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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 36.1923-1925

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Escher, Conrad: Die "deutsche Prachtbibel" der Wiener Nationalbibliothek und ihre Stellung in der Basler Miniaturmalerei des XV. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.6171#0102
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Konrad Escher.

Lehrs dem Einfluß des Meisters E. S. gewidmet hat, finden in der Eberlerbibel und jenen
Werken der Basler Miniaturmalerei, die um 1460 zu datieren sind, ihre volle Bestätigung.1
Eine so reiche Fülle von Werken verwandten Stilcharakters drängt die Frage nach dem
Atelier und den Meistern, die daran Anteil hatten, auf.2 Allein man ist zur Stunde über die
Art der Basler Ateliers so wenig unterrichtet, daß jeder Versuch, jene Fragen zu lösen, als
gewagt erscheinen muß. Ein Umstand aber gibt zu denken. Die meisten einschlägigen Werke
stammen aus der Karthause; jene Gruppe, die den Verfall der Vullenhogruppe bedeutet, konnte
auf Grund der Herkunftsindizien als Karthäusergruppe bezeichnet werden. Auf einem der
Gradualblätter ist ein jagender Karthäusermönch dargestellt; bei ihm steht der Name «Petrus
de Vene». Er kann kaum anders denn als Künstlersignatur gedeutet werden und die lateinische
Form läßt eher auf einen Geistlichen als auf einen Laien schließen. Ist also auch die Vullenho*
gruppe, die einen geschlossenen Stilcharakter darstellt, in der Karthause zu lokalisieren? Es
sprechen Gründe dafür und solche dagegen. Verfasser vertritt hier wie in seinem Werk über
die Basler Miniaturen die Ansicht, die Vullenhogruppe sei vielmehr das Werk eines städtischen
mit Musterbüchern arbeitenden Ateliers,3 in das gegen 1460 mit aller Macht der Stil des
Meisters E. S. eindrang, der sehr wahrscheinlich in Basel sein Atelier hatte; diesem Einfluß
unterstanden viele bedeutende Werke der Basler Malerei. Die Parallele zu dem Doppel*
charakter der Eberlerbibel bietet in der Universitätsmatrikel das völlig im Stil der Vullenho»
gruppe, also wohl von der Hand eines konservativen Gliedes dieses Ateliers gemalte Wappen
des Chorherren und Rektors Kaspar ze Ryn. Man wird wohl so weit gehen dürfen, die
Eberlerbibel als im Atelier des Meisters E. S. entstanden zu denken und die Vullenhoranken
so zu erklären, daß sie Meister B als Erbe einer älteren Schule bei seinem Eintritt in die
Werkstätte des E. S. mit hinübernahm. Vielleicht sind weitere Funde dazu angetan, diese An-
sieht zu bestätigen.

Die Prachtbibel des Mathis Eberler kann also nach den vorangegangenen Ausführungen
nicht die Bedeutung eines bahnbrechenden Werkes beanspruchen. Aber sie bildet heute, selbst
in Vergleich mit der Matrikel, das vielseitigste und interessanteste Erzeugnis der lokal basleri*
sehen Miniaturmalerei aus der reifen Spätgotik. Von den Künstlern, unter die sich der Bilder*
schmuck aufteilen läßt, war keiner eine selbständige Persönlichkeit und zwei von ihnen waren
ausgesprochene Handwerker, die in Raumanschauung und Linearperspektive nicht auf der
Höhe ihrer Zeit standen. Ihr Gesamtwerk jedoch darf in der Geschichte der oberrheinischen
Kunst im XV. Jahrhundert seine Stelle beanspruchen, denn in ihm verknüpfen sich die wich»
tigsten Strömungen. In den Ausläufern der von Frankreich aus genährten höfischen Kunst
zeigt sich der Einschlag der bedeutendsten Künstlerpersönlichkeit des zweiten Viertels: des
Konrad Witz. Aber viel entscheidender spricht schon, trotz handwerklicher Verkümmerung,
der Stil seines Nachfolgers, der die zweite selbständige Periode deutscher Spätgotik und damit
ihre Blütezeit einleitet.

Burckhardt (Studien zur Geschichte der altoberrheinischen Malerei: Jahrbuch der kgl. preußischen Kunstsamm;
hingen XXVII, 183) richtig bemerkt, daß der «Große Tod» in Basel im Stil des Meisters E. S. gemalt sei.

1 Lehrs, a. a. O., S. 8 ff. und S. 15, 26.

2 Allgemeines bei R. Wackernagel, Geschichte der Stadt Basel II 2, S. 539. — Die bekannten Einzeltatsachen
zusammengestellt ebenda II 1, S.471f. — und Anm. zu II 2, S. 539. Beitrage zur vaterländischen Geschichte XII, S. 7.

3 Über solche Musterbücher aus älterer Zeit vergl. J. v. Schlosser, Zur Kenntnis der künstlerischen Übers
lieferung im späten Mittelalter: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des a. h. Kaiserhauses XXIII (1902),
S. 314 ff.
 
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