GIOTTO IN ASSISI
benen Bildern verfolgen. Und eben dieses, sowie seine ganze feste Kompositionsweise, findet
sich in der Cappella dell'Arena und in S. Croce wieder.
Seine Gestalten sind wohlgebaut, bisweilen fast vierschrötig, der Körper füllt die Kleider
aus. Trotz seiner gänzlichen Unkenntnis der Anatomie hängen jedoch die Glieder in den
Gelenken gut zusammen, die Köpfe sitzen gut auf dem Halse wie dieser auf den Schultern.
Die Bewegungen sind wenige, einfach, klar und natürlich. Bei aller Knappheit treffen sie
genau den beabsichtigten Ausdruck. Durchgehend haben alle Gestalten große, fast breite,
Hände und Füße, gut gezeichnet, und sie treten fest und sicher auf den Boden. Ein paarmal
kommen nackte Füße vor, auffallend wohlgestaltet. Ausnahmen gibt es nur, wo man auch
sonst Mitwirkung der Werkstatt vermuten darf. Vasaris Behauptung, daß vor Masaccio
die Gestalten aller Maler auf den Fußspitzen stehen, trifft wenigstens bei Giotto nicht zu.
Er hält seine Gestalten gut und nicht steif um ihre Achse zusammen, vermeidet jede stark
hinausgreifende Bewegung, gewöhnlich auch den Körper kreuzende Querbewegungen; die
Gestalten neigen und beugen sich nie mehr als durchaus notwendig, drehen sich wenig,
bleiben als Regel ruhig an ihrem Platze. Gehende, geschweige laufende Gestalten gibt
es fast gar nicht. Sie haben sehr viel vom „Standbild" an sich. Die Kleiderfalten sind
wenige, groß und einfach, die senkrechten und die breit wogenden herrschen und haben
etwas Klassisches an sich. Querfalten gibt es nur wo Stellungen und Bewegungen das
nötig machen, und dann sind sie fest und plastisch, klar und bestimmt geschnitten
und gut zusammenhängend. Hierin ist etwas der Antike Verwandtes, wenn auch nicht
Entlehntes. Vielleicht haben ihm die Reliefs Niccolo Pisanos die Augen dafür geöffnet,
im übrigen ist seine Auffassung des figürlichen Rauminhaltes römischer Schule. Der
Kopf ist noch eiförmig, aber die Gesichtszüge sind darauf klar und einfach gebildet,
ohne Kleinlichkeit im einzelnen. Er formt nach der herkömmlichen — und noch lange
Zeit herrschenden — Auffassung, daß der Schatten das Positive ist, mit dem man
zeichnet, das Licht nur das Negative, wo kein Schatten ist, wie es ja mit der die
Lichter aussparenden Freskotechnik übereinstimmt. Ohne Verständnis für die positive
Natur des Lichtes ist auch von konsequentem Festhalten an einer bestimmten Be-
leuchtungsrichtung keine Rede; man hat gar keine Vorstellung davon, daß das Licht
überhaupt eine Richtung besitzt.
Giotto besitzt ein außerordentliches Talent, den Gesichtsausdruck durch ganz kleine
und einfache Nuancen zu treffen und er kennt Feinheiten und Varianten, die der früheren
Kunst noch verborgen waren. Beispiele: Der leidenschaftliche Zorn des Vaters in dem
„Väterlichen Fluch", die gebieterischen Mienen des Sultans, das kindlich Erzählende bei
Franciscus mit den Vögeln, die singenden Mönche in der „Weihnachtsmesse" — die erst
über 100 Jahre später bei van Eyck und della Robbia ihresgleichen finden — die Bescheiden-
heit mit der Franciscus den Papst Honorius anredet, die jugendliche Tatkraft bei dem die
Laterankirche stützenden Heiligen, der traumbewegte Schlaf des Innocenz. Überall wird
Ausdruck des Gemütes deutlich, Wille und Gefühl, nie ist etwas leer oder konventionell, son-
dern stets zutreffend, natürlich und voller Leben. Giotto braucht keine Wiederholungen,
keine stereotypen Mienen, alles wechselt so frisch und neu wie im Leben selbst. Im Byzan-
tinismus, besonders in den Mosaiken, war das Auge groß und der Ausdruck unbestimmt;
dadurch entstand der „mystische" Blick, der jedoch über eine abstrakte „Gefühlsstim-
mung" nicht hinausreicht. Bei Giotto ist das Auge klein und schmal, ohne Glanzlicht,
aber die Stellung des Augapfels verleiht ihm einen besonderen „konkreten", mit Mienen
und Bewegungen genau übereinstimmenden Ausdruck. Die Gestalten sind ruhig, aber voll
von deutlichem und organischem Leben. Nichts ist überflüssig, und man vermißt nichts.
Eben der intensive Ausdruck von Wille und Gefühl innerhalb der fest konzentrierten, gleich-
gewichtigen Haltung mit den sparsamen Bewegungen schafft das Bleibende und Bedeutende,
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benen Bildern verfolgen. Und eben dieses, sowie seine ganze feste Kompositionsweise, findet
sich in der Cappella dell'Arena und in S. Croce wieder.
