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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 10.1895

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Curtius, Ernst: Fragmente einer polychromen Lekythos im Berliner Museum
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https://doi.org/10.11588/diglit.39190#0116
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Curtius, Fragmente einer polychromen Lekythos im

Berliner Museum.

auf den Grabstufen sitzen, wehmiithig vorgebeugt, von den Stehenden ehrfurchtsvoll
begrüfst, oder mit verlorenem Blick ins Weite schauend. Milchhöfer hat in diesen
Gestalten die Verstorbenen erkannt (Furtwängler, Sammlung Sabouroff I zu Tafel 66).
Dumont und Pottier sind in der Hauptsache einverstanden, und ich bin durchaus
geneigt, auch in den stehenden Figuren, welche durch den aufgesetzten Fufs ihr
Besitzrecht auf die Grabstätte auszudrücken scheinen, den Jünglingen mit der Leier
im Arm und andern, ebenso wie in den träumerisch sitzenden Gestalten, Verstorbene
zu erkennen.
So hat das Thongefäfs durch den marmorweifsen Grund ein neues Aussehen
gewonnen und zugleich einen neuen Kunstcharakter. Die Bauchfläche wird durch
Parallellinien als ein besonderes Bild eingerahmt, welches auf das Gemüth des Be-
schauenden dadurch einen eigenen Reiz ausiibt, dafs es aus der Wirklichkeit in die
Gcisterwelt hinaufreicht.
Eine weitere Entwicklung der weifsgrundigen Lekythen giebt sich in den
Mafsverhältnissen und in der Farbentechnik zu erkennen. Wenn sich unter den in
unserer Sammlung vorhandenen Exemplaren einige bis zur Höhe von 0,75 m erheben,
so erhalten sie dadurch einen gewissen monumentalen Charakter, und es scheint
mir nicht zweifelhaft, dafs sie zum Aufsatz von Gräbern im Freien bestimmt waren,
so gut wie die Lutrophoren.
Aus den Lekythen werden Prachtgefäfse; und an Stelle zarter Monochrome
nimmt die Buntmalerei schnellen Fortgang. Malerische Wirkung wird durch kräftige
Licht- und Schattengebung erzielt, sowie durch Mannigfaltigkeit des Gesichtstones.
Die Lekythos No. 2684 zeigt bei der an der Kline stehenden Mutter tiefdunkle Ge-
wandfalten; alle Köpfe haben verschiedene Gesichtsfarbe. Einen ähnlichen Über-
gang aus dem Silhouettenstil in malerische Technik mit lebhafter Schattenwirkung
habe ich bei dem Innenbild einer Schale des britischen Museums nachgewiesen
(Arch. Zeitung 1870 S. 9 ff.). Dieser Übergang gehört dem vierten Jahrhundert an
und ist, soviel ich sehe, umfassender und entschiedener, als Otto Jahn (Vasensamm-
lung in München. Einleitung p. CXLII) zugeben wollte.
Von der figürlichen Darstellung abgesehen, ist das Ornament in hohem
Grade lehrreich für die geschichtliche Entwicklung der weifsgrundigen Lekythen.
Ursprünglich bildet der Grabpfeiler mit seinen architektonischen Formen den wesent-
lichen Gegenstand des Hintergrundes. Dann lösen sich die strengen Formen; Eier-
stab, Palmette, Giebelform werden nach und nach beseitigt, und während sich in
den Figuren noch eine grofse Zartheit der Linienführung erhält, geht die äufsere
Ausschmückung der Stele rasch in eine stillose Unordnung über. Akanthosblätter
hängen zu beiden Seiten lose und wild hinunter, und die Grabstelen erhalten Auf-
sätze von unverhältnismäfsiger Gröfse.
Von den vier Darstellungen, welche auf den polychromen Lekythen Vor-
kommen — Prothesis, Bestattung, Charon, Grabcultus — ist die zweite von be-
sonderm Interesse. Wir finden hier das, was die Römer depositio nennen, in
mannigfaltiger Form mit vorzüglicher Anmuth zum Ausdruck gebracht. Die Todten
 
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