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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 48.1937

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Wieszner, Georg Gustav: Verzweiflungskampf mit kleinen Dingen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10944#0077

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INN EN-DEKORATION

65

man wird sich von der Hausfrau einen Wäschekorb
borgen - in den Ofen! Was übrig bleibt - auch darauf
sollte ein Eid geleistet werden - muß katalogisiert
werden, wenn es des Aufhebens würdig erscheint.

Denn was soll das für ein Wert sein, der keinen
kleinen Karteizettel wert ist, was soll ein Leben lang
bleiben, das nicht die eine Minute des Festhaltens
im Katalog würdig ist? Was soll ein Wert bedeuten,
der nicht stets griffbereit ist ? Wert ist doch bloß das
in unserem Leben, das auch irgendwo in unserem Ge-
hirne verankert ist und bleibt. Der Karteikasten ist
dann das gröbere Gehirn, die Brücke vom lebendigen
Menschen zu seinen Dingen. Und man mache sich
obendrein noch zum Gesetz: was wert ist, aufgehoben
zu werden, muß seinen Raum wert sein, seinen
Karton, auf den es geklebt wird, seine Mappe, seinen
Kasten, seinen Schrank, in dem es nun unser Leben
lang - die Erben werden ja doch entrümpeln - als
guter Diener im Hintergrund dienstbereit steht.

Der phantasiebegabte Leser wird eine neue Innen-
architektur ahnen, bedingt nicht von den großen
Dingen wie Bett und Tisch, sondern von den kleinen,
die verschwinden sollen. In der Weißenhofsiedlung
in Stuttgart steht ein Haus, vielleicht hat auch meine
Phantasie es so ergänzt: in dem sind alle Wände

Schränke. Wenn nun alle die Schränke wohlge-
ordnet wären, wenn jedes Ding seinen Platz und seine
Nummer hätte und wenn zum Beispiel auf dem
Schreibtisch nichts läge als der Zettelkasten mit
diesen Nummern! Und wenn man, so man's hätte,
auch jedes Ding gleich wieder auf seinen Platz täte . . .

Wir könnten in solchen vier Wänden wieder ver-
suchen, uns selbst, statt unsere Umwelt zu bedenken.
Wir würden an Arbeitstagen diese Mappe, jenen
Kasten herausholen, an Feiertagen dieses Bild, jenes
Buch zu Gaste laden in den Raum, den w i r be-
herrschten, wir, das heißt unser Ich. Dieser Raum
müßte dann in seinen Proportionen zu diesem unserm
Ich passen wie ein gut geschnittenes Kleid, müßte
gewissermaßen die nächste größere Hülle unseres
Selbst sein, die die überflüssigen Dinge wohl ver-
wahrt, aber verbirgt wie Taschen.

Taschen ? - Haben wir eigentlich nichts Unnötiges
in unseren Taschen ? Ganz zu schweigen von Brief-
taschen und den immer größer werdenden »Täsch-
chen« der Damen, die schon Koffern gleichen. - Und
so wären wir wieder bei dem »Gepäck« angelangt, von
dem unser Aufsatz ausgegangen war: dem Gepäck
unseres Daseins, das uns lästig ist auf dem Weg nach
neuen Zielen . . . dr. georg gustav wieszner
 
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