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Permoser-Studien

Von E. Tietze-Conrat

i.

Es ist in Lexikonartikeln, Notizen und Abhandlungen älteren Datums die stilistische
Charakterisierung eines Bildhauers des XVII. oder XVIII. Jhs. zumeist mit dem Hinweis
erschöpft, daß er ganz unter dem Einfluß Berninis stand beziehungsweise sich ganz von dem
Einfluß Berninis frei hielt. Solange mit diesen Worten nichts anderes als eine schnelle
Orientierung über die Richtung des fraglichen Künstlers gegeben sein will, mögen sie
ihren Zweck erfüllen. Wenn aber eine Stilableitung in ihnen beschlossen ist, wird sich
die Skepsis mit ihnen befassen müssen. Denn so unerschöpflich reichhaltig, so keimtragend
für die ganze Folgezeit Berninis Kunst war, so ist sie doch nur für einen ganz kleinen
Kreis seiner abhängigsten Umgebung in der Art beeinflussend gewesen, wie etwa die Kunst
Lionardos auf die mailändische Produktion. Denn eben das Keimtragende in ihr hat zu
ihrer schnellen und völligen Resorption geführt; das aus Berninis Befruchtung geborene
Werk hat ein Enkelwerk hervorgewirkt, dessen Keimkraft ungemindert eingekapselt blieb
und so weiter eine ganze Kette eines klar sich fortentwickelnden Stiles gefügt, dessen weite
Verbreitung und Kontinuität an das organisch Gewachsene des gotischen Zeitstils erinnert,
in dem auch die motorisch dahinter stehende Persönlichkeit verschwindet. Wenn trotzdem
der Zusammenhang mit Bernini an nachgeschaffenen Werken bisweilen auffälliger wird,
so liegt das an der konzisen kompositionellen Abstraktion, die sich mühelos aus jedem
seiner Werke ableiten läßt. So rasch die formale Seite seines Schaffens aufgesogen wurde,
so eigenlebig bleiben daneben die kompositionellen Typen, die er geschaffen hat, als
Lösungen bestehen, an denen sich jeder, der in ihren Bannkreis tritt, versuchen muß. Und
erst langsam im Lauf des XVIII. Jhs. sehen wir die neuen formalen Probleme auch an
diesen fertigen Typen rütteln, sehen die festgefügte Form des Papstgrabes, des freien und
des Wandbrunnens, des Herrscherdenkmals und der Kardinalsbüste erschüttert, in Einzel-
elemente auseinandergelegt und dann zum neuen kompositionellen Komplex zusammen-
gesetzt. So wird Permosers Abhängigkeit von Bernini, von der abstrakten kompositionellen
Idee, von dem in präziser. Lösung auseinandergesetzten Thema deutlich, wenn er auch das
verzerrte Antlitz der verzweifelten Seele bildet1). Die formale Abhängigkeit Permosers
aber, den man als engen Nachfolger Berninesker Kunst erkennen will, stellt sich als ein
Produkt des allgemeinen lebendigen Zeitstils dar, dessen letzte Quelle nur Bernini ist.

Es soll hier keine andere neue Ableitung des Permoserschen Stils versucht werden;
nur die eigenartige Ubereinstimmung, die zwei kompositionell zusammengehörige Arbeiten

*) Permoser-Studien von Hans Beschorner, Dresden, damnata in Rom, Palazzo di Spagna, abgebildet bei Stanislao
1913, Abbildung nach S. 88. — Ygl. dazu Berninis L’Anima Fraschetti, H. Bernini, Milano 1900, nach S. 16.

Jahrbuch des kunsthist. Instituts der k. k. Z. K. für Denkmalpflege IQ14

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