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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 36.1923-1925

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Escher, Conrad: Die "deutsche Prachtbibel" der Wiener Nationalbibliothek und ihre Stellung in der Basler Miniaturmalerei des XV. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.6171#0101
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Die «deutsche Prachtbibel» der Wiener Nationalbibliothek.

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macht der Natur gewisse Zugeständnisse, aber nicht ohne sie bis zu einem gewissen Grade
dem alten Stil zu unterwerfen. Maler C gibt deutlich zu verstehen, daß jene alte Ornamentik
abgedankt sei und daß die Reihe an der unstilisierten Natur ist; in seinen Randdekorationen
blühen Heckenrosen und Zyklamen, Wicken, Anemonen, Nelken und Akelei; Erdbeerranken
und Rebenschosse tragen ihre Früchte. Nur zur ornamentalen Belebung, nur zum Zeichen, daß er
über einen unerschöpflichen Reichtum verfügt, bequemt sich Maler C zur Kopie der altmodis
sehen Vullenhoranken und zur Übernahme von Motiven aus französischen Handschriften, ja
sogar zur Anbringung von Formen, die die Basler Miniaturmalerei seit der Entstehungszeit des
«Boner» anscheinend nicht mehr verwendet hatte. Alles Feine und Zierliche gelingt dem Maler C;
aber bei allem Großförmigen, wie Vullenhoranken, Eichenlaub und Palmblättern, versagt er. Auch
dieses Schöpfen aus der Natur und die Freude, ihre Gebilde nicht einem althergebrachten Stil*
gesetze zu unterwerfen sondern sie gelegentlich ihrem eigenen Charakter gemäß stilistisch ums
zubilden, teilt er mit seinem großen Vorbild (Lehrs 239). Er verwendet auch die Zyklamen,
die Lehrs als Argument für die schweizerische Herkunft des Meisters E. S. heranzieht.

Schließlich bleibt noch ein einzelnes Motiv übrig, das die Miniaturen des Malers C mit
der Basler Miniaturmalerei verknüpft. Die Blättchen der Randdekoration zur Matfhäusslnitiale
(Band II, fol. 144v0) sind flammenartig geformt, in Rosa, Gold und Grün bemalt und mit
violetten Beeren kombiniert; sie erscheinen analog in einem Basler Druck der Basler
Universitätsbibliothek (Inc. 595): Bonifacii VIII. liber VI. decretalium. Michael Wenssler 1477.1

In den Randdekorationen der Prachtbibel des Mathis Eberler, soweit sie von den Malern B
und C stammen, feiert die im dritten Band der Vullenhobibel (1445) so herrlich ausgebildete
Blattrankenornamentik mit ihren Schossen, Goldpollen usf. ihre Nachblüte, bevor sie in der
sogenannten Karthäusergruppe in handwerkliche Mache verfällt. Schritt für Schritt läßt sich die
Aufnahme und Ausbreitung naturalistischer Motive in der Basler Miniaturmalerei seit 1440
verfolgen; die Randdekorationen von Maler C garantieren dem Naturalismus die Gleichbes
rechtigung neben den alten stilisierten Formen. Die Bemalung zeigt den entsprechenden Über«
gang von der mittelalterlichen Koordination der Lokalfarben zu moderner Über- und Unters
Ordnung; zum erstenmal macht sie sich im Missale der Margaretha Brand geltend. Der Figurens
stil, der sich mit Hilfe von Anregungen, die von Konrad Witz ausgingen, mühsam aus den
alten Formeln losrang, gerät um 1460 immer stärker unter den Einfluß des bedeutendsten
Nachfolgers jenes großen Malers, unter den des Goldschmieds und Kupferstechers E. S.; die
drei Meister, die am Schmuck der Eberlerbibel tätig waren, zeigen ihn jeder auf seine Weise,
am stärksten Maler C, weil er anscheinend ganze Figuren mit wenig Änderungen kopierte.
Die Ornamentik, die gegen 1420, aber auch 1440 noch so stark von französischen Elementen
zehrte,2 schwindet mehr und mehr; je mehr sich das künstlerische Schwergewicht aus dem
burgundischen Stammland schrittweise nach Norden, d. h. in die Niederlande, verlegt, desto
mehr gewinnt die oberdeutsche Kunst an Raum; die Eberlerbibel hat bei vorwiegend ober*
rheinischem, deutschem Charakter, die letzten Reste französischer Ornamentik auf Basler Boden
gesammelt. Die Landschaften des Malers B zeigen den malerischen Charakter der «ober*
rheinischen» Schule, aus der ja Konrad Witz hervorgegangen ist, aber in der Kompositionss
weise von dessen Schule. Im Figürlichen trägt die Eberlerbibel in so ausgeprägter Weise den
Stilcharakter des Meisters E. S., wie innerhalb der Basler Malerei nachweisbar nur das Titels
bild der Matrikel und der ehemalige Totentanz des Predigerklosters.3 Die Ausführungen, die

1 K. Escher, Die illuminierten Handschriften der Kantonsschulbibliothek in Pruntrut: Anzeiger für Schweizeris
sehe Altertumskunde, N. F. XIX. (1917), S. 43 ff.

2 1901 bezweifelte Daniel Burckhardt den französischsburgundischen Einfluß auf die Basler Malerei; der
erste Band der Vullenhobibel schien ihm vereinzelt dazustehen (Festschrift zur Erinnerung an Basels Eintritt in den
Bund der Eidgenossen 1501, S. 276). Heute steht fest, daß sich dieser Einfluß im Bezug auf das Figürliche allers
dings auf jenen ersten Band der Vullenhobibel beschränkte, daß er aber in der Randdekoration vieler anderer
Basler Handschriften ein sehr ausgedehnter war.

3 Über die Datierung dieses hochbedeutenden Werkes vergl. Th. BurckhardtsBiedermann, Nochmals die
Basler Totentänze: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde X, S. 197 ff. — Schon früher hat Daniel

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