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A. Reichel, Βοώπις.

9

ΒΟΏΠΙΣ.

Homer nennt, wie bekannt, Hera βοώπις. Konnte A. Milchhöfer *) noch die
Bemerkung wagen, es seien keine prinzipiellen Bedenken entgegen, die Hera βοώπις
als kuhköpfig zu bezeichnen, darf heute die Deutung des Wortes wohl als gesichert
gelten: »mit großen, stark vortretenden Augen« (nach W. Pape). Zur Übersetzung
wollen wir keine neuen Argumente beibringen, wohl aber auf eine Denkmälerreihe
hinweisen, die, aus dem kretisch-mykenischen Kunstkreise stammend, in diesem
Zusammenhänge einiges Interesse erregen dürfte.
Eine erkleckliche Anzahl von Artefakten kretisch-mykenischer Herkunft —

Darstellungen von Menschen und Tieren —· lassen deutlich
ttimlichkeit erkennen, daß die Augen besonders groß und
mit bevorzugter Deutlichkeit ausgeführt sind. Es muß
hier davon Abstand genommen werden, alle bekannten
Stücke aufzuzählen; es gibt deren aber so viele, die diese
Beobachtung bestätigen, daß von einem Spiele des Zufalls
nicht gesprochen werden kann. Diese Darstellungsweise
paßt auch durchaus zum Kunstcharakter jener Epoche.
Man könnte den kretisch-mykenischen Künstler fast einen
Impressionisten nennen; allerdings nicht aus Überlegung,
denn er kannte keine andere Ausdrucksform. Er schaltet
eben unbekümmert um die von der Natur gegebenen
Formen und Proportionen. Jede Formgebung dient nur
der Verdeutlichung und graphischen Darstellung des seiner
Phantasie vorschwebenden Bildes. So setzt er auch ein
Riesenauge mitten ins Gesicht seiner Figuren, ohne Be¬
dacht auf die von der Natur gegebenen Proportionen. Es
scheint ihn eben nicht die Form des Auges an sich oder
im Verhältnis zum Gesicht interessiert zu haben, als viel-
mehr lediglich die Wirkung des Auges, als des sichtbaren
Sitzes der Intelligenz und der geistigen Überlegenheit2).
Durch die Steigerung der Form des Auges ins Maßlose wurde die gewünschte sug-
gestive Kraft des Ausdruckes erzielt. Es ist ja bekannt, wie sehr jeder primitiven
Kunst das Mittel Bedeutungsvolles durch besondere Größe hervorzuheben geläufig
ist. Namentlich in handwerksmäßig vergröberter Ausführung tritt dies auffallend
in Erscheinung. Es sei nur an die in ihrer ungeschlachten Derbheit auch sonst so
anziehenden Gestalten auf der Fischervase von Phylakopi erinnert 3) (Abb. i).
Da nimmt das Auge fast die Hälfte des ganzen Kopfes ein. Das Fragment eines
knossischen Wandgemäldes 4), das uns die Darstellung eines von zierlichen Löckchen

die gemeinsame Eigen-


Abb. i. Von einer Vase aus
Phylakopi.

*) A. Milchhöfer, Die Anfänge der Kunst in Griechen- 3) Excavations of Phylakopi 124, Fig. 95 und
land 120. Taf. XXII.
2) Vgl· A. Reichel, Jahreshefte d. österr.-arch. Inst. 4) Annual of British School at Athens VII 57.
XI 1908, 245 f.
 
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