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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 29.1914

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Hauser, Friedrich: Orpheus und Aigisthos
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https://doi.org/10.11588/diglit.44616#0036
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F. Hauser, Orpheus und Aigisthos.

ORPHEUS UND AIGISTHOS.
Laut Bericht im Archäologischen Anzeiger 1913, 70 zog Georg Loeschcke in
einer Sitzung der Berliner Archäologischen Gesellschaft weitgehende Folgerungen
aus einigen Vasenbildern des strengschönen Stils mit Darstellung vom Tode des
Orpheus. Da diese Schlüsse auf sagengeschichtliches und literarhistorisches Gebiet
übergreifen, somit in erster Linie an Philologen sich wenden, welchen, mindestens zu
ihrem größeren Teil, die Beurteilung des Gewichts archäologischer Argumente schwer
fällt, so möchte ich die Kollegen aus der Schwesterwissenschaft darauf hinweisen,
daß hier schwerwiegende Folgerungen auf schwachem Fundamente ruhen.
In jenen Vasenbildern, welche Gruppe in Roschers Lexikon III, 1184 auf-
zählt, führen die Thrakerinnen durchweg improvisierte Waffen: außer Steinen
namentlich Bratspieße, den Schlachthammer, auch zuweilen ein sichelförmiges Messer;
kurz »Küchengerät«, wie Loeschcke zu Anfang ganz richtig sich ausdrückt. Ob er
indessen jenem Messer mit Recht den Zweck zuschreibt, zum Abhäuten der Tiere
zu dienen, das bleibe dahingestellt, da man wohl Jäger und Metzger oft eine gerad-
linig geschliffene oder ausgebauchte Klinge bei dieser Arbeit benützen sieht, nie aber
eine Sichelform, die mir —- bis auf bessere Belehrung — für den genannten Zweck
so ungeeignet wie nur möglich erscheint. Es handelt sich einfach um die echt thra-
kische Messer- und Schwertform, die αρπη, welche als μα'χαιρα καμπύλη beschrieben
wird, oder um das Θρακικδν ςίφος έπικαμπές, wofür Tomaschek, Die alten Thraker I
119 (Wiener Sitzungsberichte 1893), Belege gibt. Stände jedoch selbst die Bestim-
mung der Sichel zum Lostrennen der Haut fest, wie Loeschcke behauptet, so fiele
damit dieses Instrument noch lange nicht aus dem Begriff des Küchengeräts heraus.
Um weiter bauen zu können, setzt aber Loeschcke an Stelle von Küchengerät
vielmehr »Opfergerät« und reiht nun Schluß an Schluß: Opfergerät, somit ein Frauen-
opfer von Thrakerinnen, bei dem Orpheus die Weiber belauscht. Die Rasenden
halten den Sänger für ihr Opfertier, bringen ihn um mit dem Ritualwerkzeug. Eine
bisher unbekannte Orpheusmythe wäre damit gewonnen, welche Euripides in seinen
Bakchen auf Pentheus überträgt und umgestaltet.
Jedermann sieht, wie leicht dieser ganze scharfsinnige Aufbau wegzublasen
ist, sobald es sich tatsächlich um Küchengerät und nicht um Opfergerät handelt.
Zum Opfer braucht man einen Altar und braucht das κάνουν; durch diese
beiden Kultgeräte charakterisieren Vasenmaler um die gleiche Zeit, als die Orpheus-
bilder entstanden, die unterbrochene Opferung des Herakles durch Busiris (Furt-
wängler-Reichhold II Tafel 73). Weder von dem einen noch von dem anderen
Requisit findet sich jedoch in irgendeinem der verschiedenen Orpheusbilder auch
nur die geringste Spur. Vor allem aber läßt sich erweisen, daß die Waffen der Thrake-
rinnen wirklich unter normalen Verhältnissen zu nichts anderem dienen, als ein
leckeres Mittagessen zu bereiten. Da für unseren Zweck der Nachweis genügt, daß
im vorliegenden Falle keine Opfergeräte gemeint sind, so beschränke ich mich auf
diesen Gegenbeweis, zumal da er uns Gelegenheit bietet, einige Vasenbilder zu be-
schauen, die ganz notwendig in diesen Zusammenhang hineingehören.
 
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