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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 25.1905

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I. Theil: Abhandlungen
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Suida, Wilhelm: Die Jugendwerke des Bartolommeo Suardi genannt Bramantino
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https://doi.org/10.11588/diglit.5915#0009
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4

Wilhelm Suida.

müde, das Fresko der Pietä über dem Portale von S. Sepolcro zu rühmen. Letzteres, das er, wie auch
andere Werke, der außerordentlichen Kunst der Perspektive wegen bewunderte, hatte er selbst für
König Philipp II. von Spanien kopiert; desgleichen ein Gemälde der Lukretia, die sich den Dolch in
die Brust stößt.1

Besonders müssen wir aber dem Lomazzo Dank zollen für die, wie es scheint, wortgetreue
Wiedergabe eines Teiles von Bramantinos verloren gegangenem Traktate über die Perspektive, von
dem im Folgenden noch die Rede sein wird.

Ohne Lomazzos Angaben in allen Stücken Glauben zu schenken, müssen wir doch gerechterweise
behaupten, daß es im wesentlichen eine Uberschätzung von Vasaris Autorität und eine Unterschätzung
Lomazzos war, die zu der großen, bis heute noch herrschenden Verwirrung in betreff Bramantes und
Bramantinos geführt hat.

Wenig später als Lomazzos Werke erschien P. Morriggias «La Nobiltä di Milano»,2 ein Buch,
in dem «Bartolommeo detto Bramantino» sowohl unter den Malern als auch unter den Architekten
Mailands an erster Stelle genannt wird, und zwar ganz richtig als Schüler Bramantes von Urbino, als
Maler der Pietä von S. Sepolcro und als Verfasser eines Traktates über die Perspektive.

4. Nachrichten bei den Kunstschriftstellern des XVII. Jahrhunderts.

Im XVII. Jahrhundert ist nur der Mailänder Carlo Torre3 über die Persönlichkeit Bramantinos
noch gut unterrichtet. Beruhen auch manche seiner Angaben und Zuschreibungen auf eigener, ganz
unzuverlässiger Stilkritik (wir können ihn in vielen Fällen noch kontrollieren), so herrscht doch
in seinem «Ritratto di Milano» über die Zeit der Wirksamkeit Bramantinos und dessen Kunstart im
allgemeinen kein Zweifel. Er wird Schüler und Gehilfe Bramantes genannt, der in der Architektur
als Erbauer von S. Maria presso S. Celso, des Monastero Maggiore und des Klosters bei S. Simpliciano
sich betätigt, gemalte perspektivische Scheinarchitekturen im Klosterhofe von S. Sigismondo ange-
bracht, als Maler aber die vier Evangelisten an der Kuppel in S. Satiro, ein Fresko der Madonna mit
Engeln in der ersten Kapelle rechts in Santa Eufemia, eine Darstellung der Himmelfahrt Mariae an
der Fassade eines Hauses in der Via di Brera sowie das Fresko in der Lunette über dem einzigen
Portal des Colleggio di Brera ausgeführt habe. Die Lobeserhebungen für die Pietä von S. Sepolcro
zu vermehren unterläßt Torre unter Hinweis auf Vasari und Lomazzo, das Fresko einer Verkündi-
gung an der Fassade des gegenüber der Kirche S. Maria presso S. Celso gelegenen Ospedale di
S. Celso, welches bald darauf zugrunde ging, hat er noch gekannt.

Von Tafelbildern werden dem Bramantino zugeschrieben: das Altarwerk mit dem heil. Michael
und Ambrosius in S. Michele (heute in der Ambrosiana), die Kreuzigung in Sant'Angelo und die Auf-
erstehung Christi mit den Heiligen Liberata und Lionardo in der Kirche Santa Liberata (das herrliche,
heute im Museum zu Berlin unter Lionardo da Vincis Namen aufgestellte Gemälde).

Im Vergleiche zu dem, was Torre mit Fleiß gesammelt hatte, erscheinen die Nachrichten der
anderen Schriftsteller des XVII. Jahrhunderts dürftig und bringen uns wenig Neues. Sehr wohltuend
wirkt allerdings noch die Klarheit, mit der Bramantes und Bramantinos Person und Kunstart ge-
schieden und charakterisiert werden. So von Francesco Scanelli,4 der Bramantino, den Schüler Bra-
mantes, als in der allgemeinen Entwicklung dem Meister gegenüber vorgeschritten, an Kraft und
Schärfe der Zeichnung ihm aber nicht ebenbürtig bezeichnet, eine ganz richtige Beobachtung. Von
Werken Bramantinos werden die Verkündigung gegenüber S. Celso, die Geburt Christi im Hofe der

1 Auf die Erwähnung dieses Gemäldes in einem an Stresi gerichteten Gedichte hatte Herr Dr. Gronau die Güte,
mich aufmerksam zu machen; vgl. Rime di G. P. Lomazzo divise in sette Hbri, in Milano 1587. Das Gemälde selbst
befindet sich heute im Besitze des Conte Sola-Busca in Mailand. Doch darüber im Folgenden mehr.

2 Milano 1595.

3 II ritratto di Milano, 1674.

4 II Microcosmo della pittura, Cesena 1657.
 
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