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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 29.1914

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Woelcke, Karl: Dornauszieher-Mädchen: Ein Terrakottafragment aus Nida-Heddernheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.44616#0035
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K. Woelcke, Dornauszieher-Mädchen.

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Marmor und Ton, in Stein geschnitten und auf Wandgemälden erscheinen diese
entarteten Nachkommen des dornausziehenden Knaben. Ist nicht auch hier im
Kreis des hellenistischen Genres das Vorbild für unsere Mädchen zu suchen, um so
mehr, als die Freude an der Schönheit des weiblichen Körpers damals stärker war
als je?
Zum Schluß bilde ich noch zwei Elfenbeinfigürchen, Abb. 10, die gegen die Mitte des
18. Jahrhunderts entstanden sein werden, ab. Sie stammen aus Barckhausens Samm-
lung, die 1786 an die Stadt Frankfurt a. Μ. kam. Heute befinden sie sich im Städti-
schen Historischen Museum (x 23732; X 23733) T). Als Gegenstücke gearbeitet,
stellen sie einen dornausziehenden Knaben und eine reife üppige Frau in der gleichen
Stellung dar. Also eine Nachfolgerin unserer Terrakotten. Freilich, wenn man
die Betonung der weiblichen Körperformen, des weiblichen Geschlechts beachtet,
so wird man die Vermutung nicht los, daß etwas anderes als die Freude am künstle-
rischen Motiv der Zweck ihrer Entstehung war. Jedenfalls belegt auch sie, daß
das Dornauszieher -Mädchen fortgewirkt hat, wenn es auch zugunsten des be-
rühmten Bruders 2) hat zurücktreten müssen und sogar schließlich verkannt wor-
den ist.
Diese Wiedererkennung der Dornauszieherin, die wir gallisch-römischen Terra-
kotten verdanken, möge auch diesen von der Kunstgeschichte verachteten Erzeug-
nissen antiken Kunsthandwerks etwas mehr Beachtung als bisher erwerben helfen.
Man sieht, daß diese Terrakotten, die Kunstwerke der Armen 3), über ihren Wert
als Dokumente des provinziellen Lebens hinaus ■— gewiß nicht wegen ihrer künst-
lerischen Qualitäten — gelegentlich auch für die Kunstgeschichte 4) zu unschätz-
baren Zeugen werden können.

Frankfurt a. Μ.
*) Jung, Festschrift zur Feier des 25 jähr. Bestehens
des Histor. Mus. in Frankfurt a. Μ. 1903, S. 6ff.,
wo auch Hüsgens Katalog des Kunstschrankes
S. 7 (Erstes Gefach 11 u. 12) abgedruckt ist.
»Wahrscheinlich ist auch der Inhalt des Kunst-
schranks von Heinrich Karl von Barckhaus
(gest. 1752) gesammelt worden.«
2) Springer, Das Nachleben der Antike im Mittel-
alter = Bilder aus der neueren Kunstgeschichte,
2. Aufl. 1886, Bd. I S. 14. Furtwängler, Mei-
sterwerke S. 685 Anm. 3. Baumgarten, Schauins-
land Bd. 31, 1904, S. 1—15. Klein, Gesch. d.
griech. Kunst I. 416. Wenn Klein, wie uns scheint,
mit Recht annimmt, daß die »barbarischen Terra-
kottanachbildungen« auf die romanische Kunst
eingewirkt haben, wo bleiben dann dort die Dorn-
ausziehermädchen ? Man vgl. die Legende zum
Dornauszieherfigürchen an der Bronzegrabplatte
eines Erzbischofs aus der ersten Hälfte des 11.
Jahrhunderts im Magdeburger Dom. Springer,

Karl Woelcke.
a. a. 0. S. 37 Anm. 1. — Dornausziehermädchen
in der Renaissance bezeugt A. Aubert, Zeitschr.
f. bild. Kunst N. F. XII. (1900/1) S. 40.
3) v. Rohden, Terrak. von Pompeji S. 24. Blan-
chet, a. a. 0. S. 154.
4) Vgl. B. J. 120 S. 191 Taf. IX 3, wo ich in der
Kölner Terrakotta aus des Vindex Fabrik die
einzige statuarische Replik des Mars Ultor-Bildes
aus dem provisorischen Tempel des Jahres 20
v. Chr. u. dem definitiven des Jahres 2. v. Chr.
nachgewiesen habe. Derselbe Mars Ultor findet
sich auch auf Sigillaten des Janus von Heiligen-
berg (Forrer, Heiligenberg S. 148 Abb. 60) und
des Verecundus von Ittenweiler (Forrer, a. a. 0.
S. 202 Abb. 137, S. 205 Abb. 179). Das mag
hier zur Widerlegung von Blanchet, a. a. 0. S. 87 :
»on ne retrouve, pour ainsi dire, pas un seul type
de Statuette parmi les personnages isoles ou grou-
pes, .... sur les vases en terre rouge vernissee«
genügen.
 
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