Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 48.1937

DOI Artikel:
Der Stuhl als Freund
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10944#0141

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
INN EN-DEKORATION

129

DER STUHL ALS FREUND

Diese Kanadier sind Stühle oder vielmehr
Sessel; aber zugleich sind sie etwas dar-
über hinaus. Daß sie bequem sind, ver-
raten sie schon auf den ersten Blick. Tre-
ten sie nicht mit ihrer stämmigen Erschei-
nung, mit ihrem weiträumigen Behagen
geradezu als Vor- oder Grundformen des
heutigen Klubsessels vor uns ? Aber auf der
andern Seite haben sie eine Tugend mehr
als dieser. Denn die Rücklehne kann durch
einen simplen Handgriff schiefer und gera-
der gestellt werden. Was wir »Sitzen« nennen,
ist ja von Fall zu Fall etwas sehr Verschie-
denes. Das entspannte Ausruhen ist etwas
völlig andres als die Sitzhaltung beim Lesen;
und vollends das Sitzen beim Gespräch, bei
der Verhandlung oder beim Meinungskampf
ist eine Sache ganz für sich. Da bedeutet
Sitzen nicht in erster Linie Ruhen, sondern
es ist eine körperliche Unterstützung für ein
lebhaftes Tätigsein. Dem trägt die beweg-
liche Rücklehne unsrer Kanadier Rechnung.

Aber sie sind, wie gesagt, noch etwas
andres als Sitzgelegenheiten. Sie sind spre-
chende Bilder eines kräftigen, naturnahen
Lebens. Sie deuten auf einfache Lebens-
bedingungen, auf Streifzüge durch Wälder
und Schluchten und auf die gesunde Müdig-
keit, die wir von da mit heimbringen. Büchse
und Jagdtasche sucht die Phantasie in der
Nähe dieser Stuhlformen, und sie selbst
scheinen mehr mit der Axt zugehauen als
in den Arbeitsgängen einer Möbelfabrik
erzeugt. Den weiten flammenden Kamin
der Blockhütte und diese selbst erfindet die
Einbildungskraft zu ihnen, dazu Felle auf
rauhen Dielen, derbe Tische, draußen Sturm
und Frost, rauschende Baumwipfel und das
ganze großartige Theater der freien Natur.

Ist das bloß Phantasie? Wird nicht in
Wirklichkeit ein solcher Stuhl friedlich in
einem weiträumigen Landhaus oder in ei-
nem gepflegten Jagdhaus stehen, vielleicht
auch in einer balkengedeckten Halle, wo
es ringsum durchaus zivilisiert zugeht? -
Gewiß! Aber nicht Phantasie bleibt doch
die Erfrischung des Wohngefühls, mit der
wir einen solchen Stuhl anblicken und
uns in ihm niederlassen.

Inneres Erleben wird, was seine kräf-
tigen, werkzeugnahen Formen an Begleit-
vorstellungen des einfachen Lebens mit sich
führen - zumal heute, da Sport und körper-
liche Arbeit unsre Naturbeziehung so viel-
fach bereichert und vertieft haben. Es gibt
Möbel, die uns die ganze Naturwelt gleich-

»KANAD1ER« ENTW. PROF. ALEXANDER POPP-WIEN. - RÜCKANSICHT

sam unterschlagen. Sie geben sich so glatt, so ausgerechnet
und abgeleitet, daß wir bei ihnen nicht entfernt mehr an
Werkzeug und menschliche Gestaltungsarbeit denken; auch
nicht an Sonne und Wind, an Müdigkeit, Durst und Hunger.
Aber ein Etwas in uns — vielleicht das Kind, das den Robinson
gelesen hat, oder der Junge, der sich mit unbändiger Lust seines
ersten Biwaks erinnert, - wird immer seine Freude an solchen
Geräten haben, die uns die Urbedingungen des menschlichen
Wohnens freundschaftlich dienend vor Augen bringen. H.R.

»KANADIER« NUSSHOLZ, BEZUG DER POLSTER: GRÜNER WOLLSTOFF
 
Annotationen