Seine Gestalten sind wohlgebaut, bisweilen fast vierschrötig, der Körper füllt die Kleider
aus. Trotz seiner gänzlichen Unkenntnis der Anatomie hängen jedoch die Glieder in den
Gelenken gut zusammen, die Köpfe sitzen gut auf dem Halse wie dieser auf den Schultern.
Die Bewegungen sind wenige, einfach, klar und natürlich. Bei aller Knappheit treffen sie
genau den beabsichtigten Ausdruck. Durchgehend haben alle Gestalten große, fast breite,
Hände und Füße, gut gezeichnet, und sie treten fest und sicher auf den Boden. Ein paarmal
kommen nackte Füße vor, auffallend wohlgestaltet. Ausnahmen gibt es nur, wo man auch
sonst Mitwirkung der Werkstatt vermuten darf. Vasaris Behauptung, daß vor Masaccio
die Gestalten aller Maler auf den Fußspitzen stehen, trifft wenigstens bei Giotto nicht zu.
Er hält seine Gestalten gut und nicht steif um ihre Achse zusammen, vermeidet jede stark
hinausgreifende Bewegung, gewöhnlich auch den Körper kreuzende Querbewegungen; die
Gestalten neigen und beugen sich nie mehr als durchaus notwendig, drehen sich wenig,
bleiben als Regel ruhig an ihrem Platze. Gehende, geschweige laufende Gestalten gibt
es fast gar nicht. Sie haben sehr viel vom „Standbild" an sich. Die Kleiderfalten sind
wenige, groß und einfach, die senkrechten und die breit wogenden herrschen und haben
etwas Klassisches an sich. Querfalten gibt es nur wo Stellungen und Bewegungen das
nötig machen, und dann sind sie fest und plastisch, klar und bestimmt geschnitten
und gut zusammenhängend. Hierin ist etwas der Antike Verwandtes, wenn auch nicht
Entlehntes. Vielleicht haben ihm die Reliefs Niccolo Pisanos die Augen dafür geöffnet,
im übrigen ist seine Auffassung des figürlichen Rauminhaltes römischer Schule. Der
Kopf ist noch eiförmig, aber die Gesichtszüge sind darauf klar und einfach gebildet,
ohne Kleinlichkeit im einzelnen. Er formt nach der herkömmlichen — und noch lange
Zeit herrschenden — Auffassung, daß der Schatten das Positive ist, mit dem man
zeichnet, das Licht nur das Negative, wo kein Schatten ist, wie es ja mit der die
Lichter aussparenden Freskotechnik übereinstimmt. Ohne Verständnis für die positive
Natur des Lichtes ist auch von konsequentem Festhalten an einer bestimmten Be-
leuchtungsrichtung keine Rede; man hat gar keine Vorstellung davon, daß das Licht
überhaupt eine Richtung besitzt.
Giotto besitzt ein außerordentliches Talent, den Gesichtsausdruck durch ganz kleine
und einfache Nuancen zu treffen und er kennt Feinheiten und Varianten, die der früheren
Kunst noch verborgen waren. Beispiele: Der leidenschaftliche Zorn des Vaters in dem
„Väterlichen Fluch", die gebieterischen Mienen des Sultans, das kindlich Erzählende bei
Franciscus mit den Vögeln, die singenden Mönche in der „Weihnachtsmesse" — die erst
über 100 Jahre später bei van Eyck und della Robbia ihresgleichen finden — die Bescheiden-
heit mit der Franciscus den Papst Honorius anredet, die jugendliche Tatkraft bei dem die
Laterankirche stützenden Heiligen, der traumbewegte Schlaf des Innocenz. Überall wird
Ausdruck des Gemütes deutlich, Wille und Gefühl, nie ist etwas leer oder konventionell, son-
dern stets zutreffend, natürlich und voller Leben. Giotto braucht keine Wiederholungen,
keine stereotypen Mienen, alles wechselt so frisch und neu wie im Leben selbst. Im Byzan-
tinismus, besonders in den Mosaiken, war das Auge groß und der Ausdruck unbestimmt;
dadurch entstand der „mystische" Blick, der jedoch über eine abstrakte „Gefühlsstim-
mung" nicht hinausreicht. Bei Giotto ist das Auge klein und schmal, ohne Glanzlicht,
aber die Stellung des Augapfels verleiht ihm einen besonderen „konkreten", mit Mienen
und Bewegungen genau übereinstimmenden Ausdruck. Die Gestalten sind ruhig, aber voll
von deutlichem und organischem Leben. Nichts ist überflüssig, und man vermißt nichts.
Eben der intensive Ausdruck von Wille und Gefühl innerhalb der fest konzentrierten, gleich-
gewichtigen Haltung mit den sparsamen Bewegungen schafft das Bleibende und Bedeutende,
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