auch ein inhaltliches Äquivalent zur Madonna des Vordergrundes dar, deren un-
terschiedliche Erscheinungsformen als sponsa beziehungsweise als ecclesia im Bild
nahtlos - durch Parallelverschiebung entlang der oben beschriebenen Diagonale -
ineinander überführt werden können.
Durch die Transformation Marias von der Braut Christi zur ecclesia erfolgt eine
für das Verständnis des Bildes folgenreiche inhaltliche Akzentverschiebung: Ihre
zuvor beschriebene Rolle der allumfassenden Heilsvermittlerin wird in den darun-
terliegenden Sinnschichten auf den Menschen hin ausgerichtet. Denn während
dieser die Grenze zwischen seiner Welt (HG) und dem Aktionsraum der Ma-
donna (VMG) nicht überschreiten darf - wo diese im Bild aufeinandertreffen,
steht als für ihn unüberwindliche Barriere das Zeichen der porta clausa kann
der Gläubige den Bereich der ecclesia (HMG) sehr wohl durch eigenes Bemühen
erreichen, wenn auch nur unter großen Beschwerden, die Grünewald im Bild
durch den steilen Aufstieg auf den Berg sichtbar gemacht hat. Mit den im Bild der
Kirche vereinten Menschen schließt der in den Wolken erscheinende Christus den
Neuen Bund, als dessen hell leuchtendes Zeichen er mit einer Bewegung seines
Zepters den inneren Regenbogen an den Himmel setzt,40 hinter dem der im Bild
nur noch schemenhaft wahrnehmbare äußere Bogen, der den nach der Sintflut
zwischen Gott und Noah geschlossenen Alten Bund symbolisiert hatte, verblaßt.
Obwohl der innere Regenbogen als natürliches Phänomen der Landschaft und
damit dem Hintergrund angehört, verbindet er als in der Fläche wirkender Viertel-
kreis einerseits die Stadt im Tal mit der hoch gelegenen Kathedrale, wobei die
Grenze zum Mittelgrund verschwimmt, andererseits bildet er als farbige Lichter-
scheinung einen Heiligenschein um das Haupt Marias, der dem Vordergrund zuzu-
rechnen ist. Auf die Ebene der Sinnschichten übertragen bedeutet diese Staffelung,
daß der Regenbogen in seiner rein physikalischen Erscheinungsform der erfahrba-
ren Welt zuzuordnen ist, ohne Symbolfunktion. Als Lichtbrücke zwischen der rea-
len Welt der Menschen und dem mystischen Bereich der ecclesia symbolisiert er je-
doch Marias immerwährendes schützendes und versöhnendes Fürbittgebet zum
Wohle der Menschen,41 während er als Nimbus der Madonna - unter Bezugnahme
auf Bonaventura, der Maria als „unüberwindliche(n) Regenbogen, mächtige(n)
Regenbogen, starke(n) Regenbogen, süße(n), liebliche(n) Regenbogen, Bogen, der
den Toren des Himmels offensteht" rühmt42 - die Qualität eines eigenständigen
40 Zum Motiv des Regenbogens allgemein vgl. Rother 1992.
41 Vgl. Schiller IV.2; S. 213.
42 Der Vers lautet vollständig: „Est in arcu caeruleus color, qui virginitatis typum gerit: et
rubeus etiam, qui caritatis formam notat: puritatis tuae demonstrat aqueus notam et hu-
militatis, quam elegit in te deus. Nubibus coeli cerneris arcus, quae nos illuminas refulgens
morum miseris exempla cunctis seminas. Haereses omnes terminas et haereticos conteris,
in Christo, quando geminas naturas simul congeris. Arcus insuperabilis, arcus potens, ar-
cus fortis, arcus dulcis, amabilis, arcus patens coeli portis" (Es ist aber in dem Regenbo-
gen eine blaue Farbe, die dem Wesen der Jungfräulichkeit entspricht, und auch eine röt-
liche, welche die Gestalt der Liebe kennzeichnet; die wässrige weist hin auf das Merk-
mal Deiner Reinheit und Demut, die Gott in Dir erwählt hat. Als Regenbogen in den
Wolken des Himmels wirst Du erkannt, die Du uns aufleuchtend erleuchtest, allen
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terschiedliche Erscheinungsformen als sponsa beziehungsweise als ecclesia im Bild
nahtlos - durch Parallelverschiebung entlang der oben beschriebenen Diagonale -
ineinander überführt werden können.
