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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 51.1940

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Michel, Wilhelm: Menschen und Gegenstände
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https://doi.org/10.11588/diglit.10972#0158

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Augenblicks einfing. Der Augenblick hat freilich sein
Recht; er ist der wechselnden Witterung vergleichbar,
der man Rechnung trägt. Aber verstanden ist der
Augenblick nur, wenn man weiß, daß er tapfer be-
standen werden muß und daß von ihm aus der Blick
aufs Bleibende gehen muß. Zum Bleibenden gehört
Volk und Volkesart, alles Bedingende und alles wahr-
hafte Wesenserbe. Die Zeit ist vielleicht der lauteste,
der lärmendste, aber gewiß nicht der wurzelhafteste
Bestandteil in uns. Wie richtig verteilte der Dichter
die Weisungen, wenn er den Künstlern riet: »Geh'
mit der Zeit in dem, was an dir Kleid und Zufall ist;
aber was lange mit dir leben soll, das bilde aus deinem
Wesen.« Ein Baumeisterspruch; ein Tischler- und
Schmiedspruch; ein Spruch aus jener »traditionellen«
Welt, welche der italienische Kulturphilosoph Julius
Evola der »modernen«, aufs punkthafte Individuum
gestellten Welt entgegensetzte.

Und so ist jeder Zeit aufgegeben, von ihren Vor-
aussetzungen her sich auf das Bleibende zu beziehen.
Das bringt allein das jeweils Neue. Das ergibt auch
allein das echte Gebilde, den echten Gegenstand, mit

dem der Mensch umgehen kann. »Es bleibt ewig wahr«,
schrieb Goethe an Charlotte von Stein, »sich zu be-
schränken, einen Gegenstand, wenige Gegenstände
recht bedürfen, so auch recht lieben, an ihnen hängen,
sie auf allen Seiten wenden, mit ihnen vereinigt
werden, das macht den Dichter, den Künstler -
den Menschen.«

Hier wird an den verborgenen, kulturmoralischen
Wert der echten Objekte gerührt. Schundware,
Augenblicksware können wir nicht »auf allen Seiten
wenden«. Sie haben ja meist nur eine Seite, die ärm-
sten. An ihnen können wir nicht die segensreiche Be-
schränkung üben, weil sie dafür selbst zu beschränkt
sind. Das eilfertige Augenblicksprodukt, wie es aus
Treulosigkeit entstand, ruft Treulosigkeit hervor,
jenes Vorübergleiten an den Dingen, das den Men-
schen nicht Wurzel schlagen läßt. Wir kennen in ge-
wissen modernen Ländern Entwicklungen, die dazu
geführt haben, daß sich an Stelle des Gegenstandes
sein Geldwert, sein Wiederbeschaffungswert gescho-
ben hat - an Stelle des Gespenstes ein noch ärgeres,
noch wesenloseres Gespenst. Der Wagen, der Haus-
 
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