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türen, am Rathause oder am Kak (Pranger, Schandsäule) drohte. Es ist
begreiflich, daß der Betroffene und seine Familie nicht eben besorgt waren,
derartige Briefe der Nachwelt zu erhalten. Aber es 'haben sich trotzdem in
staatlichen und städtischen Archiven noch eine Anzahl derartiger Scheltbriefe
erhalten. Sie werfen ein so scharfes Licht auf das Rechtsleben des 15. und
16. Jahrhunderts, daß wohl nur ihr sehr verstreutes Vorkommen die Ursache
ist, daß von diesen kulturgeschichtlich so merkwürdigen Urkunden bisher
nur ganz vereinzelte veröffentlicht worden sind, eine zusammenhängende
Arbeit darüber aber bisher nicht erschienen ist. Berührt wird der Brauch
natürlich in allen Arbeiten über deutsche Rechtsaltertümer, aber eben nur
nebenbei in den von Beleidigungen und Verleumdungen handelnden Ab-
schnitten.
Ein paar Schmähbriefe brachte ein seiner Zeit berühmter Rechtslehrer,
der spätere Ordinarius der Zuristenfakultät in Göttingen, Io. Salomo
Brunnquell in seiner Dissertatio de pictura famosa (Jena 1733, S. 53—60)
zum Abdruck. Er hatte die taktvolle Rücksicht, dabei Namen, Ort und
Datum zu unterdrücken, wodurch der geschichtliche Wert der Urkunden so
ziemlich verloren ging. Doch sind nicht nur zwei der Stücke später von
Preuß und Falkmann im 4. Bde. ihrer Lippischen Regesten mit Namen
und Datum ausgezogen worden, sondern dank dem freundlichen Entgegen-
kommen des Lippischen Staatsarchivs in Detmold konnte ich diese und
andere von Brunnquell erwähnten Stücke im Original benutzen. Ein anderer
Schmähbrief wurde von dem in den Freiherrnstand erhobenen Juristen
Ioh. Ulrich Cramer, Beisitzer am Reichskammergericht, in seinen Wetz-
larischen Nebenstunden, 77. Teil, Ulm 1768, veröffentlicht. Auch Johann
Samuel Quistorp, Beisitzer am Oberappellationsgericht in Wismar, brachte
in seinen Beyträgen zur Erläuterung verschiedener Rechts-Materialien, Ro-
stock 1777 (hier nach der 2. Ausl, von 1787 benutzt), einiges über unser Thema.
Einen dieser Briefe veröffentlichte auch der damalige Direktor des
hessischen Landesarchivs in Dillenburg, Johannes Arnoldi, in seinen Miscel-
laneen aus der Diplomatik und Geschichte, 1798, S. 116.
Dagegen sucht man in dem bedeutenden Werke eines der hervor-
ragendsten Juristen, in einer Arbeit, deren Titel eine eingehende Behandlung
der Frage geradezu voraussetzen läßt, in des Rostocker Professors D. Adolph
Dieterich Webers Werk: Ueber Injurien und Schmähschriften, vergebens nach
einer Behandlung des Themas. Das Buch erschien 1793—94 in zwei Bänd-
chen, denen die zweite Auflage von 1797—1800 noch ein drittes beifügte. In
größter Genauigkeit und klarer Form werden darin die gesetz- und rechts-
wissenschaftlichen Theorien des 18. Jahrhunderts zum Schutz des guten
Namens gegen öffentliche Beleidigung kritisch besprochen und mit dem
römischen Rechtsbrauche, hie und da auch mit der Carolina und anderen
Rechtsbüchern verglichen, aber von unfern deutschen Schmähschriften des
15. und 16. Jahrhunderts ist kaum ein Wort zu finden.
Auch die neuere Literatur beschränkt sich auf die gelegentliche Bekannt-
gabe des ein oder andern Stückes, ohne auf die Sitte oder Unsitte, der es
sein Entstehen verdankt, weiter einzugehen.
