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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 48.1937

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Michel, Wilhelm: Von Stunde zu Stunde
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https://doi.org/10.11588/diglit.10944#0123

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VON STUNDE ZU STUNDE

Die täglichen Lebensgaben mit Dank zu empfan-
gen, wäre eigentlich jedes Menschen Pflicht. Aber
oft wird sie versäumt. Den meisten Gesichtern, denen
man auf der Straße begegnet, sieht man wohl die Spur
der Arbeitsstunden, der täglichen Verdrießlichkeiten
an. Aber wenigen sieht man an, daß morgens die
Sonne über ihnen aufgegangen ist und den Tisch mit
dem Frühstück oder doch wenigstens den Hausgiebel
gegenüber mit goldenem Licht überströmt hat.

Die großen Freuden sind in den meisten Leben dünn
gesät. Aber jeder Tag reicht uns bescheidene Freuden
in Fülle. Der Weg zur Arbeit ist nicht nur ein Weg zu
unerfreulichen Akten oder an einen überfüllten Zei-
chentisch oder zu zähnefletschenden Vorgesetzten. Er
ist auch ein Weg unter Bäumen mit Vogelsingen und
frischkühlem Rauschen. Er ist ein Weg durch Men-
schenreihen, aus denen manch freundliches Auge
einen Gruß winkt. Der Abend ist nicht nur Müdesein,
grämliches Nachrechnen und Grübeln. Er bringt auch
die Ruhestunde unter der stillen Lampe, das Eintreten
in echte frische Lebensbeziehung im Gespräch mit

Frau und Kindern. Er bringt den Schlaf, die wunder-
bare Gabe, die wir spüren im allmählichen Hindäm-
mern, im Hinauslauschen zu Mondschein, Schritten
auf der Straße und mitternächtlichem Käuzchenruf,
schließlich in der warmen Erfrischung beim Aufwa-
chen. Wieviel besitzt der, der ein eignes behagliches
Bett hat! Wachträume, Lieblingsvorstellungen liegen
neben ihm auf dem Kissen, wichtige Lockerungen, in
denen sich die Seele entspannt. Aber das Bett schenkt
auch das Gefühl vom eignen Körper, den manche
Menschen den ganzen Tag über nicht zu spüren be-
kommen. Und dann am Morgen oder am Abend das
Bad, der zauberhafte mächtige Eingriff, der jedesmal
den ganzen Menschen in Ordnung bringt und die ge-
sunden Grundschwingungen seines Daseins wieder
herstellt! Ein Wiener Schriftsteller behauptete, das
tägliche Bad sei barbarisch, weil das Bad ein Fest
für die Haut sei und nicht so gewöhnlich werden dürfe,
daß dieses festliche Erlebnis abgestumpft werde. Dar-
über kann man verschiedener Meinung sein. Aber
wahr bleibt, daß das Bad ein Fest ist, eine der täg-
 
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