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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 53.1942

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Michel, Günther: Freies Wohnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10968#0150

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114

INNEN-DEKO RAT I 0 N

FREIES WOHNEN

Wenn wir an einem frühen Sommermorgen erwa-
chen und kühle Winde Schlaf und Nacht aus
unsrem Zimmer tragen, dann schlägt an unser Ohr
der erste junge Ruf der Vögel, die drüben in den alten
Bäumen aus ihrem Neste fliegen. Ihr Lied belebt und
beglückt auf eine wundersame Weise den Raum, in
dem wir schliefen. Es scheint, als wären die Geister
des Wohnens wieder in ihm zur Regsamkeit erwacht.
Machte ihn die Nacht nicht zum Verlies, zu einem
Winkel der Müdigkeit? Rückt uns nicht die Morgen-
sonne, die breit durchs Fenster fällt, die Bilder an
den Wänden, die Blumen auf dem Tisch und den so
sorgsam in die Ecke gestellten Stuhl mit einer deut-
lichen Freundlichkeit vors Auge?

Der Wohnraum hat ein eigenartiges Verhältnis zur
Natur, zur Welt. Dieses Verhältnis ist so merkwürdig
und geheimnisvoll wie das des Menschen zu den
Mächten und Kräften des Universums. Eine hinter-
gründige Bestimmung, eine verborgene Wahrheit
rührt uns an, wenn in der Stille des Gemütes die ge-

läufigen Empfindungen sich weiten und Begegnungen
mit unbekannten Gewalten geschehen. Sie sind so
andersartig, daß nur die Annahme einer verborgenen
Verwandtschaft des Menschengeschlechtes mit der
Weite der Welt sie erklärt. Mit dieser seltsamen Tat-
sache hängt es auch zusammen, daß das menschliche
Gemüt immer wieder von einem Streben nach Ein-
klang und Maß durchzogen wird. Nur aus dem wohl
ausgewogenen und genau geschlossenen Bündnis
äußerlich getrennter, aber im Grunde geheimnisvoll
zusammenhängender Gegebenheiten entsteht das,
was man als »Maß« bezeichnet. Und so auch ist die
Wohnlichkeit das Zeugnis eines innigen und ernsten
Beieinanders von Natur und Raum.

Wer kennt nicht die bedrückende Atmosphäre eines
Zimmers, dessen Fenster man an einem warmen, hel-
len Nachmittage dicht verhängte! Scheint es nicht
eine Fessel zu tragen, die gesprengt werden müßte?
Es ist, als hätte man ihm dadurch, daß man ihm den
Zugang zur Natur versperrte, seine Seele und damit
 
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