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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 15.1894

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Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Elfenbeinsättel des ausgehenden Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.5906#0293
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2Ö2

Julius von Schlosser.

richtig ergänzte Inschrift: nn)l cö n,ot ljd) l)clf ötr (ttits bcr not). Die linke Schnecke trägt innen das deutsche
Reichswappen, von zwei Engeln gehalten, mit dem älteren noch einköpfigen Adler, der auch in der
Wenzelsbibel so häufig vorkommt. Die rechte Schnecke, die wahrscheinlich auch ein Wappen zeigte,
ist leider abgebrochen. In dem Räume zwischen den beiden Schnecken, der also auf den Bug des
Pferdes zu liegen kam, ist noch ein verstecktes Symbol angebracht, ein gothisches Minuskel-c, aus
einem Herzen spriessend, derselbe Buchstabe, der uns in so bedeutsamer Weise in den Handschriften
Wenzel I. entgegentritt und hier in populärer, leicht verständlicher Liebessymbolik verwendet ist
(Fig. 2).

Die beiden Hinterzwiebeln des Sitzes zeigen, wie schon erwähnt, je ein Liebespaar. Viel merk-
würdiger sind die Rücktheile des Sattels. Sie zerfallen in je zwei, durch Ranken, die einigermassen an
die böhmischen Handschriften erinnern, geschiedene Streifen. Die beiden inneren enthalten in vegeta-
bilischem Geschlinge Thiergestalten, die uns aus den mittelalterlichen Physiologusbüchern bekannt
sind: die Nachteule, den aus den Flammen steigenden Phönix, das Einhorn (mit einem Schleier am
Hörne), den Löwen, der seine neugeborenen Jungen anbläst, und den Pelikan, seine Jungen mit dem
eigenen Blute nährend. Krauser und phantastischer geht es in den äusseren Streifen zu. Hier sehen

wir an der linken Seite zunächst eine weibliche Figur, welche, die rechte
Hand erhebend, zu einem baumartigen Gebilde, für welches ich keine
Erklärung weiss, aufblickt; darunter einen Löwen, der ein vierfüssiges
Thier verfolgt; dann eine uns anderweitig wohlbekannte Badescene, einen
sitzenden nackten Mann,% der in der Rechten den Badequast oder Wadel
hält, mit der Linken wahrscheinlich einen Ring (gebrochen) emporhält;
vor ihm steht, ebenfalls völlig nackt, die Baderin, mit dem Blätterquast
die Scham deckend und den Kübel haltend. Dann folgt als komisches
Gegenstück die Liebeswerbung eines Affen, welcher der neben ihm sitzen-

FlS- 3- den Aeffin gleichfalls einen Ring anbietet. Hierauf eine offenbar zu-

Sircne vom Sattel Wenzel I. ,.. ... mjaj r>

sammengehonge Gruppe: ein behaarter wilder Mann, mit Baumstamm

und Keule gegen zwei phantastische Thiere, von denen das abgewendete
wenigstens deutlich als Basilisk gekennzeichnet ist, vorgehend; hinter ihm eine langbekleidete Frauen-
gestalt mit thyrsosartigem Stab und Apfel (?), wohl seine Gefährtin, das Waldfräulein.

Die linke Seite zeigt oben eine Sirene in der mittelalterlichen Gestalt, mit Fischschwanz (Fig. 3);
darunter einen Mann, der einen Basilisken auf die im altfranzösischen Physiologus erzählte Weise zu
tödten scheint.1 Es folgt ein Mann, der ein phantastisches zweibeiniges Ungeheuer ersticht; ein Affe in
charakteristischer Stellung; endlich eine Frau, die zwei drachenartige Thiere, das eine am Schwänze,
in den es sich ingrimmig beisst, das andere am Halse gefesselt hält.

Diese beiden äusseren Streifen werden von dem schon erwähnten Rankenmuster eingefasst. Die
Mitte desselben zeigt rechts zwei verschlungene Drachen, links einen kleinen, von zwei Händen ge-
haltenen, durch zwei Balken quergetheilten Wappenschild (von dem Restaurator an der Schnecke
wiederholt), dem ich aber keine historische Bedeutung zuschreiben möchte; ich bin geneigt, ihn blos
als Ornament aufzufassen.

Die Haare der Figuren sind durchwegs vergoldet. Die Tracht, namentlich die langen gegürteten
Röcke der Männer mit den weiten Aermeln und die perrückenartig abstehende Haartracht (beides be-
sonders charakteristisch bei der untersten Figur des inneren Streifens auf dem Vorderstege), ist dem
ausgehenden XIV. Jahrhunderte eigenthümlich.

i Cahier et Martin, Melanges d'arche'ologie, Paris 1851, vol. II, p. 214: Quer il (le basile-coc) est de tel nature se
hom le pcust veir avant que il veit l'ome, que il en morait; et se il voit l'ommc ancois, il en covient l'ome morir. Und
weiter: Qui ceste beste voldroit tuer, il Ii covenroit avoir i clcr vaisel (vase) de cristal ou de voire (verre) par coi il peust
veir la beste parmi la clarte; quer quant il aroit la teste el voire ou el cristal, que il ne peust celui aperchoivre que
dedans seroit, et que Ii regars de la beste aretast al cristal ou al voire: que la beste a tel nature quans ele gete son venins
par les ex (yeux), et s'il arreste encontre alcune cose, qu'il ressorst sor lui ariere; et si Ten covient morir.
 
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