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INNEN-DEK ORATI ON
sommerhaus b. »elternschlafzimmer« möbel: kirschholz natur, ruhebank mit lichtgrünem bezug
FREUDE AM HEIM
Möbel sind Gebrauchsdinge; aber Gebrauch ist
nicht Selbstzweck, sondern zielt auf einen Rein-
ertrag des Wohnens an Lebensfreude. Freude! Da-
bei denken wir leicht an Lächelndes, Vergnügtes, an
erhöhte Augenblicke im nüchternen Dasein. Aber
Freude ist nichts Geringeres als unser Leben selbst.
So hat es Schiller in seinem Hymnus begriffen:
»Freude, Freude treibt die Räder / In der großen
Weltenuhr«. Freude ist Auftrieb, Spannkraft, sie ist
Zutrauen, Entfaltung; Freude ist die natürlichste
Äußerung des gesunden Lebens. Kurz, von Freude
sprechen, heißt vom Kerngeheimnis des Lebendigen
sprechen. Und dem, was hiernach Freude eigentlich
ist, steht die Wohnfreude näher als viele andre Arten
der Freude. Sie hat Dauer. Sie lebt nicht nach flüch-
tigen Momenten, sondern sie umgibt wie eine stille,
bleibende Atmosphäre.
Wohnfreude ist im Kern der Heimatfreude ver-
wandt. Nicht am Neuen, sondern am Alten, Ge-
wohnten belebt sie sich. »Man muß vielleicht«, schrieb
ein Mann aus der berufsmäßigen Unrast seines Er-
werbslebens heraus, »eine Reihe von Jahren ,aus dem
Koffer' gelebt haben, um zu verstehen, wie tief ein
Element unsrer Natur auf ein sich gleichbleibendes
Wohngehäuse angewiesen ist! Erfolg, täglicher Reiz
des Neuen, Machtgefühle, die man einheimst - man
kassiert das alles nur vorläufig ein und denkt zu dem
schönen Tag voraus, der endlich mit der Einkehr
ins Heim die Stunde der Verarbeitung bringt. Nie
habe ich deutlicher als nach der letzten halbjährigen
Tournee empfunden, daß der Mensch auf Bewußt-
sein angelegt ist, das heißt auf Herrschaft über die
Erlebnisse — und nie habe ich den Gedanken an die
zur Herrschaft verhelfende Besinnung trennen kön-
nen vom Bild unsrer Wohnstube am späten Nach-
mittag, wenn die Sonne vom Garten hereinscheint.
Gegen einen täglichen Wechsel der Umgebung
stumpft man merkwürdig schnell ab, aber in unsrer
Wohnstube könnte ich hundert Jahre leben, ohne
sie satt zu werden . . .« Wilhelm michel t
INNEN-DEK ORATI ON
sommerhaus b. »elternschlafzimmer« möbel: kirschholz natur, ruhebank mit lichtgrünem bezug
FREUDE AM HEIM
Möbel sind Gebrauchsdinge; aber Gebrauch ist
nicht Selbstzweck, sondern zielt auf einen Rein-
ertrag des Wohnens an Lebensfreude. Freude! Da-
bei denken wir leicht an Lächelndes, Vergnügtes, an
erhöhte Augenblicke im nüchternen Dasein. Aber
Freude ist nichts Geringeres als unser Leben selbst.
So hat es Schiller in seinem Hymnus begriffen:
»Freude, Freude treibt die Räder / In der großen
Weltenuhr«. Freude ist Auftrieb, Spannkraft, sie ist
Zutrauen, Entfaltung; Freude ist die natürlichste
Äußerung des gesunden Lebens. Kurz, von Freude
sprechen, heißt vom Kerngeheimnis des Lebendigen
sprechen. Und dem, was hiernach Freude eigentlich
ist, steht die Wohnfreude näher als viele andre Arten
der Freude. Sie hat Dauer. Sie lebt nicht nach flüch-
tigen Momenten, sondern sie umgibt wie eine stille,
bleibende Atmosphäre.
Wohnfreude ist im Kern der Heimatfreude ver-
wandt. Nicht am Neuen, sondern am Alten, Ge-
wohnten belebt sie sich. »Man muß vielleicht«, schrieb
ein Mann aus der berufsmäßigen Unrast seines Er-
werbslebens heraus, »eine Reihe von Jahren ,aus dem
Koffer' gelebt haben, um zu verstehen, wie tief ein
Element unsrer Natur auf ein sich gleichbleibendes
Wohngehäuse angewiesen ist! Erfolg, täglicher Reiz
des Neuen, Machtgefühle, die man einheimst - man
kassiert das alles nur vorläufig ein und denkt zu dem
schönen Tag voraus, der endlich mit der Einkehr
ins Heim die Stunde der Verarbeitung bringt. Nie
habe ich deutlicher als nach der letzten halbjährigen
Tournee empfunden, daß der Mensch auf Bewußt-
sein angelegt ist, das heißt auf Herrschaft über die
Erlebnisse — und nie habe ich den Gedanken an die
zur Herrschaft verhelfende Besinnung trennen kön-
nen vom Bild unsrer Wohnstube am späten Nach-
mittag, wenn die Sonne vom Garten hereinscheint.
Gegen einen täglichen Wechsel der Umgebung
stumpft man merkwürdig schnell ab, aber in unsrer
Wohnstube könnte ich hundert Jahre leben, ohne
sie satt zu werden . . .« Wilhelm michel t