeweiligen Gefolge einen Arbeiter anweisen, mit einem ersten Spatenstich den
Bau der Kirche zu beginnen. [Abb. 55] Der als „Pseudo Niccolo da Bologna" be-
zeichnete Miniaturist bildet Maria als im oberen S-Bogen in einer Wolke erschei-
nende Halbfigur zwar ab, verzichtet jedoch auf den wunderbaren Schneefall. Ent-
sprechend der „für seine Kunst so charakteristischen Vorliebe für Genredetails"68
schildert er dafür im unteren Bogen um so ausführlicher die unter der Aufsicht
des Patriziers Johannes ausgeführten Arbeiten beim Bau der Kirche, vom Aushe-
ben der Fundamente über den Transport der Baumaterialien bis hin zum Hochzie-
hen der ersten Mauern. [Abb. 56]
Diesen von van Os genannten Beispielen können zwei von der Forschung bis-
her nicht beachtete ältere Miniaturen vorangestellt werden, die das Spektrum der
frühen Maria-Schnee-Darstellungen deutlich erweitern. Die älteste, bereits um
1290 von einem sienesischen Maler ausgeführte Illustration des Themas überhaupt
findet sich in einem Lektionar der Biblioteca Comunale in Siena.69 Die das Kind
auf dem linken Arm haltende, aber ikonographisch hier nicht weiter spezifizierte
Madonna ist vor neutralem, in hellem Rotviolett gehaltenem Grund in eine C-In-
itiale eingebunden, die sich auf den ersten Blick nur durch die Überschrift der Le-
sung zum 5. August „Incipit legenda beate marie ad nives" als Maria-Schnee-Dar-
stellung zu erkennen gibt. [Abb. 57] Erst dieses Vorwissen erlaubt es dem Betrach-
ter, die feinen, dicht auf den Hintergrund gesetzten weißen Punkte nicht mehr or-
namental, sondern attributiv als Schneeflocken zu interpretieren.70 Dieses in sei-
66 Montevarchi, Museo della Collegiata di San Lorenzo, Antifonario Cor. B„ fol. 159. Das
Antiphonarium stammt aus dem Besitz der dortigen Fraternitä del Latte; vgl. Bosko-
vits 1984, S. 236. Die Miniatur entstand im weiteren Umkreis des „Cäcilia-Meisters",
ihr Schöpfer ist inzwischen als sog. „Maestro daddesco" in die Literatur eingeführt; vgl.
Boskovits 1984, S. 44-^18; und van Os 1968, S. 31-32.
67 Biblioteca Vaticana, Archivio Capitolare di San Pietro, ms. B 63, fol. 307'. Auch hierbei
handelt es sich um eine S-Initiale; vgl. Cassee 1980; und van Os 1968, S. 31-32.
68 Vgl. van Os 1968, S. 32.
69 Siena, Biblioteca Comunale degli Intronati, Cod. G. I. 2, fol. 67'. Zur Beschreibung und
Datierung des Kodex vgl. Chelazzi Dini 1982, S. 157-160.
70 Die genaue Provenienz des Lektionars ist nicht bekannt. Da jedoch alle anderen vor
1350 entstandenen Illustrationen zur Schneewundergeschichte nachweislich einem fran-
ziskanisch geprägten Ambiente angehören, sollte auch hier eine Herkunft aus dem en-
geren Umkreis dieses Ordens erwogen werden.
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„Pseudo Niccolo da Bologna" zugeschriebenen Miniatur in dem ca. 1346-1348
entstandenen Missale des Kardinals Bertrand de Deux.67 Beide Miniaturen sind
jeweils in ein allgemeines Marienoffizium eingefügt, das keinen besonderen litur-
gischen Text zum Schneefest kennt. Dies hat dazu geführt, daß die Miniatoren den
Legendenstoff weitgehend frei und nach eigenen Vorstellungen gestalten konnten.
Es fällt jedoch auf, daß bei beiden Beispielen ein direkter Verweis auf Maria als
Bewirkerin des Wunders und damit auf das transzendente Element der Legende
vermieden wurde. So rieselt der Schnee auf der Miniatur in Montevarchi lediglich
aus einer um eine blaue, mit fünf goldenen Sternen besetzte Himmelskugel sich
bildenden Wolke, während Papst Liberius und der Patrizier Johannes mit ihrem
jeweiligen Gefolge einen Arbeiter anweisen, mit einem ersten Spatenstich den
Bau der Kirche zu beginnen. [Abb. 55] Der als „Pseudo Niccolo da Bologna" be-
zeichnete Miniaturist bildet Maria als im oberen S-Bogen in einer Wolke erschei-
nende Halbfigur zwar ab, verzichtet jedoch auf den wunderbaren Schneefall. Ent-
sprechend der „für seine Kunst so charakteristischen Vorliebe für Genredetails"68
schildert er dafür im unteren Bogen um so ausführlicher die unter der Aufsicht
des Patriziers Johannes ausgeführten Arbeiten beim Bau der Kirche, vom Aushe-
ben der Fundamente über den Transport der Baumaterialien bis hin zum Hochzie-
hen der ersten Mauern. [Abb. 56]
Diesen von van Os genannten Beispielen können zwei von der Forschung bis-
her nicht beachtete ältere Miniaturen vorangestellt werden, die das Spektrum der
frühen Maria-Schnee-Darstellungen deutlich erweitern. Die älteste, bereits um
1290 von einem sienesischen Maler ausgeführte Illustration des Themas überhaupt
findet sich in einem Lektionar der Biblioteca Comunale in Siena.69 Die das Kind
auf dem linken Arm haltende, aber ikonographisch hier nicht weiter spezifizierte
Madonna ist vor neutralem, in hellem Rotviolett gehaltenem Grund in eine C-In-
itiale eingebunden, die sich auf den ersten Blick nur durch die Überschrift der Le-
sung zum 5. August „Incipit legenda beate marie ad nives" als Maria-Schnee-Dar-
stellung zu erkennen gibt. [Abb. 57] Erst dieses Vorwissen erlaubt es dem Betrach-
ter, die feinen, dicht auf den Hintergrund gesetzten weißen Punkte nicht mehr or-
namental, sondern attributiv als Schneeflocken zu interpretieren.70 Dieses in sei-
66 Montevarchi, Museo della Collegiata di San Lorenzo, Antifonario Cor. B„ fol. 159. Das
Antiphonarium stammt aus dem Besitz der dortigen Fraternitä del Latte; vgl. Bosko-
vits 1984, S. 236. Die Miniatur entstand im weiteren Umkreis des „Cäcilia-Meisters",
ihr Schöpfer ist inzwischen als sog. „Maestro daddesco" in die Literatur eingeführt; vgl.
Boskovits 1984, S. 44-^18; und van Os 1968, S. 31-32.
67 Biblioteca Vaticana, Archivio Capitolare di San Pietro, ms. B 63, fol. 307'. Auch hierbei
handelt es sich um eine S-Initiale; vgl. Cassee 1980; und van Os 1968, S. 31-32.
68 Vgl. van Os 1968, S. 32.
69 Siena, Biblioteca Comunale degli Intronati, Cod. G. I. 2, fol. 67'. Zur Beschreibung und
Datierung des Kodex vgl. Chelazzi Dini 1982, S. 157-160.
70 Die genaue Provenienz des Lektionars ist nicht bekannt. Da jedoch alle anderen vor
1350 entstandenen Illustrationen zur Schneewundergeschichte nachweislich einem fran-
ziskanisch geprägten Ambiente angehören, sollte auch hier eine Herkunft aus dem en-
geren Umkreis dieses Ordens erwogen werden.
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