* 4
*
Der hiermit unternommene Versuch, die Schmähbriefe zu sammeln und
im ganzen zu bearbeiten, muß seine Rechtfertigung in dem Umstande finden,
daß es sich bei diesen Briefen nicht, wie bei gewöhnlichen Pasquillen, um
willkürliche Wutausbrüche einzelner handelt, sondern um die sittengeschicht-
lich wichtigen Spuren eines sehr alten, durchaus wohlgeordneten Gewohn-
heitsrechts. War dasselbe auch wohl nicht allgemein in Geltung, so doch
in großen Teilen Deutschlands. Die meisten der bekanntgewordenen Briefe
stammen aus den westlichen und nördlichen Gegenden, vom Rhein, aus
Hessen, Westfalen, Hannover, Mecklenburg, Brandenburg, Lippe; nur zwei
wurden aus Bayern (Regensburg und Ingolstadt) bekannt. Eine ausgedehnte
Verbreitung fanden die Scheltbriefe aber in Böhmen und Mähren. Und hier
findet sich auch, was sich in unserm Vaterlande bisher nicht finden ließ,
in Deutschland wohl auch nie vorhanden war, nämlich eine amtliche Regelung
des Brauches durch die Behörde. Wohl aus diesem Grunde fanden die
Scheltbriefe in Böhmen eine weit eingehendere literarische Bearbeitung, als
bei uns. Die tschechische Sprache ist mir fremd. Und V. Brandls: OloLsariuin
illuLtrans boüeinico moravloe bistorias tontes, Lrünn 1876, das soviele
Aufklärungen bringt, ist mit Beispielen in der Landessprache gespickt. Doch
ein junger Gelehrter, Herr Dr. B. Mendl in Prag, hatte die große Lie-
benswürdigkeit, mich nicht nur auf das genannte Werk hinzuweisen, sondern
mir auch die einschlägigen Stellen seitenweise zu übersetzen, wofür ich auch
hier nochmals meinen herzlichen Dank wiederhole. Auch in Böhmen gehörten
die laei üsty (-- Scheltebriefe) zu den außergerichtlichen Mitteln, mittels
deren der Gläubiger den Schuldner oder die Bürgen zur Erfüllung
ihrer Pflicht zu bringen versuchte. Auch hier durfte der Gläubiger
erst vierzehn Tage nach der erfolglosen Mahnung zum lorsw (Einlager) zur
Selbsthilfe schreiten und Schmähbriefe in verschiedenen Städten an den
Pranger schlagen lassen. Ein Urteil v. I. 1566 fand zu Recht, weil Lacek
ohne dem Peter und den anderen Bürgen nach dem Wortlaut des Schuld-
briefs gekündigt zu haben, den Peter in einem Scheltbriefe am Pranger ge-
scholten, so habe er das dem Peter mit vom Gericht ihm vorgeschriebenen
Worten wiedergutzumachen. Wenn der Gescholtene gezahlt hatte, war
der Gläubiger verpflichtet, die Scheltbriefe aller Orten wieder abnehmen zu
lassen. Auch in Böhmen waren die Briefe in starken Ausdrücken verfaßt,
türen, am Rathause oder am Kak (Pranger, Schandsäule) drohte. Es ist
begreiflich, daß der Betroffene und seine Familie nicht eben besorgt waren,
derartige Briefe der Nachwelt zu erhalten. Aber es 'haben sich trotzdem in
staatlichen und städtischen Archiven noch eine Anzahl derartiger Scheltbriefe
erhalten. Sie werfen ein so scharfes Licht auf das Rechtsleben des 15. und
16. Jahrhunderts, daß wohl nur ihr sehr verstreutes Vorkommen die Ursache
ist, daß von diesen kulturgeschichtlich so merkwürdigen Urkunden bisher
nur ganz vereinzelte veröffentlicht worden sind, eine zusammenhängende
Arbeit darüber aber bisher nicht erschienen ist. Berührt wird der Brauch
natürlich in allen Arbeiten über deutsche Rechtsaltertümer, aber eben nur
nebenbei in den von Beleidigungen und Verleumdungen handelnden Ab-
schnitten.
Ein paar Schmähbriefe brachte ein seiner Zeit berühmter Rechtslehrer,
der spätere Ordinarius der Zuristenfakultät in Göttingen, Io. Salomo
Brunnquell in seiner Dissertatio de pictura famosa (Jena 1733, S. 53—60)
zum Abdruck. Er hatte die taktvolle Rücksicht, dabei Namen, Ort und
Datum zu unterdrücken, wodurch der geschichtliche Wert der Urkunden so
ziemlich verloren ging. Doch sind nicht nur zwei der Stücke später von
Preuß und Falkmann im 4. Bde. ihrer Lippischen Regesten mit Namen
und Datum ausgezogen worden, sondern dank dem freundlichen Entgegen-
kommen des Lippischen Staatsarchivs in Detmold konnte ich diese und
andere von Brunnquell erwähnten Stücke im Original benutzen. Ein anderer
Schmähbrief wurde von dem in den Freiherrnstand erhobenen Juristen
Ioh. Ulrich Cramer, Beisitzer am Reichskammergericht, in seinen Wetz-
larischen Nebenstunden, 77. Teil, Ulm 1768, veröffentlicht. Auch Johann
Samuel Quistorp, Beisitzer am Oberappellationsgericht in Wismar, brachte
in seinen Beyträgen zur Erläuterung verschiedener Rechts-Materialien, Ro-
stock 1777 (hier nach der 2. Ausl, von 1787 benutzt), einiges über unser Thema.
