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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 29.1914

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Friedländer, Paul: Die Anfänge der Erdkugelgeographie
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https://doi.org/10.11588/diglit.44616#0118
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P. Friedländer, Die Anfänge der Erdkugelgeographie.


DIE ANFÄNGE DER ERDKUGELGEOGRAPHIE.
I.
Am Schlüsse des platonischen »Phädon« steht die Offenbarung von den Schick-
salen der Menschenseele, ein umfangreiches und durchaus nicht einfaches Gebilde.
Zwei Vorstellungsreihen treffen und vereinen sich hier: die erste ist kosmologisch
physikalisch, geographisch, die andere ist mythisch und eschatologisch. Überdenkt
man die Absicht des Dichterphilosophen, so besteht kein Zweifel, daß in dem escha-
tologischcn Einschlag Zweck und Sinn des Ganzen ruht, während die naturwissen-
schaftlichen Gedanken, so viel sie dem Forscher Platon bedeutet haben müssen,
doch in diesem Zusammenhang nur Unterbau und Grundlage sein können. Es ist
von Nutzen, wenn man die Jenseitsdichtungen des »Gorgias« und des »Staates«
vergleicht. Im »Gorgias« haben wir das Totengericht »auf der Wiese am Dreiweg«
und die beiden Orte für die Guten und für die Verdammten, hier die Inseln der Se-
ligen, dort den Tartaros — also rein mythische Landschaft ohne jeden Versuch,
ein wissenschaftliches Erd- oder Weltbild unterzubauen. Diesen Versuch hingegen
macht der »Phädon«, und zwar mit solcher Ausführlichkeit, daß hinterdrein das
Totengericht und die Schicksale der Seelen fast wie ein Anhängsel wirken, wenn man
rein von außen auf die Verteilung der Massen sieht. Und am Ende seines »Staates«
stellt Platon in der Spindel mit den acht ineinandergesetzten Ringen, die um die
Erdachse kreisen, ein genau ausgedachtes und ausgerechnetes Bild des Weltalls hin,
bevor er die Seelen zur Wahl eines neuen Lebens vor die Schicksalsgöttinnen treten
läßt. So scheint schon dieser Vergleich darauf hinzuweisen, daß die Verbindung von
Kosmologie und Eschatologie erst durch Platon selbst vollzogen worden ist. Im
»Gorgias« steht er der orphischen Jenscitslehre noch ganz nahe, und naturwissen-
schaftliches Interesse äußert sich nicht. In den späteren Werken sehen wir den
alten Strom mit einem neuen vermischt, der aus ganz anderer Richtung kam. —
Die verschiedenen Elemente innerhalb der Schlußdichtung des »Phädon« gilt es zu
sondern.
Weder die Größe noch die Beschaffenheit der Erde — so beginnt Sokrates
seine Überzeugung darzulegen — entspricht der bei den Fachleuten verbreiteten
Ansicht. Die Erde ruht als Kugel in der Mitte des Weltenraums infolge ihres eigenen
Gleichgewichts und der überall ebenmäßigen Form der Himmelssphäre. Das ist
genau die Theorie des Parmenides, und wenn man von der Kugelform absieht, schon
die des Anaximander. Die Erdkugel nun heißt »sehr groß«, nicht sowohl im Verhältnis
zum Weltall — wenigstens wird davon nichts gesagt -— als im Verhältnis zu dem
kleinen Raum, den wir Menschen auf ihr einnehmen, »wir vom Phasis bis zu den
Säulen des Herakles«. Damit soll offenbar der östliche und der westliche Endpunkt
unserer Oikumene angegeben werden, die hier weniger in ihrer äußeren Begrenzung
gegen den Okeanos als gleichsam nach innen zu in ihrer Lagerung um das Mittelmeer
gesehen wird. Einen so kleinen Raum also beansprucht die uns bekannte Länder-
 
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