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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 13.1902

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Velde, Henry van de: Zur Rennaissance im Kunst-Gewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.6713#0009

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INNEN-DEKORATION.

ls Herr ALEXANDER KOCH, Redakteur und Herausgeber der Zeitschrift „INNEN-DEKO-

J~\ RATION", mir vorschlug, einen Teil der Arbeiten seiner Zeitschrift zu übernehmen,
war ich zuerst der Ansicht, dass diese Aufgabe mir insofern nicht ganz zusagen würde, als
ich dadurch gezwungen wäre, öffentlich zu bekennen, was ich für gut hielt und was nicht.
Ich sah all die Annehmlichkeiten voraus, die mir von Seiten der Künstler widerfahren würden,
denen ich meine Billigung bezeugen könnte, wie ich auch die Unannehmlichkeiten von Seiten
derer voraussehe, deren Werke ich einer abfälligen Kritik unterziehe.

Herr Alexander Koch machte geltend, dass der Grund, aus welchem ich mich viel-
leicht zurückhalten könnte, nämlich die Kundgebung meiner Meinung, gerade das wäre, was
das Publikum und er von mir erwarteten. Er machte mich ausserdem darauf aufmerksam,
dass meine Kollegen vor mir dieses Feld betreten hätten, um ihre Meinungen zu äussern,
und dass die Arbeit eines jeden von uns gleich schwierig sei. Er führte mir noch manche
andere triftige Gründe an, damit ich nicht zögerte, und so habe ich denn, weil ich schon vor
ernsteren Hindernissen nicht zurückgeschreckt bin, diese Aufgabe übernommen in der Absicht,
mein Möglichstes zu Gunsten der Ideen und der Prinzipien zu thun, welche weder der alten,
noch der ältesten Kunst, sondern ausschliesslich der neuen Kunst beizumessen sind.

Ich werde mich bemühen, nur an die Werke zu denken, die seit dem Wieder-
Aufblühen der industriellen Künste entstanden sind, und nicht an die Künstler, welche sie
geschaffen haben, denn wenn diese zwischen ihnen und meinem Urteil stehen, würde ich
Gefahr laufen, ungerecht zu sein. Ausserdem wünsche ich nicht nur meine Prinzipien zu
erörtern und zu verteidigen, sondern ich will die verschiedenen Erscheinungen der Renais-
sance im Kunstgewerbe prüfen, um den Gedanken, der allen Künstlern, die sich dem
Kunstgewerbe widmen, gemein ist, daraus zu sondern.

Ich glaube, zum Besten der Künstler und dieser Renaissance zu handeln, wenn ich
ausser Zweifel setze, dass unsere Anstrengungen, so verschiedener Art sie auch sein mögen,
auf Erfolg rechnen dürfen und berechtigt sind, allgemeine Beachtung zu finden, sobald sie
danach streben, das Wesen reinen Kunst-Schaffens wieder aufzufinden.

Ich bin überzeugt, dass wir keine Aussicht auf Fruchtbarkeit dieses Werkes haben,
wenn wir ihm nicht unser eigenes Blut einimpfen, anstatt einer unreinen Mischung von
Flüssigkeiten, die schon dazu gedient haben, die Werke des Altertums zu reinigen.

Ich bin überzeugt, dass wir keine Aussicht auf Fruchtbarkeit unseres Werkes haben,
wenn wir nicht durch unseren eigenen Geschmack, unsere eigenen Neigungen, unsere eigenen
Gedanken und durch unsere eigenen Thaten kräftige Keime hineinlegen, anstatt der vielen
unfruchtbaren Dinge, wie die des veralteten Geschmacks, der schon bestehenden, schlecht
gewürdigten oder schlecht geschilderten Gewohnheiten, der entlehnten Gedanken, und der
theatralischen Geberden.

Es ist meine Aufgabe, innerhalb dieser Zeitschrift in den Nummern, welche mir
anvertraut werden, die Äusserungen des modernen Empfindens und des gegenwärtigen Lebens
gesondert darzustellen und dazu das Material zu benutzen, das meine Kollegen die Güte
haben werden mir zur Verfügung zu stellen. Die Renaissance hat den ganzen Kontinent
erobert, und so viel es in meiner Macht steht, will ich versuchen, ihre ganze Entwickelung
zu verfolgen: Deutschland und Osterreich, Belgien, Holland, Frankreich sind der Anregung
gefolgt, die von England ausging. Der Zeitpunkt ist kostbar, weil er schon die verschiedenen
karakteristischen Eigentümlichkeiten im voraus wirksam zeigt, welche das Kunstgewerbe in
jedem dieser Länder weiterentwickeln wird, und weil es uns folglich vergönnt ist, sie
gegenwärtig in ihrer ganzen Frische und Wahrheit zu erkennen.

Berlin, im Dezember igoi.

Henry van de Velde.
 
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