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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 13.1902

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Lux, Joseph August: H. Geßner und die Wagner-Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.6713#0308

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296

INNEN-DEKORATION.

ß, Gegner und die Wagner» Schule,

Ein neues Architekten-Geschlecht ist aus der
Schule des Wiener Ober-Baurates Prof. Otto
Wagner hervorgegangen. Die neuen Ge-
staltungs-Grundsätze, die dieser gewaltige An- und
Aufreger in seinen Werken und Worten gelehrt,
haben bei uns zu dem neuen Stil geführt, dessen
Ausgangspunkt das moderne Leben ist. Auch die
Architektur, die unpopulärste Kunst, hat den
Forderungen der Gegenwart nicht widerstehen
können, nur hat sie den Lebens-Ansprüchen wider-
willig und zögernd Folge geleistet, immer eine
Maske vortäuschend, im Gewände vergangener
Stile auftretend, immer bestrebt, an Stelle des Seins
den Schein zu setzen, gleichsam abgewandten
Antlitzes ins Leben zu treten, und lebensfremd im
Alltag zu stehen. —- So musste es denn im Laufe
des 19. Jahrhunderts notwendig und folgerichtig
kommen, dass die Architektur, einstens die mächtige
Führerin aller bildenden Künste, zu einem bloßen
Schein-Dasein herabsank, in einen Zustand seniler
Schwäche verfiel, und von den Kräften zehrte, die
ihr die Uberlieferung bot, und die Erinnerung an
jene großen Zeiten, da sie aus dem unerschöpflichen
Nährboden menschlicher Bedürfnisse, organisch
emporwuchs und die anderen bildenden Künste,
die Malerei, die Plastik, die Handwerkskunst zeitigte,
einem mächtigen Baum vergleichbar, in dessen
Krone die holdseligsten Früchte reiften. In dem
jüngstvergangenen Jahrhundert hat der frische
Saft-Trieb aufgehört, und der grünende Baum ist
allmählich verdorrt. Wenn sich aber unter den dürren
Reisern dennoch etwas Lebendiges durchsetzte,
ein neues Zellengewebe, das die innere Struktur
veränderte, wohl nur »der Not gehorchend, nicht
dem eigenen Trieb«, so war das ein Beweis, dass
des Lebens Notdurft stärker ist als all der aka-
demische Galimathias. Allein in der äusseren
Struktur hatte sich zunächst wenig verändert, und
das Leben, das nur ganz verschämt beim Hinter-
thürchen herein gelassen wurde, mochte zusehen,
wie es hinter den antiken, griechisch-römischen,
gotischen oder barocken Fronten fertig wurde.
Es bedurfte eines schöpferischen Menschen, der die
Architektur von dem Prokrustesbett der Stilforderung
befreite und ihr die Eigenlebigkeit zurückeroberte.
Ein solcher Eroberer und Befreier ist bei uns
Otto Wagner. Auf drei Worte, die auch in ihrer
Reihenfolge karakteristisch sind, reduziert er seine
Ästhetik: Zweck, Konstruktion, Poesie. Diese drei
Worte als Überschrift eines künstlerischen Glaubens-
Bekenntnisses stellen allerdings die höchsten Forder-
ungen. Sie fordern, dass der Architekt ein Künstler

sei. Dass er schaffe wie ein Dichter, der innerlich
bis zu den äussersten Konsequenzen erlebt, was
ihm als das zu Gestaltende vorschwebt. Das ist
für den Architekten der Zweckbegriff, aus dem er
die Konstruktion gebären soll. Die strenge Sach-
lichkeit und die unwillkürliche persönliche Färbung
geben dem Werk die Schönheit, die Poesie. Wer
die Anwendung dieser drei Worte zu lehren vermag,
muss tief hinabgestiegen sein zu den Quellen des
Lebens und der Kunst. In einem Zeitalter, das
vom Herkömmlichen lebt, wird der Schaffende,
der immer ein Aufrüttler ist, wie ein Revolutionär
gefürchtet werden. Das mag den Widerstand, ja
den Hass erklären, den Wagner heute noch bei
den leitenden Kreisen, den Kunstbehörden und
offiziellen Kunst-Ausschüssen findet. Denn auch
das ist herkömmlich, dass Behörden eifersüchtig
wachen, dass alles hübsch beim Alten bleibe. In
diesem Sinne wählen sie ihre Gewährsmänner auch
für die Kunst, für die Architektur, für die Jurien
und Kommissionen, Menschen, die mit verjährten
Begriffen über Neues zu Gericht sitzen. Diese
Begriffs-Verkalkung und Verknöcherung der An-
schauung, die als Kunstverfalls-Erscheinung für
unsere Zeit typisch ist, hat bedenkliche Dimensionen
namentlich in jenen offiziellen Kreisen angenommen,
von deren Hass oder Gunst der Monumental-
Architekt abhängig ist. Willfährigkeiten, die ein-
zelne modern denkende Persönlichkeiten innerhalb
jener amtlichen Kreise an den Tag legen, befinden
sich allzu sehr in der Minorität, um zu praktischen
Ergebnissen zu führen. Und das ist nun das fast
tragische Schicksal Wagners, dieses Grossstadt-
Architekten par excellence, dass trotz seiner Streit-
barkeit und seines Organisations-Genies fast alle
seine monumentalen Entwürfe, die viele Bände
füllen, noch immer ein papierenes Dasein führen,
und es heute noch ungewiss ist, ob er in der Kon-
kurrenz um den armseligen Stadt-Museumsbau über
die Bisenius-Kunst seiner pygmäenhaften Rivalen
den Sieg davon tragen werde. Es wäre schließlich
nicht der erste Fall, dass ein Großer an der Kleinheit
seiner Zeit scheitert.

Allein auch hier gilt der Satz, dass in der
Natur keine Kraft verloren geht. Die Gestaltungs-
Grundsätze, die Wagner seinen Schülern einge-
pflanzt, sind als lebenskräftiger Samen in den
jungen Talenten zu einer neuen Saat aufgegangen.
Er säete Drachenzähne und geharnischte Männer
wuchsen empor, ein thebanisches Geschlecht, um
die neue Stadt zu bauen. Darin liegt das viel-
bewunderte Geheimnis des Erfolges der Wagner-
Schule, dass er die Talente erkennt und eine strenge
Auslese hält. Andere Architektur-Schulen mögen mit
 
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