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H. Fot.nesics Studien zur Entwicklungsgeschiclite der Architektur und Plastik des XV. Jhs. in Dalraatien
In g-leich gewagter Weise ist auch die Bedachung gebildet. Ganz analog den Phialen,
die er sonst über seine Baldachine setzt, führt er hier eine mächtige Pyramide auf, mit
Krabben an den Kanten, mit vorgestellten Giebeln in der Art, wie wir sie oben bespro-
chen, und Phialen dazwischen, und belcrönt die Spitzen mit komplizierten Kreuzblumen.
So sehen wir, daß Giorgio in der wuchtigen Gliederung der Massen und in der Kühn-
heit der Komposition weit über sein Vorbild, die Porta della Carta, hinausgeht. Wenn früher
die Betonung des Konstruktiven für die Gotik charakteristisch war, so ist hier der Ak-
zent auf das Dekorative gelegt. Es ist nicht mehr „dekoratives Beiwerlc“, es ist zur
„dekorativen Hauptsache“ geworden. Damit hat die Entwicklung der venezianischen Gotik
ihren Abschluß erreicht, die Gotik ist ein rein malerischer Stil geworden, sie ist aber damit
zugleich an einem Endpunkte angelangt, das Kunstwerk war an der Grenze zum Kunst-
stück zu werden, ein Weiterschreiten in diesem Sinne war nicht mehr möglich, Giorgio
wäre der letzte Vertreter dieser
Richtung' g'ewesen, auch wenn sich
nicht jenseits des Apennin das Ri-
nascimento ereignet liätte.
Bei der Betrachtung der Sta-
tuen der vier Kardinaltugenden
an der Loggia dei Mercanti er-
kennen wir, daß sie mit einer ein-
zigen Ausnahme etwas variierte
und entschieden zurückgebliebenere
Nachbildungen der gleichen Fi-
guren an der Porta della Carta
bedeuten (Fig. 66). Die geringe
Qualität dieser Figuren erklärt sich
aus den Angaben eines Kontrak-
tes119), der den Andrea Alexi als
Autor dieser Figuren bezeichnet120).
Es heißt dort, das Alexi, wir werden
diesen geringen Künstler später
noch kennen lernen, die von Gior-
g-io im Rohen zubehauenen („di-
grossatas“) Figuren fertigstellen
solle. Das erklärt, warum wir z. B.
Fig. 66 Die „Temperantia“ uncl „Fortitudo“ von der Porta della Carta. a11 dem Standbilde der HoffllUng
Nach Ongania-Naya (Fig. 67) ein prächtig durchgebil-
detes Standmotiv — darin geht die
Statue entschieden über ihre Vorbilder an der Porta della Carta liitiaus — und ein meister-
haft drapiertes Gewand finden, während Kopfhaltung und Gesichtsausdruck auffallend un-
3. Uie Skulpturen an diesen
beiden Fassaden
1,9t Mole Nr. 98. tariatsaktes auf die in Rede stehenden Figuren vgl. Frey
12°) Für die zvveifellos richtige Beziehung dieses No- S. 90.
H. Fot.nesics Studien zur Entwicklungsgeschiclite der Architektur und Plastik des XV. Jhs. in Dalraatien
In g-leich gewagter Weise ist auch die Bedachung gebildet. Ganz analog den Phialen,
die er sonst über seine Baldachine setzt, führt er hier eine mächtige Pyramide auf, mit
Krabben an den Kanten, mit vorgestellten Giebeln in der Art, wie wir sie oben bespro-
chen, und Phialen dazwischen, und belcrönt die Spitzen mit komplizierten Kreuzblumen.
So sehen wir, daß Giorgio in der wuchtigen Gliederung der Massen und in der Kühn-
heit der Komposition weit über sein Vorbild, die Porta della Carta, hinausgeht. Wenn früher
die Betonung des Konstruktiven für die Gotik charakteristisch war, so ist hier der Ak-
zent auf das Dekorative gelegt. Es ist nicht mehr „dekoratives Beiwerlc“, es ist zur
„dekorativen Hauptsache“ geworden. Damit hat die Entwicklung der venezianischen Gotik
ihren Abschluß erreicht, die Gotik ist ein rein malerischer Stil geworden, sie ist aber damit
zugleich an einem Endpunkte angelangt, das Kunstwerk war an der Grenze zum Kunst-
stück zu werden, ein Weiterschreiten in diesem Sinne war nicht mehr möglich, Giorgio
wäre der letzte Vertreter dieser
Richtung' g'ewesen, auch wenn sich
nicht jenseits des Apennin das Ri-
nascimento ereignet liätte.
Bei der Betrachtung der Sta-
tuen der vier Kardinaltugenden
an der Loggia dei Mercanti er-
kennen wir, daß sie mit einer ein-
zigen Ausnahme etwas variierte
und entschieden zurückgebliebenere
Nachbildungen der gleichen Fi-
guren an der Porta della Carta
bedeuten (Fig. 66). Die geringe
Qualität dieser Figuren erklärt sich
aus den Angaben eines Kontrak-
tes119), der den Andrea Alexi als
Autor dieser Figuren bezeichnet120).
Es heißt dort, das Alexi, wir werden
diesen geringen Künstler später
noch kennen lernen, die von Gior-
g-io im Rohen zubehauenen („di-
grossatas“) Figuren fertigstellen
solle. Das erklärt, warum wir z. B.
Fig. 66 Die „Temperantia“ uncl „Fortitudo“ von der Porta della Carta. a11 dem Standbilde der HoffllUng
Nach Ongania-Naya (Fig. 67) ein prächtig durchgebil-
detes Standmotiv — darin geht die
Statue entschieden über ihre Vorbilder an der Porta della Carta liitiaus — und ein meister-
haft drapiertes Gewand finden, während Kopfhaltung und Gesichtsausdruck auffallend un-
3. Uie Skulpturen an diesen
beiden Fassaden
1,9t Mole Nr. 98. tariatsaktes auf die in Rede stehenden Figuren vgl. Frey
12°) Für die zvveifellos richtige Beziehung dieses No- S. 90.