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Rüdenauer, Adolf C.: Über Wesen und Ziel deutscher Wohnkultur
DOI Page / Citation link: https://doi.org/10.11588/diglit.10944#0354
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INNEN-DEKORATION
HAUS B. »SCHLAFZIMMER DES HERRN« NUSSBAUM MIT BEIGE LINOLEUMSOCKEL, BRAUNER VELOURSBELAG
sance-Schreibtisch, ein Pyjama wandelt durch das
Schlafzimmer »im Stil« Ludwig XIV., Bluse und Ko-
stümrock mit übergeschlagenen Beinen auf vergolde-
tem Rokokostuhl; Knickerbocker, Polohemd und
Lederolmantel vor dem Bücherschrank »im Stil«
Louis seize. Und umgekehrt, die Herren Chippendale,
Sheraton oder Adam, im verbrämten Rock, Dreispitz
und Puderperücke, Kniestrümpfen und Schnallen-
schuhen als groteske Figuren in Räumen der Jetzt-
zeit. Und wenn einer der Herren um 1750 heute zwi-
schen uns träte - er würde gewiß nicht daran den-
ken, die Formensprache seiner Zeit auf unsere heu-
tigen Lebensäußerungen umzulegen.
Wie sehr uns das Gefühl für Einheit in Kleidung
und Umgebung verlorenging, zeigt der Stilmisch-
masch unserer Zeit. Modische Unmöglichkeiten, die
in Vouten, Hohlkehlen, Wülsten und qualligen Aus-
bildungen zweckwidrige Maßlosigkeit verkörpern,
kauft die kleine hübsche Sekretärin ebenso gerne wie
der junge Mann. In seelenlosen, kaukasischnußbaum-
uniformierten, sensationell nach außen maskierten,
und natürlich hochglanzpolierten Gebilden werden
die letzten Spargroschen investiert. Man findet sie
filmnah und gebildet und erblickt im Speckglanz der
Politur das Spiegelbild seines sozialen Aufstiegs. -
In der vorgesehenen Zwei-Zimmer-Wohnung mit etwa
40 qm Wohnfläche wird diese Unmöglichkeit erst
deutlich, wenn ein derartiges Monstrum placiert wer-
den soll. - Das Mädchen vom Lande handelt kaum
anders. Es begann sich schon lange vom ererbten
Hausrat abzuwenden, um das Fachwerkhaus seiner
Väter mit modischen Ungeheuerlichkeiten zu ver-
schandeln. Solide, formschöne Stücke dem Vorhande-
nen anzugleichen und die erdgebundene Schlicht-
heit im Material und in der handwerklichen Gestal-
tung fortzusetzen, war kaum einer Überlegung wert.
INNEN-DEKORATION
HAUS B. »SCHLAFZIMMER DES HERRN« NUSSBAUM MIT BEIGE LINOLEUMSOCKEL, BRAUNER VELOURSBELAG
sance-Schreibtisch, ein Pyjama wandelt durch das
Schlafzimmer »im Stil« Ludwig XIV., Bluse und Ko-
stümrock mit übergeschlagenen Beinen auf vergolde-
tem Rokokostuhl; Knickerbocker, Polohemd und
Lederolmantel vor dem Bücherschrank »im Stil«
Louis seize. Und umgekehrt, die Herren Chippendale,
Sheraton oder Adam, im verbrämten Rock, Dreispitz
und Puderperücke, Kniestrümpfen und Schnallen-
schuhen als groteske Figuren in Räumen der Jetzt-
zeit. Und wenn einer der Herren um 1750 heute zwi-
schen uns träte - er würde gewiß nicht daran den-
ken, die Formensprache seiner Zeit auf unsere heu-
tigen Lebensäußerungen umzulegen.
Wie sehr uns das Gefühl für Einheit in Kleidung
und Umgebung verlorenging, zeigt der Stilmisch-
masch unserer Zeit. Modische Unmöglichkeiten, die
in Vouten, Hohlkehlen, Wülsten und qualligen Aus-
bildungen zweckwidrige Maßlosigkeit verkörpern,
kauft die kleine hübsche Sekretärin ebenso gerne wie
der junge Mann. In seelenlosen, kaukasischnußbaum-
uniformierten, sensationell nach außen maskierten,
und natürlich hochglanzpolierten Gebilden werden
die letzten Spargroschen investiert. Man findet sie
filmnah und gebildet und erblickt im Speckglanz der
Politur das Spiegelbild seines sozialen Aufstiegs. -
In der vorgesehenen Zwei-Zimmer-Wohnung mit etwa
40 qm Wohnfläche wird diese Unmöglichkeit erst
deutlich, wenn ein derartiges Monstrum placiert wer-
den soll. - Das Mädchen vom Lande handelt kaum
anders. Es begann sich schon lange vom ererbten
Hausrat abzuwenden, um das Fachwerkhaus seiner
Väter mit modischen Ungeheuerlichkeiten zu ver-
schandeln. Solide, formschöne Stücke dem Vorhande-
nen anzugleichen und die erdgebundene Schlicht-
heit im Material und in der handwerklichen Gestal-
tung fortzusetzen, war kaum einer Überlegung wert.