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H. For.NESiCS Studien zur Entwicklungsgeschichte der Architektur und Plastik des XV. Jhs. in Dalmatien 83

geschickt und ausdruckslos sind. Bei der weiblichen Figur links unten am Portal von
S. Francesco macht sich das Streben bemerkbar, ihr durch Beugfen des rechten Knies und
eine gegensätzliche Haltung der Hände sowie Neigen des Kopf'es nach rechts eine größere
Bewegtheit zu verleihen. Dieses Stellungsmotivist unsschon
von der Madonna am Tabernakel in Spalato lier bekannt.

Diese selbe Tendenz tritt
uns in gesteigertem Maße
bei der Statue der vierten
Kardinaltugend, der Caritas,
an der Loggia entgegen, die
zugleich der erste weibliche
Akt im venezianischen Kunst-
kreise ist (Fig. 68). Der An-
blick ist so überraschend, die
Formen erscheinen so fort-
geschritten, daß der erste
Eindruck gewiß der ist, die
Statue müsse einer späteren
Zeit angehören. Wenn wir
aber den Putto, der sich an
ihrem rechten Arm hinauf-
zieht, mit dem schon einmal
erwähnten vergleichen, der
links an den Krabben der
Porta della Carta empor-

klimmt, wenn wir ferner erwägen, daß Giorgio in dieser Figur dieselbe Haltung variiert,
die wir soeben an der freilich bekleideten Figur von S. PTancesco besprochen haben
- wir werden noch eine ganz ähnliche Gestalt später an dem Portal von S. Agostino
kennen lernen —, sehen wir uns wohl genötigt, auch diese Statue unserem Meister zu-
zuschreiben. Auch die beiden merkwürdigen Falten, die in den rechten Schenkel ein-
schneiden, sind eine Unbeholfenheit, die für eine so frühe Entstehungszeit spricht. Aber
die edle Bildung des Kopfes, die weiche Durchbildung' des Körpers sind gewiß das
Beste, was Giorgio plastisch jemals geschaffen hat. Wenn man bedenkt, daß die be-
rühmte Eva Rizzis am Arco Foscari im Hofe des Dogenpalastes erst um etwa zwanzig
Jahre später entstanden ist, wird man zugeben, daß Giorgio hier ein Werk geschaffen hat,
das sich höchstens mit der Caritas Jacopo’s della Quercia an der Fonte gaia zu Siena ver-
gleichen läßt.

Aber nicht nur die Durchbildung des weiblichen Aktes ist hier das Neue, sondern auch
wie Giorgio aus der mütterlichen Frau und den fünf Putten, die sich um sie zu schaffen
machen, eine fest geschlossene Gruppe zu bilden weiß. Gewiß keine klassische Gruppe im
Sinne Hildebrands. Das Bestreben, den Block zu überwinden und auch die architektonischen
Begrenzungslinien zu überschreiten — z. B. der kletternde Putto rechts — tritt nirgend
stärker hervor wie hier. Auch darin begegnet sich Giorgio mit den Bestrebungen Jacopo’s
della Quercia. Dies darf freilich nicht so verstanden werden, als ob Giorgio in irgend einem
Abhängigkeitsverhältnis zu Jacopo gestanden wäre, er braucht auch nie in Siena gewesen

Fig. 67 Die „Hoffnung“

von der Loggia dei Mercanti.

Fig. 68 Die „Caritas“
Details zu Fig. 64
 
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