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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 38/​39.1923/​1924(1924)

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Winter, F.: Der Meister der Niobegruppe
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https://doi.org/10.11588/diglit.44819#0063
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F. Winter, Der Meister der Niobegruppe.

sind dargestellt, wie sie den Geschossen der unsichtbar in der Höhe waltenden Rächer
zum Opfer fallen. In ihrer Mitte aber steht die Mutter. Zu ihr streben die Kinder
hin, um sich bei ihr zu bergen. Damit ist der mythische Vorgang in das rein Mensch-
liche hinübergeführt, der Untergang eines reichsten Familienglückes zum eigentlichen
Gegenstand der Darstellung geworden. Finden die früheren Darstellungen in den
Kampfbildern ihre nächsten Analogieen, so berührt sich diese am meisten mit den
Familienbildern der attischen Grabreliefs des vierten Jahrhunderts. Was von Leid
frühen Hinsterbens, von Schmerz einsam Zurückbleibender auf bedeutendsten
Bildern dieser Grabmäler in ergreifend wirkender Einzeldarstellung zum Ausdruck
gebracht ist, erscheint in ihr vervielfältigt und ins Höchste gesteigert. In dem Maße,
in dem der Künstler des Vorbildes der Gruppe die Wirkung überwiegend in die Stärke
des seelischen Ausdrucks gelegt hat, ist sein Werk hinter den älteren Niobidendar-
stellungen in der Kraft und Mannigfaltigkeit der Bewegungswiedergabe zurückge-
blieben. Gegenüber der Fülle der verschiedenartigen Bewegungsmotive in den Fi-
guren des Fetersburger Reliefs gibt sein Bild im wesentlichen nur Variationen ein
und desselben Motives und erreicht in keiner der zahlreichen Figuren die Lebendig-
keit, mit der in der Niobide des Museo nazionale das momentane Zusammen-
brechen des plötzlich von dem tötlichen Geschosse getroffenen Körpers wiedergegeben
ist. Die ganz auf das Innerliche gerichtete Darstellung der Florentiner Gruppe gipfelt
in der Leidensgestalt der Mutter. Mit ihr gab der Künstler dem vielbehandelten
Thema einen neuen Inhalt, sie bildet den großen Mittelpunkt des Ganzen. So können
wir erwarten, in dieser Figur die für die individuelle Kunstart des Meisters besonders
charakteristischen Züge am stärksten und vollständigsten ausgeprägt zu finden.
Von ihr wird daher für einen Versuch der Ermittelung des Künstlers auszugehen
sein, und wenn sich ein anderes derZeit und dem Künstler nach genauer bestimmbares
Werk von gleichem oder nahe verwandtem inneren Gehalt und äußerer Gestaltung
finden läßt, so werden wir mit dessen Hilfe auch am sichersten der Lösung der viel
und sehr verschieden behandelten Frage nach der kunstgeschichtlichen Stellung
der Niobegruppe näherzukommen hoffen dürfen.
Ein solches Werk liegt uns in dem nach dem Zeugnis der zahlreichen erhal-
tenen Kopien im Altertum hochgeschätzten statuarischen Bilde der Leda mit dem
Schwan vor (Beil. I 2), das die Verwandtschaft mit den Epidaurosskulpturen (Beil. I l),
als Werk des Timotheos hat erkennen lassen1). Verfolgt von dem Adler, der un-
sichtbar in der Flöhe gedacht ist, wie die göttlichen Verfolger in der Niobegruppe,
flüchtet sich der Schwan in den Schooß der Leda. Sie drückt ihn an sich und zieht
den Mantel von der Schulter empor, um ihn schützend über das Tier zu breiten. In
der Entblößung der rechten Körperseite erscheint ein sinnlich erotischer Zug leise
angedeutet, aber er wird kaum vernehmbar, übertönt von dem Motiv mütterlichen

x) Winter, A. Μ XIX 1894, 157 ff. Amelung, Basis
des Praxiteles 69. Furtwängler, Münchener
Sitzungsberichte 1903, 439. Die beste Kopie
ist die Statuette des kapitolinischen Mu-
Kröner gütigst zur

seums. Helbig, Führer I Nr. 467. — Die
Klischees für die der Kunstgeschichte in
Bildern Heft 10 entnommenen Abbildungen 1,
2, 4, 6, 7, 8 der Beilage hat der Verlag Alfr.
:ügung gestellt.
 
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