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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 48.1937

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Michel, Wilhelm: Freude am Alten, Freude am Neuen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10944#0296

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284

INNEN-DEKO RATION

FREUDE AM ALTEN, FREUDE AM NEUEN

In der Wohnraumgestaltung werden sich stets, von
allen künstlerischen Richtungen abgesehen, zwei
verschiedene Geschmackseinstellungen geltend ma-
chen. Sie sind auf einen grundlegenden Unterschied
der seelischen Haltung bezogen. Es gibt auf der einen
Seite Menschen, die eine grundsätzliche Freude an
der Geschichts-Spur in den Dingen ihrer Umgebung
haben. Das heißt nicht, daß sie nur das Alte lieben.
Aber sie lieben es, wenn die Form der Dinge sie mit
gewissen zusätzlichen Begleitvorstellungen anspricht.
Sie verlangen von ihnen Gemüt und Wärme, Charak-
ter und sogar »Persönlichkeit«. Sie wollen Möbel
haben, zu denen man wie zu lebendigen Dingen in
Beziehung treten kann. Sie sind unglücklich in »kal-
ten« Gasthofzimmern, sie sind empfindlich gegen das,
was sie seelenlose Linien nennen. Sie verlangen vom
Hausrat nicht nur Dienst, sondern auch Gespräch,
eine gewisse Aufgeschlossenheit zum Menschen. Sie
werden, wenn sie Schaffende sind, alte Formen zwar
nicht kopieren, aber sie werden z. B. die Handwerks-
spur in den Formen betonen. Sie sind fast immer
auch die Menschen, die Jahr für Jahr denselben Ur-
laubsort aufsuchen, die immer wieder zu einem
Dichter greifen, den sie schon kennen. Sie bauen ihre
Weltbeziehung lieber in die Tiefe als in die Breite aus.

Ihnen steht eine andre, nicht minder wertvolle
Menschenart gegenüber, die Freude am jedesmal
Neuen hat, am Gegenwärtigen, und die sich gern von
allem anrufen läßt, was frisch und jung ist. Vielleicht
muß man sie im eigentlicheren Sinne die Menschen
dieser unsrer Zeit nennen. Sie lieben die Möbel, die
knapp und klar sind, aus unmittelbarem Geist ge-
formt, und Seele in den Dingen ist ihnen eher ver-
dächtig als anziehend. Sie hassen die Floskeln und
die Umschweife, und weil sie selbst mit sich einig
sind, wollen sie auch Dinge um sich haben, die un-
verstellt ihren Dienst tun, die sich nicht dabei in
Szene setzen. Sie lieben das jeweils Neue, weil sie das
Aktive und das Willensmäßige lieben. Sie haben ge-
wiß oft auch ein klares Gefühl für Geschichte und ge-
schichtliche Werte, aber sie wollen sich nicht an
diese Werte verlieren. Sie wollen keine Dinge um
sich, die Tiefen zeigen und auf die man sich ver-
weilend einlassen muß, sondern sie wollen Dinge, die
ruhig und ohne Problematik da sind. Sie wollen, wie
sie auch im Verkehr unter Menschen die rüstige
aktive Äußerung lieben, von ihrer Dingwelt keine
sentenziöse Versonnenheit. Was der andre Typ als
kalt, gemütlos und »unpersönlich« empfindet, emp-
fiehlt sich ihnen durch Knappheit und Zuverlässigkeit.
 
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