Einen dieser Briefe veröffentlichte auch der damalige Direktor des
hessischen Landesarchivs in Dillenburg, Johannes Arnoldi, in seinen Miscel-
laneen aus der Diplomatik und Geschichte, 1798, S. 116.
Dagegen sucht man in dem bedeutenden Werke eines der hervor-
ragendsten Juristen, in einer Arbeit, deren Titel eine eingehende Behandlung
der Frage geradezu voraussetzen läßt, in des Rostocker Professors D. Adolph
Dieterich Webers Werk: Ueber Injurien und Schmähschriften, vergebens nach
einer Behandlung des Themas. Das Buch erschien 1793—94 in zwei Bänd-
chen, denen die zweite Auflage von 1797—1800 noch ein drittes beifügte. In
größter Genauigkeit und klarer Form werden darin die gesetz- und rechts-
wissenschaftlichen Theorien des 18. Jahrhunderts zum Schutz des guten
Namens gegen öffentliche Beleidigung kritisch besprochen und mit dem
römischen Rechtsbrauche, hie und da auch mit der Carolina und anderen
Rechtsbüchern verglichen, aber von unfern deutschen Schmähschriften des
15. und 16. Jahrhunderts ist kaum ein Wort zu finden.
Auch die neuere Literatur beschränkt sich auf die gelegentliche Bekannt-
gabe des ein oder andern Stückes, ohne auf die Sitte oder Unsitte, der es
sein Entstehen verdankt, weiter einzugehen.
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Der hiermit unternommene Versuch, die Schmähbriefe zu sammeln und
im ganzen zu bearbeiten, muß seine Rechtfertigung in dem Umstande finden,
daß es sich bei diesen Briefen nicht, wie bei gewöhnlichen Pasquillen, um
willkürliche Wutausbrüche einzelner handelt, sondern um die sittengeschicht-
lich wichtigen Spuren eines sehr alten, durchaus wohlgeordneten Gewohn-
heitsrechts. War dasselbe auch wohl nicht allgemein in Geltung, so doch
in großen Teilen Deutschlands. Die meisten der bekanntgewordenen Briefe
stammen aus den westlichen und nördlichen Gegenden, vom Rhein, aus
Hessen, Westfalen, Hannover, Mecklenburg, Brandenburg, Lippe; nur zwei
wurden aus Bayern (Regensburg und Ingolstadt) bekannt. Eine ausgedehnte
Verbreitung fanden die Scheltbriefe aber in Böhmen und Mähren. Und hier
findet sich auch, was sich in unserm Vaterlande bisher nicht finden ließ,
in Deutschland wohl auch nie vorhanden war, nämlich eine amtliche Regelung
des Brauches durch die Behörde. Wohl aus diesem Grunde fanden die
Scheltbriefe in Böhmen eine weit eingehendere literarische Bearbeitung, als
bei uns. Die tschechische Sprache ist mir fremd. Und V. Brandls: OloLsariuin
illuLtrans boüeinico moravloe bistorias tontes, Lrünn 1876, das soviele
Aufklärungen bringt, ist mit Beispielen in der Landessprache gespickt. Doch
ein junger Gelehrter, Herr Dr. B. Mendl in Prag, hatte die große Lie-
benswürdigkeit, mich nicht nur auf das genannte Werk hinzuweisen, sondern
mir auch die einschlägigen Stellen seitenweise zu übersetzen, wofür ich auch
hier nochmals meinen herzlichen Dank wiederhole. Auch in Böhmen gehörten
die laei üsty (-- Scheltebriefe) zu den außergerichtlichen Mitteln, mittels
deren der Gläubiger den Schuldner oder die Bürgen zur Erfüllung
ihrer Pflicht zu bringen versuchte. Auch hier durfte der Gläubiger
erst vierzehn Tage nach der erfolglosen Mahnung zum lorsw (Einlager) zur
Selbsthilfe schreiten und Schmähbriefe in verschiedenen Städten an den
Pranger schlagen lassen. Ein Urteil v. I. 1566 fand zu Recht, weil Lacek
ohne dem Peter und den anderen Bürgen nach dem Wortlaut des Schuld-
briefs gekündigt zu haben, den Peter in einem Scheltbriefe am Pranger ge-
scholten, so habe er das dem Peter mit vom Gericht ihm vorgeschriebenen
Worten wiedergutzumachen. Wenn der Gescholtene gezahlt hatte, war
der Gläubiger verpflichtet, die Scheltbriefe aller Orten wieder abnehmen zu
lassen. Auch in Böhmen waren die Briefe in starken Ausdrücken verfaßt,