Durch die Transformation Marias von der Braut Christi zur ecclesia erfolgt eine
für das Verständnis des Bildes folgenreiche inhaltliche Akzentverschiebung: Ihre
zuvor beschriebene Rolle der allumfassenden Heilsvermittlerin wird in den darun-
terliegenden Sinnschichten auf den Menschen hin ausgerichtet. Denn während
dieser die Grenze zwischen seiner Welt (HG) und dem Aktionsraum der Ma-
donna (VMG) nicht überschreiten darf - wo diese im Bild aufeinandertreffen,
steht als für ihn unüberwindliche Barriere das Zeichen der porta clausa kann
der Gläubige den Bereich der ecclesia (HMG) sehr wohl durch eigenes Bemühen
erreichen, wenn auch nur unter großen Beschwerden, die Grünewald im Bild
durch den steilen Aufstieg auf den Berg sichtbar gemacht hat. Mit den im Bild der
Kirche vereinten Menschen schließt der in den Wolken erscheinende Christus den
Neuen Bund, als dessen hell leuchtendes Zeichen er mit einer Bewegung seines
Zepters den inneren Regenbogen an den Himmel setzt,40 hinter dem der im Bild
nur noch schemenhaft wahrnehmbare äußere Bogen, der den nach der Sintflut
zwischen Gott und Noah geschlossenen Alten Bund symbolisiert hatte, verblaßt.
Obwohl der innere Regenbogen als natürliches Phänomen der Landschaft und
damit dem Hintergrund angehört, verbindet er als in der Fläche wirkender Viertel-
kreis einerseits die Stadt im Tal mit der hoch gelegenen Kathedrale, wobei die
Grenze zum Mittelgrund verschwimmt, andererseits bildet er als farbige Lichter-
scheinung einen Heiligenschein um das Haupt Marias, der dem Vordergrund zuzu-
rechnen ist. Auf die Ebene der Sinnschichten übertragen bedeutet diese Staffelung,
daß der Regenbogen in seiner rein physikalischen Erscheinungsform der erfahrba-
ren Welt zuzuordnen ist, ohne Symbolfunktion. Als Lichtbrücke zwischen der rea-
len Welt der Menschen und dem mystischen Bereich der ecclesia symbolisiert er je-
doch Marias immerwährendes schützendes und versöhnendes Fürbittgebet zum
Wohle der Menschen,41 während er als Nimbus der Madonna - unter Bezugnahme
auf Bonaventura, der Maria als „unüberwindliche(n) Regenbogen, mächtige(n)
Regenbogen, starke(n) Regenbogen, süße(n), liebliche(n) Regenbogen, Bogen, der
den Toren des Himmels offensteht" rühmt42 - die Qualität eines eigenständigen
40 Zum Motiv des Regenbogens allgemein vgl. Rother 1992.
41 Vgl. Schiller IV.2; S. 213.
42 Der Vers lautet vollständig: „Est in arcu caeruleus color, qui virginitatis typum gerit: et
rubeus etiam, qui caritatis formam notat: puritatis tuae demonstrat aqueus notam et hu-
militatis, quam elegit in te deus. Nubibus coeli cerneris arcus, quae nos illuminas refulgens
morum miseris exempla cunctis seminas. Haereses omnes terminas et haereticos conteris,
in Christo, quando geminas naturas simul congeris. Arcus insuperabilis, arcus potens, ar-
cus fortis, arcus dulcis, amabilis, arcus patens coeli portis" (Es ist aber in dem Regenbo-
gen eine blaue Farbe, die dem Wesen der Jungfräulichkeit entspricht, und auch eine röt-
liche, welche die Gestalt der Liebe kennzeichnet; die wässrige weist hin auf das Merk-
mal Deiner Reinheit und Demut, die Gott in Dir erwählt hat. Als Regenbogen in den
Wolken des Himmels wirst Du erkannt, die Du uns aufleuchtend erleuchtest, allen
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